Ausstellung über Andreas Dresen - "Es ist ein seltsames Gefühl, durch das eigene Leben zu laufen"

Sa 07.10.23 | 08:45 Uhr | Von Corinne Orlowski
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Video: rbb24 Abendschau | 06.10.2023 | Julia Baumgärtel
Bild: Michael Lüder

Zum 60. Geburtstag bekommt der Regisseur Andreas Dresen seine erste eigene Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum: "Voll das Leben!" würdigt auf sinnliche Weise sein Leben und Werk - und versetzt auch die Besucher mitten hinein. Von Corinne Orlowski

Wer zu Lebzeiten im Museum landet, muss schon etwas Außergewöhnliches geleistet haben. Andreas Dresen ist gerade erst 60 geworden. Er ist einer der bekanntesten deutschen Regisseure, der mit seinen Filmen Identität vermittelt. Nebenbei ist er noch ehrenamtlicher Richter am Brandenburger Landesverfassungsgericht, mehrfach mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und Musiker. Nun bekommt der Wahlpotsdamer eine ganze Ausstellung mit dem Titel: "Voll das Leben! Andreas Dresen und Team".

"Ein seltsames Gefühl, durch sein eigenes Leben zu laufen"

Andreas Dresen hat die Ausstellung letzte Woche zum ersten Mal gesehen. "Ich war total aufgeregt, weil ich überhaupt nicht wusste, was mich erwartet, und habe mich dann aber auch total gefreut, weil es so ein seltsames Gefühl ist, durch sein eigenes Leben zu laufen."

Verlegen und stolz zugleich geht er durch den langen Gang im Obergeschoss des Potsdamer Filmmuseums. Dort wird man förmlich in die Ausstellung hineingezogen. Es ist dunkel wie im Kinosaal. Auf großen Leinwänden flimmern Filmausschnitte. Der Gang ist durch Wände getrennt, aber nicht in schnöde biografische Stationen, man betritt zehn verschiedene Filmwelten: darunter aus "Stilles Land" (1992), Dresens Debütfilm, "Halbe Treppe" (2002) "Sommer vorm Balkon" (2006), "Halt auf freier Strecke" (2011) oder "Gundermann" (2018).

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Sinnlich und verspielt

In liebevoller Präzision hat Kuratorin Ugla Gräf einzelne ikonische Elemente aus den Filmen als begehbare Collage nachgebaut. Die Wände sind im Design alter Fliesen oder Plattenbauten gehalten. Zusammen mit Kostümen, Requisiten und Schubladen voller Dokumente eröffnen sie Räume, die auf den Leinwänden zu sehen sind. Sie beleuchten auf spannende Weise die kreativen Prozesse zwischen Drehbuch und letztem Drehtag. Das war nicht billig. Eine halbe Million Euro hat die Sonderausstellung gekostet. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Das winzige Neubaubad aus "Halbe Treppe" wurde extra nachgebaut. An einer Wand ist senkrecht der Frühstückstisch von Nike aus "Sommer vorm Balkon" montiert, inklusive Kaffeetassen, Frischkäseverpackung und Wurströllchen.

Dresen setzt sich an einen holzvertäfelten Tresen, Bierdeckel und F6-Zigaretten liegen im Schrank. Es ist ein Nachbau aus "Krauses Kneipe" in Grube, über die Dresen 1993 einen Dokumentarfilm drehte, und die seit mehr als 100 Jahren beliebtes Ausflugsziel war. "Die Kneipe gibt es mittlerweile nicht mehr", sagt Dresen nachdenklich, "aber jetzt gibt's den Nachbau dieses Tresens. Und es gibt einfach ganz viele schöne Gedanken, die Filme sinnlich erlebbar zu machen, also das, worin es in den Filmen geht. Das finde ich halt schön."

Keine Superhelden, sondern Menschen an der Supermarktkasse

In Dresens Filmen geht es ums Universelle, um Liebe und Tod, um Träume und Arbeitswelten, um Gerechtigkeit und Demokratie – nah an den Figuren und ihren Konflikten erzählt. Ihn interessieren nicht die Superhelden, im Mittelpunkt stehen eher die Menschen an der Supermarktkasse.

Vor 45 Jahren tourte er als Jugendlicher über die Campingplätze der DDR, um seine Super-8-Amateurstreifen zu zeigen. Nach einem Volontariat im berühmten DEFA-Studio, studiert er an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Heute gehört er zu den wenigen Regisseuren, denen es gelang, ihre Karriere im wiedervereinigten Deutschland fortsetzen. Mittlerweile umfasst sein Werk rund 50 Filme – die ersten während der Schulzeit miteingerechnet –, die meist von der Umbruchserfahrung der Wende geprägt sind. Das spürt man hier in der Potsdamer Ausstellung.

