Ausstellungskritik | "You Me" im Schinkel Pavillon - Nackte Wahrheiten

So 18.02.24 | 11:41 Uhr
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Jill Mulleady, Interior / Unmade Bed, 2024.Courtesy the Artist and Galerie Neu. (Fhoto: Thomas Lanne)
Bild: Jill Mulleady/Thomas Lanne

Die Gemälde von Jill Mulleady und Henry Taylor im Berliner Schinkel Pavillon zeigen viel blanke Haut und interpretieren Werke der Kunstgeschichte neu. Sie sind dabei aber viel mehr als klassische Aktmalerei. Von Julia Sie-Yong Fischer

Wer ist You? Wer ist Me? Der Name der Ausstellung der beiden Maler:innen Jill Mulleady und Henry Taylor legt den Fokus zunächst auf die Beziehung der beiden zueinander. Auf den ersten Blick scheinen sie recht unterschiedlich zu sein: Mulleady, Jahrgang 1980, ist als weiße Frau in Argentinien aufgewachsen. Taylor ist über zwanzig Jahre älter, Afroamerikaner und erst über Umwege zur Kunst gekommen.

Laut der Künstlerin verbindet sie eine tiefe Freundschaft, sie lachen viel zusammen. Mulleady zeigt auf ihrem Handy ein Video, in dem sie eine blaue Ecke auf Taylors Bild "Michelle" malt. Ein intimer Moment, der das Vertrauen zwischen ihnen verdeutlicht. Und nicht nur persönlich sind sie auf einer Wellenlänge, auch die Liebe zur Malerei und ein starkes Interesse für Kunstgeschichte teilen sie miteinander.

Der verstörende Schlafzimmerblick

Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch drei historische Werke ausgewählt wurden, um in einen Dialog mit ihrer Malerei zu treten. Im Obergeschoss sind am Eingang des Pavillons die eindrücklichen Arbeiten von Otto Dix und Käthe Kollwitz installiert: "Der Lustmord" (1922) und "Vergewaltigt" (1907/08). Beide Radierungen bilden eine Vergewaltigung in unterschiedlicher Drastik ab. Mulleady hat das Thema als cineastische Möglichkeit in ihren Ölgemälden verarbeitet.

Die meisten Szenen spielen in häuslicher Intimität, im Schlafzimmer, zeigen explizit nackte und weibliche Körper. "Interior/ Unmade bed" (2024), fast das einzige Bild ohne Figuren, zeigt ein Schlafgemach mit zerwühlten Laken, warmes sowie kaltes Licht fällt von beiden Seiten auf die Szene. Neben dem Bett liegen Glasscherben, auf einem Nachttisch sind Pillen verstreut. Was könnte sich hier gerade ereignet haben?

Die visuelle Dramatik wirkt aufgrund der menschlichen Abwesenheit sogar um einiges brutaler. Doch nur von den Narrativen allein. Mulleady, möchte sie ihre Arbeit nicht bestimmen lassen. Sie hält an einer Ungewissheit fest und findet mit malerischen Mitteln vielleicht eine andere Wahrheit heraus.

Wenn Bilder zurückschauen

Die in den 1980er Jahren entstandene feministische Kunstgeschichte führte mit ihren politischen Anliegen auch die Bezeichnung des "Gaze" in den wissenschaftlichen Diskurs ein: Die Analyse des Blicks des (meist männlichen) Betrachters auf das Kunstwerk. Sie entlarvte dabei die voyeuristische Distanz und vermeintliche Neutralität der Rezipient:innen.

Mulleadys Installation "Nude descending stairs" (2024) beschäftigt sich mit diesen Machtverhältnissen von Sichtweisen. Das im achteckigen Hauptraum des Pavillons installierte Panoptikum besteht aus acht gerahmten Glasscheiben. Die Besucher:innen bekommen beim Betreten des Raums den Eindruck, sie könnten durch die Installation hindurch die Bilder an den Wänden erkennen. Doch da es sich um halb durchlässiges Glas handelt, wird der Blick beim Nähertreten zurückgeworfen und spiegelt. So ist man selbst, abhängig von der eigenen Position im Raum, zu einem Teil der gleichnamigen Aktdarstellung geworden.

Jill Mulleady, Stairs / Nude Descending, 2024. Courtesy the Artist and Galerie Neu. (Foto: Thomas Lanne)
Bild: Jill Mulleady/Thomas Lanne

Kunstgeschichte revisited

Auch Henry Taylors Arbeiten spielen mit dem betrachtenden Blick: Sein Akt "Emelda" (2011) zeigt eine schwarze, nackte Frau, die kompositorisch zunächst an Venusdarstellungen wie von Tizian erinnert. Statt sich den Betrachtenden zuzuwenden und ihren Körper den Blicken freizugeben, wendet sich seine Protagonistin eher von ihnen ab. Sie entzieht sich ihrer Rolle des verführerischen Objekts. Auch die Namensgebung verleiht der Darstellung mehr Individualität als den anonymisierten Frauenakten des westlichen, überwiegend weißen Kunstkanons.

In dem Bild "Forest fever ain’t nothing like, ´Jungle Fever´" (2023) malt er das bekannte Bild von Claude Monet "Frühstück im Grünen" (1865) nach: Jedoch sind bei Taylor auch die Männer halbnackt und alle weißen Menschendarstellungen Monets sind bei ihm ganz natürlich schwarz. Gegenstände wie ein Fußball oder ein vorbeifahrendes Auto lassen es zeitlich in der Gegenwart verorten.

Zusätzlich entwickelt Taylor auch eine eigene ikonografische Bildsprache. Das Bild "Michelle" (2023) soll zwar Michelle Obama, die erste afroamerikanische First Lady porträtieren, stellt sie als übergroße, ägyptische Göttin Isis in einem Museum dar. Ihr Bildnis wird nicht zu einem individuellen Starporträt, sondern symbolisiert sie als einflussreiche, schwarze Machtinhaberin.

Natürlich verschieden

Während beide Künstler:innen ähnliche Inhalte teilen, unterscheiden sich ihre Arbeitsweisen jedoch deutlich: Mulleady arbeitet mit vorsichtigen, lasierenden Strichen, während Taylor deckende Linien und Flächen aus kräftiger Acrylfarbe unverblümt auf die Leinwand setzt.

Mulleadys skulpturale Arbeit ist industriell produziert worden, Taylors Objekte der Serie "Parts of my Past" sind zusammengesetzte Readymades aus Fundstücken. Diese Kontraste illustrieren etwas Grundsätzliches: "You Me" zeigt die Akzeptanz und Wertschätzung von Unterschieden ohne eine Wertung vorzunehmen.

Und sie betonen das Bedürfnis, sich immer wieder in eine Beziehung mit seiner Umwelt und Geschichte setzen zu wollen.

Die Ausstellung "You Me" von Jill Mulleady und Henry Taylor läuft vom 17.02. bis zum 19. Mai 2024, zu besichtigen immer Donnerstag und Freitag 14–19 Uhr sowie Samstag und Sonntag 11–19 Uhr im Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin

1 Kommentar

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  1. 1.

    „Rezipient:innen“
    Erstaunlich, was man aus Latein so alles macht...Da fällt man durch jede Prüfung.

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