Karl-Marx-Allee und Hansaviertel sollen Welterbe werden - Gebaute Hoffnung

Di 25.10.22 | 06:19 Uhr | Von Rosa Rump
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Symbolbild: Gropius-Haus im Hansaviertel und die Karl-Marx-Allee mit dem Springbrunnen (Quelle: dpa/Jürgen Henkelmann/Britta Pedersen)
Video: rbbKultur - Das Magazin | 20.10.2022 | Anne Kohlick | Bild: dpa/Jürgen Henkelmann/Britta Pedersen

Berlin arbeitet an einem neuen Welterbe Vorschlag. Die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel - einzigartige Nachkriegsarchitektur - sollen auf die Liste der UNESCO. Doch der Weg dahin ist weit. Von Rosa Rump

Farbakzente in Hellblau, Orange und Gelb. Klare Linien, moderne, aufgelockerte Baustrukturen und ganz viel Grünfläche. Das zwischen Tiergarten und S-Bahn liegende Hansaviertel ist so begrünt, dass es fast wie eine Parkanlage wirkt. Zwischen den Bäumen reihen sich Plattenbauten und Wohnblöcke lose neben flache Bungalows. Die genutzten Baumaterialien Beton, Glas und Metall lassen die Gebäude noch heute zeitgemäß wirken.

"Ich bin seit jeher Nachkriegsmoderne-Fan", erzählt Carsten Bauer, engagiertes Mitglied im Bürgerverein des Hansaviertels. "Was mich fasziniert an der Nachkriegsmoderne ist wirklich diese Zurückhaltung, die Dezenz, der Umgang mit Materialien." Bei einem Spaziergang durch das Viertel kommt er ins Erzählen, seine Begeisterung ist ansteckend.

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Monumentale Karl-Marx-Allee

Ganz anders ist der erste Eindruck der Karl-Marx-Allee. Sie liegt weniger als sieben Kilometer Luftlinie östlich vom Hansaviertel. Der Boulevard ist 2,3 Kilometer lang, 90 Meter breit und bebaut mit sieben Wohnblöcken je Straßenseite.

"Die Monumentalität, die Größe, war vom ersten Moment an sehr, sehr eindrucksvoll", sagt Paul Sigel, während er über den Mittelstreifen der sechsspurigen Straße läuft. Der Architekturhistoriker ist Teil eines Forschungsteams, das sich intensiv über mehrere Jahre mit dem outstanding universal value der Karl-Marx-Allee und dem Hansaviertel beschäftigt hat. Also der Frage danach, was international einzigartig an den beiden Kulturerben ist.

Monumental stehen an der Promenade bis zu zwölf Stockwerke hohe Wohnblöcke. "Die DDR wollte demonstrieren, dass sie die Fortsetzung der deutschen Kulturtradition ist und deshalb auch Bezüge in der Architektur zur Vergangenheit herstellen", erläutert er. Doch es seien "moderne Gebäude", so Sigel weiter, "Wohnhochhäuser, erschlossen durch Aufzüge" und ausgestattet mit Einbauküchen und Fernwärme.

"Arbeiterpalast" an der Karl-Marx-Allee, aufgenommen am 19.10.2022 (Quelle: rbb/Rosa Rump)"Arbeiterpalast" an der heutigen Karl-Marx-Allee

Die Spuren des Krieges

So verschieden Hansaviertel und Karl-Marx-Allee architektonisch auf den ersten Blick wirken mögen: "Wir sprechen heute über ein gemeinsames Kulturerbe. Das ist das Spannende", unterstreicht Paul Sigel. Um diesen Vorschlag aus Ost und West-Berlin nachvollziehen zu können, muss man den Blick auch auf die Vergangenheit richten.

