Ost-Berliner Ikone wird Künstlerort - Wie aus dem Eierhäuschen gepellt

So 14.04.24 | 16:14 Uhr | Von Tomas Fitzel
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Das neu restaurierte Eierhäuschen im Treptower Park an der Spree (Quelle: DPA/Britta Pedersen)
Bild: DPA/Britta Pedersen

Das Eierhäuschen am Rande des Berliner Plänterwalds war lange Zeit mehr Ruine als Ausflugsziel. Nun ist es renoviert und beginnt ein neues Leben als Ausstellungsort. Das Konzept ist in der Stadt einzigartig, aber auch ausbaufähig. Von Tomas Fitzel

Das Eierhäuschen am Rande des Plänterwalds ist seit mehr als 130 Jahren eine Berliner Institution, schon Theodor Fontane widmete ihm ein Romankapitel. In "Der Stechlin" plant eine kleine Gruppe einen Bootsausflug: "Das Ziel unsrer Reise hat einen ziemlich sonderbaren Namen und heißt das 'Eierhäuschen'. Ich werde seitdem die Vorstellung von etwas Ovalem nicht los und werde wohl erst geheilt sein, wenn sich mir die so sonderbar benamste Spreeschönheit persönlich vorgestellt haben wird", heißt es darin.

Doch weder die freudige Erwartung auf "etwas extrem Idyllisches" erfüllt sich, noch taucht am Ufer "ein Mischling von Kiosk und Hütte" auf, sondern ein roter Bau mit Turm und Erker, was eine der Ausflüglerinnen zu dem Ausruf veranlasst: "O weh! Ein Palazzo."

Nach der Wende stand das Eierhäuschen lange leer, verfiel mehr und mehr. Vor zehn Jahren begann schließlich die Rettung und Sanierung des Gebäudes. Die schön ornamentierte Ziegelfassade strahlt nun wieder wie neu und jetzt kann das Eierhäuschen endlich wieder zu einem beliebten Ausflugsziel werden.

Künstlerort mit Wasserblick

Mittlerweile werden dort wieder gastronomische Genüsse geboten, aber nicht nur. Das Eierhäuschen, über dessen Nutzung lange diskutiert worden war, ist ein neuer Berliner Ausstellungs- und Künstlerort geworden. Schon bald soll hier Künstlern Obdach und Arbeitsräumlichkeiten gewährt werden. Vier Arbeitswohnungen mit dem schönsten Blick auf die Spree sind im Obergeschoss untergebracht und unter dem Dach findet sich ein sehr großer Raum, der genügend Platz für kollektives Arbeiten ermöglicht.

Das Konzept der Künstlerresidenzen, die vier Mal im Jahr für jeweils drei Monate vergeben werden, lautet: kollektives und interdisziplinäres Arbeiten. Es soll zu Themen erforscht, geplant und gestaltet werden, die sich mit der direkten Umgebung beschäftigen sollen, dem ehemaligen Spreepark. Laut der Kuratorin Katja Aßmann soll im Eierhäuschen keine Residenz geschaffen werden, die es anderswo schon gibt. "Sondern dass hier auch wirklich der besondere Ort diese Nische des Interdisziplinären besetzt, wo Planung und Kunst sich treffen und sich gegenseitig inspirieren", sagt sie.

Riesenrad am Drahtseil

Ein gelungenes Beispiel für die angestrebte Kooperation von Künstlern, Ingenieuren und Planern sei das Riesenrad, sagt Aßmann. 2026 soll es sich wieder drehen. Aus einem so geformten Team ist der Plan entstanden, auf einer Seite die Hauptstützen des Riesenrads wegzunehmen. Statt acht soll es künftig nur noch vier haben. "Damit es nun nicht umkippt, hängt das Riesenrad an einem langen Abspannseil über einem Wasserbecken, so dass man künftig fast in das Wasser hineintauchen wird", erklärt Aßmann. "Das Wasserbecken ist eigentlich ein Regenwasserrückhaltebecken und zugleich Spiegel des Riesenrades."

So sollen Nachhaltigkeit und Kunst zusammenfinden. Mehrere dauerhafte Kunstwerke sollen noch für den neuen Spreepark geschaffen werden. Von der Senatsverwaltung für Kultur, die sich derzeit eher mit der Streichung von Künstlerprogrammen beschäftigt, wird dieses ungewöhnliche Residenzprogramm nicht gefördert. Stattdessen unterstützt die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt das Projekt mit rund 165.000 Euro pro Jahr.

Die ersten Stipendiaten trafen in dieser Woche ein und kommen aus Australien. Es sind drei interdisziplinäre Gruppen, die sich zum "Animal Architecture Collective" zusammengefunden haben. Sie wollen die Behausungen der Tiere erforschen, die im Plänterwald heimisch sind. Die untersuchten Bauformen sollen dann die Entwicklung neuer Wohnstrukturen inspirieren. Die Besucher werden davon allerdings wenig mitbekommen, die Künstler sollen schließlich ungestört arbeiten können.

Zum Eierhäuschen – Sabine Scho; © Tomas FitzelSeeflaggenalphabet, mal ganz neu interpretiert: Die Arbeiten von Sabine Scho.

