"Post Daddies" im Heimathafen Neukölln - Weise schwule Männer

So 26.05.24 | 11:07 Uhr | Von Christopher Ferner
In der Performance "Post Daddies" erzählen die in Tel Aviv geborenen Künstler:innen Ariel Nil Levy und Noam Meiri von ihrem bewegten Leben. (Quelle: Verena Eidel)
Bild: Verena Eidel

In der Performance "Post Daddies" erzählen die in Tel Aviv geborenen Künstler:innen Ariel Nil Levy und Noam Meiri von ihrem bewegten Leben – und wollen so eine Brücke zwischen den Generationen queerer Menschen bauen. Von Christopher Ferner

 

Wer sich in den Berliner Szene-Clubs auf queeren Partys herumtreibt, trifft auch auf sie: normschöne schwule Männer. Oberkörperfrei dominieren sie die Tanzflächen und festigen das Klischee des jungen und durchtrainierten Homosexuellen. Dieses Klischee wird vielfach verstärkt – zum Beispiel durch Profilbilder halbnackter Männer in den Datingapps oder der Repräsentation von Schwulen in den Medien.

Das bleibt nicht ohne Folgen: Das Magazin "Attitude" hat seine überwiegend homosexuellen Leser danach befragt, wie sie zu ihrem eigenen Körper stehen. 84 Prozent der 5.000 Teilnehmenden gaben an, den Druck zu verspüren, muskulös sein zu müssen.

Ein Druck, dem sich auch ältere schwule Männer ausgesetzt sehen. Und so trifft man in den besagten Berliner Szeneclubs – wenn auch in geringerer Anzahl – ebenso auf durchtrainierte Kerle im mittleren Alter mit grauem Haar – auf sogenannte Silver Foxes, zu Deutsch silberne Füchse.

Es sind diese silbernen Füchse, mit der die Uraufführung der Performance "Post Daddies" im Heimathafen Neukölln beginnt. Auf die Wand des kleinen Saals wird eine Video-Montage projiziert, die freizügig gekleidete Männer mit Sixpack, großem Bizeps und grauer Mähne zeigt. Die Sprecherstimme erklärt, was diese muskelbepackten Kerle so attraktiv mache: natürlich deren Reife und intellektuelle Aura.

In der Performance "Post Daddies" erzählen die in Tel Aviv geborenen Künstler:innen Ariel Nil Levy und Noam Meiri von ihrem bewegten Leben. (Quelle: Verena Eidel)
Ariel Nil Levy und Noam Meiri in "Post Daddies"Bild: Verena Eidel

Der Bruch mit Klischees

Und dann betritt Ariel die Bühne. Die Schauspieler:in entspricht so gar nicht dem Bild der zuvor gezeigten grauhaarigen Füchse. Sie trägt eine bunte Langhaarperücke und präsentiert stolz ihren Bauchansatz. Die Silver Foxes auf der Wand im Hintergrund sind mittlerweile verschwunden. Dafür werden die Zuschauer:innen in eine Berliner Schwulensauna katapultiert.

Nachdem Ariel kurz im Darkroom der Sauna verschwindet, kommt sie zurück; trägt mittlerweile keine Perücke mehr, sondern Schuhe, eine Unterhose und darüber ein lachsfarbenes Handtuch. Die groß gewachsene Schauspieler:in trifft in den Räumlichkeiten des Etablissements auf den über 60-jährigen Noam, einen ehemaligen Professor für Körpertheater, der mittlerweile im Ruhestand ist. Die beiden sind alte Freunde; kennen sich aus ihrer gemeinsamen Heimat Tel Aviv.

Während sie anfangs belanglosen Smalltalk führen, singen sie bald schon über die Historie ihrer sexuellen Erfahrungen. Zu wummernden Technobeats und rotem Licht berichten die Performer:innen über Sex, drogenreiche Partys, Gloryholes und Orgien in Paris, London und Stuttgart. Sie berichten von ihrem Leben, das dem Klischee des sexhungrigen, hedonistischen schwulen Mannes in Berlin zu entsprechen scheint.