Andreas Dresen Set Rabye Kuranz Ausstellung "Voll das Leben" im Filmmuseum Potsdam. (Quelle: Michael Lüder)
Andreas Dresen in der AusstellungBild: Michael Lüder

Erinnerung an die Menschen, die inzwischen fehlen

Es hat sich angefühlt wie umziehen, sagt Dresen. "Man guckt in Kisten, die man seit Jahren nicht geöffnet hat und plötzlich sagt man, ach, das hier noch und das. Die ganzen alten Briefe sind hier. Meine Ablehnung bei der ersten Eignungsprüfung bei der Filmhochschule, da habe ich auf Schreibmaschine einen Gegenbrief geschrieben. Das sind alles Sachen von denen ich noch dunkel wusste, dass es die gibt. Und es ist auch lustig, das nochmal zu lesen."

Besonders wichtig sind Dresen die Auszüge aus den Drehbüchern samt handschriftlichen Notizen. "Es interessant, wenn man die abgleicht mit dem, was später herausgekommen ist, weil die Arbeit von Drehbuchautoren meistens zu gering geschätzt wird. Aber es sind doch die Menschen, die sich den Film ausgedacht haben, die die ursprüngliche Vision entwickelt haben." Dresen arbeitet am liebsten in seinem vertrauten Team. Laila Stieler hat oft die Drehbücher geschrieben, Susanne Hopf das Szenenbild, Sabine Greunig das Kostümbild gemacht. Sie alle werden hier gewürdigt. Auch diejenigen, die inzwischen fehlen: Michael Gwisdek, Andreas Schmidt und natürlich Wolfgang Kohlhaase, der 2022 verstarb. Um diesen renommierten Drehbuchautor trauerte Dresen wie um einen Vater. Gern zitiert er den Satz von Kohlhaase: "Damit ein Film etwas taugt, müssen verschiedene schöne Berufe mehr als einen guten Tag haben."

Besucher stehen am 05.10.2023 in der Ausstellung «Voll das Leben! Andreas Dresen und Team» im Filmmuseum Potsdam. (Quelle dpa/Michael Bahlo)
Filmsequenzen von "Gundermann" (2018) gespielt von Andreas Scheer.Bild: dpa/Michael Bahlo

Dresen ist ein Teamplayer, der nicht nur seinen Mitstreitern auf Augenhöhe begegnet. Er weist auf das Entree der Ausstellung: Dort sind großformatige Fotos von Alexander Scheer als Gundermann und Anwalt Bernhard Docke, Nadja Uhl und Inka Friedrich als Nike und Susanne aus "Sommer vorm Balkon".

"Wenn man reinkommt und die Leute aus den Filmen sieht und dazwischen die Spiegel, wo man sich selber sehen kann und sich vielleicht auch vorstellen kann, über mich kann auch ein Film gemacht werden." Denn genau das ist das Motto von Andreas Dresen: Man kann über jeden Menschen einen spannenden Film machen. Vermutlich bewegen sich seine Arbeiten deswegen so nah an der Lebensrealität seines Kinopublikums, sagt Christina Handke, Initiatorin der Ausstellung. "In dieser Aussage zeigt sich sein Blick auf die Menschen, seine Haltung zum Leben. Es sind immer die kleineren, scheinbar gewöhnlichen Leute, mit all ihren Leidenschaften, mit all ihrer Unvollkommenheit. Es sind Suchende, die mal scheitern, die mal siegen, die oft viele äußere und auch innere Widerstände überwinden müssen, und die dabei ganz heldenhafte Kräfte entwickeln, die vor allem - wie auch Andi immer – dem Weg ihres Herzens folgen."

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 06.10.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

3 Kommentare

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  1. 3.

    Nun machen sie mal halblang. Dresens Film "Gundermann" ist ganz sicher keine Glorifizierung eines Stasispitzels, sondern das Portrait eines unruhigen Geistes, der sich im DDR System und auch danach für seine Überzeugungen aufgerieben hat. Dass er dabei Fehler begangen hat und sich im Nachhinein einiges nicht eingestehen bzw. reflektieren konnte, wird im Film doch thematisiert. Mich hat eher etwas befremdet, dass Dresen einer der Erstunterzeichner des reichlich naiven "Friedensappells" von Alice Schwarzer war.

    Andreas Dresen ist er m. E. einer der relevantesten Filmemacher, die wir in DE haben. Sein letzter Kinofilm "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" hat dies erneut bewiesen.

  2. 2.

    Nach hervorragenden Filmen, wie "Halbe Treppe" und "Sommer vorm Balkon" versteigt sich Andreas Dresen in die Glorifizierung eines Stasispitzels, ein Schlag ist Gesicht der Opfer des Stasi- und Mauerschützenstaats.

  3. 1.

    Wäre schön, die Welt hätte viel mehr Dresen - und viel weniger Putin und Hamas... :-)

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