1943 wird Berlin großflächig ausgebombt. Im Hansaviertel sind rund 300 von 343 Gebäuden in Trümmern. Auch Ost-Berlin trifft es hart. Im "Arbeiterviertel" Friedrichshain, in dem die heutige Karl-Marx-Allee liegt, ist kaum ein Gebäude unbeschädigt. Den Regierungen, sowohl im Osten als auch im Westen, ist klar: Sie müssen die Stadt wieder aufbauen, der Bevölkerung Wohnraum schaffen.

Die Stalinallee will hoch hinaus

Einen ersten Versuch des Wiederaufbaus an der heutigen Karl-Marx-Allee macht der Architekt Hans Scharoun. Er konzipiert 1949 die "Laubenganghäuser" im Baustil der zwanziger Jahre. Die eher schlichten, zurückhaltenden Wohnhäuser entpuppen sich jedoch schnell als zu schlicht und zurückhaltend. "Sie passten nicht mehr in das gewünschte Erscheinungsbild", erklärt Paul Sigel. Die DDR-Regierung hatte für die größte Wiederaufbau-Aktion im Osten eine opulentere Architektur vor Augen. Ebenfalls 1949 wird das Prestige-Projekt umbenannt in Stalinallee: als Geschenk zum 70. Geburtstag von Josef Stalin. Spätestens da ist klar: Diese Allee muss prächtig werden. Hier sollen Paraden und Aufmärsche stattfinden und es sollen "Arbeiterpaläste" entstehen.

"Auf der Suche nach einem eigenen sozialistischen Ausdruck", so Sigel, wurden Architekten und Stadtplaner auf eine Reise in die Sowjetunion geschickt. Ein Ergebnis dieser Reise sind die Pläne für das Hochhaus an der Weberwiese. 1951/52 wird es gebaut – und das heute denkmalgeschützte Gebäude wird Vorbild für den gesamten weiteren Bau der Allee.

Kolloquium zum Weltkulturerbe

Recycling-Projekt aus Ruinen

Die Fassaden werden aufwendig verputzt und mit beigen Keramik Fließen verkleidet. Die Wohnblöcke glitzern in der Sonne und strahlen - wie die Zukunft, die nach dem Krieg besser, sicherer und angenehmer werden soll. Gebaute Hoffnung – das ist das Versprechen der DDR-Regierung mit diesem Wiederaufbauprojekt. Und um dieses Versprechen möglichst schnell einzulösen, setzt die Regierung alle zur Verfügung stehenden Ressourcen ein. So wird auch mit Ziegeln gemauert, die freiwillige Helfer aus den Ruinen recyceln.

Die Stadt von Morgen

Casten Bauer, der selbst Touren durch das Hansaviertel gibt, erklärt: "Als im Osten die wirklich prächtigen Arbeiterpaläste an der Allee in einer Rekordzeit erwachsen sind, war das natürlich ein Schlag ins Gesicht der West-Berliner. Und da war es für den Senat klar: Er muss reagieren, mit einem Paukenschlag!"

1953 wird daher vom Senat ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben. 53 Architekten aus 13 kapitalistischen Ländern, der "freien Welt" kommen für die Interbau, die Internationale Bauausstellung zusammen. Eine Aktion, mit der West-Berlin Nähe demonstrieren will zu Ländern, die noch vor wenigen Jahren Kriegsfeinde gewesen sind. Im Hansaviertel soll kein Wiederaufbau, sondern ein Neuaufbau stattfinden. Die Architekten schaffen sozialen Wohnraum und die "Stadt von morgen".

Die in "Gebäude 12" von Hans Schwippert verbauten Materialen, aufgenommen am 19.10.2022. (Quelle: rbb/Rosa Rump)Die in "Gebäude 12" von Hans Schwippert verbauten Materialen.

Ein zeitaufwändiges Vorhaben, berichtet Carsten Bauer, denn: "Alles an Material musste hierhergefahren werden. Sandgruben, Ziegelbrennereien, Betonwerke - all diese Facilities waren außerhalb von West-Berlin".