Zum Schluss dieses Aktes wird es jedoch ernst: Ariel erinnert sich an einen persönlichen Schicksalsschlag: "2001. Tübingen. Robert, ein Herzchirurg. Wir waren zwei Jahre zusammen. Er starb bei einem Autounfall". Noam wiederum erzählt von einem Libanesen, mit dem er drei wundervolle Monate verbracht hatte, bevor dieser von einem auf den anderen Tag abgeschoben wurde.

Brückenbauer zwischen Jung und Alt

Ariel Nil Levy und Noam Meiri lassen in dieser Performance ihr Leben Revue passieren und greifen dabei zahlreiche gesellschaftspolitische Themen auf. Den beiden Künstler:innen und dem Regisseur, Konstantin Achmed Bürger, kam die Idee für das Stück bei einem Abend, an dem sie sowohl mit älteren Queers als auch jüngeren schwulen Männern unterwegs waren. Bürger sagt: "Der eigentliche Impuls war – und das Überraschende für mich – mit welchem Staunen und welcher Neugierde die jüngeren anwesenden Queers unseren Geschichten aus einer analogen Welt zuhören und wie wenig die darüber wusste." Daraufhin wurde dem Deutsch-Jemeniten bewusst: "Wir sind die Alten. Da gibt es eine Kluft. Wir wissen so wenig voneinander."

Diese Kluft zwischen den Generationen wird auch im Stück immer wieder aufgegriffen. So wird in einem Akt auf Noams Rolle als Professor für Körpertheater eingegangen – eine Position, die er 24 Jahre lang an der Folkwang Universität der Künste in Essen innehatte. Er bezieht das Publikum mit ein, greift einzelne Zuschauer:innen heraus, die mit ihrem Körper mal eine Giraffe in der Savanne Afrikas, mal einen Schmetterling darstellen sollen. Es scheint harmloser Klamauk zu sein, der dem Publikum sichtlich Spaß macht.

Bis sich Ariel, der Jüngere der beiden, zu Wort meldet: "Stopp, so geht das nicht. Wir fühlen uns damit nicht wohl." Sie weist ihn darauf hin, dass Afrika kein Land, sondern ein Kontinent sei. In dem Dialog zwischen den beiden geht es außerdem um Rassismus, Machtverhältnisse, Privilegien, alte, weiße Männer und Eurozentrismus – also um Themen, die aktuell zwischen den Generationen ausverhandelt werden. Themen, bei denen gerne mal mit akademischen Schlagwörtern um sich geworfen und sich gegenseitig beschuldigt wird, ohne den Willen, das Gegenüber zu verstehen.

In der Performance "Post Daddies" erzählen die in Tel Aviv geborenen Künstler:innen Ariel Nil Levy und Noam Meiri von ihrem bewegten Leben. (Quelle: Verena Eidel)Ariel Nil Levy und Noam Meiri: Kluft zwischen den Generationen

Das Chaos als Stilmittel

Es sind Themen, die für sich allein Stunden auf der Bühne füllen könnten. In Kombination mit den sich ständig wechselnden Darstellungsformen – Tanz, Gesang, Märchenerzählung – wirkt das Stück an einigen Stellen chaotisch – doch das scheint so gewollt. Regisseur Bürger sagt: "Das Stück ist Hybrid aus Revue, Improvisation, Lebensbeichte und Clownerie".

Dieser Genre-Mix geht zwar nicht immer auf; an der ein oder anderen Stelle hätte man sich ein wenig mehr Tiefe erhofft, hätte gerne noch mehr erfahren über die vielen Leben, die die beiden Performer:innen bereits gelebt haben. Dafür erzeugt das Durcheinander eine Kurzweiligkeit, die auch dank des derben Humors Spaß macht und vom Publikum immer wieder mit schallendem Gelächter belohnt wird.

Vor allem aber lebt das Stück von seinen beiden Darsteller:innen. Ariel und Noam berichten mit einem solchen Verve und so schambefreit über ihr Leben und ihre gemeinsame Freundschaft, haben so viel zu erzählen und so viel Spaß auf der Bühne, dass man nicht anders kann, als die beiden im Laufe der rund 60-minütigen Performance ins Herz zu schließen. Gerne würde man nach dem Stück selbst mit ihnen um die Häuser ziehen, würde mit den beiden eine wilde Kreuzberger Nacht verbringen, in der sie einem sich und die Welt erklären.

Sendung: Radio 3, 26.05.2024, 14:30 Uhr

Beitrag von Christopher Ferner

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