Armleuchteralgen im Wildwasserbecken

Im Parterre des Eierhäuschen werden hingegen wechselnde Ausstellungen zu sehen sein. Den Auftakt machen vier Künstler mit ihren jeweiligen "Park Einsichten". Im großen Raum zur Terrasse werden die Besucher von einem bunten Flaggenmeer begrüßt. "Wenn man einen Ort neu besetzt wie diesen hier, dann bekennt man Farbe und zeigt Flagge", so die Künstlerin Sabine Scho. Für ihre Flaggen nahm sie das Seeflaggenalphabet von A bis Z und überblendete das jeweilige Flaggensignal mit einem Fotomotiv aus dem Spreepark. Situationen, die sie vorfand, bevor er komplett abgeräumt wurde.

Da Sabine Scho nicht nur bildende Künstlerin ist, sondern auch mit Sprache arbeitet, findet sich parallel zum Seeflaggenalphabet an den Wänden ein Parkalphabet. Es beginnt mit A wie Armleuchterantheridienorange – gemeinhin bekannt als Armleuchteralge. Dabei handelt es sich nicht um eine surreale Erfindung von Scho, sondern um eine Wasserpflanze, die tatsächlich in alten Becken auf dem Gelände vorkommt.

Mit ihren Gerüchen beschäftigt sich wiederum die Arbeit der norwegischen Geruchsforscherin Sissel Tolass. In der Mitte des Ausstellungsraumes steht ein algengrüner Wassertank. Der Geruch nach abgestandenem Wasser kommt aber nicht daher, sondern aus einem Metallrohr an der Seite. "In dem einstigen Wildwasserbecken wurde die Teichfolie die letzten 30 Jahre nicht gewechselt", erklärt die Kuratorin Aßmann. Aus diesem Sediment, das 30 Jahre Geschichte in sich gelagert hat, extrahierte Tolass mit chemischen Verfahren den Geruch, um ihn dann neu zu reproduzieren.

Zum Eierhäuschen – Annett Zinsmeister; © Tomas FitzelAnnett Zinsmeisters geschrumpfter Spreepark-Raum.

Geschrumpfter Spreepark mit Dschungeltapeten

Den Hörsinn spricht hingegen der Schweizer Wissenschaftler, akustische Ökologe und Klangkünstler Marcus Maeder an. Er hat über zwei Jahre in stündlichen Intervallen jeweils für eine Minute die Geräusche der Umgebung aufgenommen: Tiere sind zu hören, vorbeikommende Menschen oder die Frachtkähne am gegenüberliegenden Spreeufer. In einer Art Iglu im Eierhäuschen sind die verschiedenen Tonspuren in einem 360-Grad-Klangpanorama räumlich korrekt erlebbar.

Die letzte der vier Arbeiten führt in ein grünes Dschungellabyrinth aus aufgehängten Fototapeten. "Ich habe versucht, den Spreepark in einem Innenraum zu schrumpfen, auf fünf mal sieben Meter", sagt die Künstlerin Annett Zinsmeister. Als sie angekommen sei, sei der Vergnügungspark zu ihrer Enttäuschung schon fast restlos abgeräumt gewesen. "Der Teppich ist sozusagen der Grundriss des Parks mit allen Orten, die ich noch gefunden habe oder hoffte, noch zu finden", sagt sie. Deswegen seien manche Kreise auf dem Teppich noch leer und nicht mit Bildern belegt. Ihr sei es um den Prozess des Findens und Aufspürens gegangen, so Zinsmeister: "Weil die Frage ist ja immer, was sehe ich, wenn ich nichts weiß?"

Leerstelle Eierhäuschen

Die Ausstellung ist ein erster Aufschlag an einem neuen Kulturort, der leider noch nicht sonderlich überzeugt. Denn die vier vorgestellten Arbeiten reproduzieren lediglich, was die Künstler erforscht haben. Zu sehen, hören und riechen gibt es lediglich, was auch vor der Tür des Eierhäuschens zu erleben ist – bei einem Spaziergang etwa.

Über die Geschichte des Eierhäuschens erfahren die Besucher hingegen gar nichts. Dabei gäbe es doch sicher viel zu erzählen. Dies bleibt eine Leerstelle und somit eine Aufforderung an alle kommenden Künstler.

Sendung: Radioeins, 03.04.2024, 08:40 Uhr

Beitrag von Tomas Fitzel

3 Kommentare

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  1. 3.

    Während ich die Konzepte der Künstler las, dachte ich vorweg genau das, was in den letzten Absätzen angemerkt wird. Wie sinnlos, etwa die Akustik einzufangen und auf Tonspuren zu speichern, wenn es viel erlebbarer wäre, den Besuchern Augenbinden zwecks Konzentration und Reduzieren von Ablenkung, Wattestäbchen zum Ohrenputzen und Liegestühle zum Entspannen zu geben und zu sagen: Hört mal genau hin. Was die Besucher hören, kann man dann thematisieren und künstlerisch bearbeiten. Aber so? So bleibt die Kunst nur ein Abklatsch.

  2. 2.

    Na hoffentlich halten sich wenigstens die Graffiti „Künstler“ zurück.

  3. 1.

    "Die schön ornamentierte Ziegelfassade strahlt nun wieder wie neu..." solange bis die zerstörerische Kriminalität der Fassaden-Sprayer wieder zuschlägt. Diese Ignoranten Verschandelungen, besonders an historischer Bausubstanz versetzen mir jedes Mal einen Stich. Sind wir dieser Form der "Umwelt-Schädigungen" wirklich hilflos ausgeliefert? Ein Lob an dieser Stelle der Berliner S-Bahn, die ihre Züge konsequent und umgehend von Griffiti und co. befreit!

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