Die beteiligten Architekten sind Stars ihrer Zeit: Alvar Aalto, Egon Eiermann, Walter Gropius, Oscar Niemeyer und auch eine Frau, die Landschaftsarchitektin Herta Hammerbacher. Sie planen mit Materialien wie Beton, Glas oder Metall – "Neues Bauen" – es entstehen Ikonen der Nachkriegsmoderne.

Als die Interbau 1957 eröffnet, ist erst ein Drittel der Gebäude fertig. Trotzdem lockt die Veranstaltung mehr als eine Millionen Menschen an. Alle wollen sie sehen: die Zukunft des Städtebaus. Es gibt eine Seilbahn über das Gelände und einen Hebekran, der als Aussichtspunkt dient – ein Spektakel – auch für die Besucher aus der DDR, die ein Drittel der Besucher ausmachen.

Plattenbau hinter dem Kino International an der Karl-Marx-Allee am 19.10.2022 (Quelle: rbb/Rosa Rump)Plattenbau hinter dem Kino International an der Karl-Marx-Allee

Nach der Interbau '57 beginnt an der heutigen Karl-Marx-Allee ein neuer Bauabschnitt. Ab 1960 wird zwischen dem Strausberger Platz und dem Alexanderplatz der Stil der "Arbeiterpaläste" nicht fortgeführt. Stattdessen werden hohe Plattenbauten errichtet, deren Bauweise der des Schwedenhauses im Hansaviertel ähnelt. Zwischen diese Wohnblöcke werden Grünflächen angelegt, die mehr Raum schaffen zwischen der Straße und den Gebäuden. Auch hier liegen Ähnlichkeiten mit dem Hansaviertel.

Ohne den Anderen geht es nicht

Der Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, was so einmalig an der Karl-Marx-Allee und dem Hansaviertel ist: Trotz zwei konkurrierender Regierungen, einer geteilten Stadt und aller politischen Differenzen ist die Entwicklung der beiden Stadtteile ausschließlich in ihrem Zusammenspiel denkbar. Die sich gegenseitig bedingende architektonische Vielfalt der beiden Quartiere, erklärt Sigel, gäbe es in dieser Form sonst nirgends. Und Casten Bauer ergänzt: "Das ist so einmalig, das eben hier in Berlin zu haben, dass wir der festen Überzeugung sind - Das muss Welterbe werden!".

Bis darüber final entschieden wird, kann es allerdings noch Jahre dauern. Ziel des Forschungsteams um Paul Sigel ist es, auf die deutsche Vorschlagsliste für die UNESCO zu kommen.

Sendung: rbbKultur - das Magazin, 22.10.2022, 18:30 Uhr

Beitrag von Rosa Rump

13 Kommentare

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  1. 13.

    Was soll dieser Unsinn. Zweifellos sind beide Ensembles Zeugnisse ihrer Zeit und damit historisch durchaus bedeutsame Denkmäler für Deutschland. Aus Sicht der Welt betrachtet sind es aber nichts anderes als mehr oder weniger ansehnliche Straßenzüge ohne jegliche Relevanz für die kulturelle Entwicklung der Menschheit insgesamt und weltweit betrachtet einfach bedeutungslos.

  2. 12.

    Also meine Wohnung im Handaviertrl ist vom Wohnungsunternehmen wohl schon für das Weltkulturerbe vorgesehen....unsaniert....

  3. 10.

    Hanebüchen, das Hansaviertel, ein Hochhausdorf inmitten einer Metropole soll zukünftig Weltkulturerbe sein.

  4. 9.

    Heute soll offenbar jeder Mist zum Welterbe erklärt werden. Diese Welterbeinflation entwertet den einst geschaffenen Begriff "Welterbe" bald bis zur unkenntlichkeit.

  5. 8.

    Denkmalschutz, ganz Klasse. Investitionsbremse Nummer 1 in diesem Land. Dann muss wenigstens keiner sanieren oder investieren, weil viel zu teuer, Auflagen gar nicht eingehalten werden können oder Mieter den ganzen Quatsch überhaupt nicht mehr bezahlen können.

  6. 7.

    Da hier der ganze Straßenzug geschützt werden soll darf man dann wahrscheinlich auch nichts am Verkehr ändern. Autoinfrastruktur gehört ja mit zum Kulturerbe. Ganz großes Kino mal wieder.

  7. 6.

    Richtig. Dort war vorher das Hotel ,,Berolina". Schade um die Lobby. Sah aus, wie aus der Reklame für ,,Russisch Leder" Herrenduft. Schwarzes Leder und Chrom. 60er Jahre. War wie eine Zeitreise.

  8. 5.

    @Martha:Da muss ich Ihnen zustimmen! Es ist nicht nur baul. eine Herausforderung, sondern auch sozial-ökonomisch! Denn der Mieter muss die energet. Ertüchtigung mit bezahlen u. dürfte in der Regel damit überfordert sein! Und ob die 'erprobte' Praxis, die Bauhülle in quasi Plastik zu verpacken(bauphysikalisch nachgewiesener Unsinn) le crie dernier ist(di-i-ie Lösung), das ist noch nicht belegt!
    Zum Welt-Kulturerbe. Was will man da auszeichnen? Dazu hat sich der BdA in einer gemeinsamen Ausstellung Bauen in Ost und West bereits Gedanken auf einem sehr hohen Niveau gemacht. Ich kann nur hoffen, dass man sich da sehr profund hat beraten lassen. Die heutige K.-Marx-Allee war der dt. Versuch, einen modernen großzüg.Str-zug zu bauen u. verwendete überkommenen Bauschmuck! Das ist z.T. gelungen. Die Allee ist eine Autofahrstr. geworden, klar, früher Demonstrations-u. Fähnchen-Wink-Strecke. Das Wichtigste, die einladende(!) Erdge-schoss-Zone, das Wechseln der Str.-Seiten fehlt.Wenigstens Bäume

  9. 4.

    Richtig. Außerdem ist der Baustil der Karl-Marx-Allee nicht "historisch deutsche Architektur", sondern sogenannter "Zuckerbäckerstil", auch in vielen der ehemaligen Ostblock-Hauptstädten zu sehen. UND:

    ....die "Laubenganghäuser" im Baustil der zwanziger Jahre. Die eher schlichten, zurückhaltenden Wohnhäuser entpuppen sich jedoch schnell als zu schlicht und zurückhaltend. "Sie passten nicht mehr in das gewünschte Erscheinungsbild", erklärt Paul Sigel.

    Da ging es weniger um das "Erscheinungsbild" sondern eher darum, dass man mit diesem Baustil zu wenig Wohnraum für die zerstörte Stadt schafft.
    Vielleicht sollte man für die Erläuterung der "Berliner Geschichte" bevorzugt Berliner ranziehen.

  10. 3.

    Ganz genau erkannt.
    Die Stadt stiehlt sich damit aus der Verantwortung. Modernisierung wird damit unmöglich gemacht, weil zu teuer.
    Weiß wovon ich rede. Wohne selbst in einem solchen "Erbe".
    Charlottenburg-Nord.
    Alles vergammelt. Einbau neuer moderner Fenster ist nicht erlaubt.
    So gehts nicht, liebe Verantwortlichen!!!! Wollen wir Energie sparen, muss kräftig energetisch saniert werden.
    Der Denkmalschutz ist da extrem hinderlich.

  11. 2.

    Ah ganz toll. Riesige Areale in die Konservendose stecken und jegliche Modernisierung an den Gebäuden verhindern. So geht Energiewende.

  12. 1.

    Der "Plattenbau" hinter dem Kino International ist ein nach der Wiedervereinigung gebautes Gebäude welches derzeit noch als Rathaus Mitte fungiert.

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