Berliner Landgericht - Erneut lebenslange Haft nach Mord an 15-jähriger Schülerin verhängt

Fr 07.10.22 | 18:43 Uhr | Von Ulf Morling
Bekim H. erneut zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt (Quelle: rbb/Ulf Morling )
Audio: rbb 88.8 | 07.10.22 | Peter Klinke | Bild: rbb/Ulf Morling

Wegen Vergewaltigung und Ermordung einer 15-Jährigen in Berlin vor zwei Jahren ist ein 43-Jähriger erneut zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Landgericht sah eine volle Schuldfähigkeit, die zuvor hinterfragt worden war. Von Ulf Morling

Hinweis der Redaktion: In diesem Prozessbericht finden sich Schilderungen von Gewalttaten. Bitte nehmen Sie gegebenenfalls Abstand vom Lesen des Textes.

Auch im zweiten Prozess lässt der Vorsitzende Richter der 29. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts, Bernd Miczajka, keinen Zweifel daran: Bekim H. sei voll schuldfähig gewesen, als er in der Nacht am 4. August 2020 in der Rummelsburger Bucht eine 15-jährige Schülerin mindestens drei Minuten würgte und dabei vergewaltigte, bis sie tot war. Danach habe der heute 43-Jährige die Jugendliche ins Dickicht geschleift und mit Blättern abgedeckt. Ihre Handtasche und Handy habe er in seiner Wohnung versteckt, das Handy hinter der Verkleidung eines Heizkörpers. Mehrere psychiatrische Gutachter hätten sich in nunmehr zwei Prozessen mit Bekim H. befasst.

Für die Kammer ist zweifelsfrei erwiesen: "Der Angeklagte konnte seine Impulse kontrollieren", so Miczajka wörtlich. Auch wenn man H. "tiefe Dissozialität" attestieren könne, sei das nicht bei jedem schwer krankhaft.

Das im ersten Urteil im Frühjahr 2021 angenommene Mordmotiv, dass der Angeklagte die Jugendliche tötete, damit sie ihn nicht als Zeugin für die vorangegangene Vergewaltigung ins Gefängnis bringen konnte (Verdeckungsmord), wurde im jetzigen zweiten Urteil abgeändert: Bekim H. habe die Gymnasiastin bei der Vergewaltigung gewürgt und ermordet - zur Befriedigung seines Geschlechtstriebes. Auch zwei Freundinnen des Angeklagten hätten berichtet, dass sie beim Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen gewürgt worden seien.

Wegen Vergewaltigung und Mord wurde H. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. "Er war jederzeit in der Lage, sich zu kontrollieren", hieß es im Urteil.

Mutter des Opfers war auf Fortbildung in Brandenburg

Gegen 2 Uhr nachts hatten sich Bekim H. und die 15-jährige Schülerin in der Tatnacht auf dem S-Bahnhof Ostkreuz getroffen, was Videoaufnahmen belegen. Die Schülerin kam angetrunken von der Geburtstagsfeier einer Freundin und wollte nach Hause. Die Mutter der 15-jährigen war auf einer Fortbildung in Brandenburg und bekam nichts mit von dem nächtlichen Streifzug ihrer Tochter.

Die Gymnasiastin war zunächst freiwillig mit dem fast dreimal so alten Mann zur Rummelsburger Bucht gelaufen, um mit ihm gemeinsam Speed zu rauchen. Zeugen hatten berichtet, dass ein Mann einer kichernden jungen Frau über den Zaun geholfen habe, es schien ein entspanntes Miteinander. Dann hatte Bekim H. mit Gewalt das Mädchen ausgezogen und ins Gebüsch gezerrt. Die Jugendliche soll geschrien haben, trotzdem vergewaltigte und erwürgte H. die 15-jährige.

Am Morgen nach der Tat war Bekim H. mit seinem Rechtsanwalt zu einer Polizeiwache gegangen und hatte berichtet, dass in der Rummelsburger Bucht etwas Schreckliches passiert sein könnte, seine Erinnerung funktioniere nicht mehr. Mittags führte er die Polizisten zum Tatort, die Beamten entdeckten in einem Gebüsch die Leiche der 15-jährigen, die noch keiner der zahlreichen Spaziergänger bemerkt hatten.

Im Laufe des ersten Prozesses gestand H., dass er mit der Schülerin Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dabei habe er sie leicht gewürgt und sie habe sich dann nicht mehr bewegt, gab er an. Ein Rechtsmediziner hatte in seinem Gutachten berichtet, dass der Angeklagte mindestens drei Minuten lang die Luft der Jugendlichen hätte abdrücken müssen, um sie zu töten.

Für die Angehörigen ist es eine Katastrophe, wenn so ein Urteil aufgehoben und noch einmal neu verhandelt werden muss.

Rechtsanwältin Christina Clemm

Bereits 2001 wegen Vergewaltigung verurteilt

Ab 2001 hatte der der Angeklagte bereits 13 Jahre im Maßregelvollzug gesessen, weil er eine 68-jährige Frau vergewaltigt hatte. Da er unter einer "hirnorganischen Persönlichkeitsstörung mit Impulskontrollstörung" leidet, wurde er freigesprochen und als schuldunfähig in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus behandelt, bis zum Jahr 2014.

Gutachten prognostizierten vor seiner Entlassung, dass der Angeklagte nicht mehr für die Allgemeinheit gefährlich sei. Wieder in Freiheit wurde er noch fünf Jahre lang vom Staat in der "Führungsaufsicht" begleitet. Zwar hatte er keine Drogen konsumieren dürfen, doch bei den Kontrollen gab er laut Ermittlern statt des eigenen Urins den des Sohnes seiner Partnerin ab. Keiner der ihn Betreuenden soll es bemerkt und entsprechende Sanktionen eingeleitet haben. Wenige Monate nach seiner Entlassung und weiteren Vorfällen geschah der Mord an der Schülerin.

Sohn einer Alkoholikerin und eines abwesenden Vaters

Durchaus einfühlsam, trotz der höchtmöglichen verhängten Strafe, schilderte Richter Miczajka die Biografie des Angeklagten: Er habe einen ungünstigen Start ins Leben gehabt. Wegen seiner alkoholkranken Mutter leide H. bis heute unter einem fetalen Alkoholsyndrom und zusätzlich an einem Gen-Defekt. "Schon bei der Einschulung hatte H. erhebliche Auffälligkeiten", hieß es im Urteil. Sein Vater sei kaum präsent gewesen, seine Mutter starb 2008.

Schon zuvor war H. demnach immer wieder im Kinderheim gewesen und verließ die Schule nach der siebten Klasse. Zu rauchen hatte er mit sieben Jahren begonnen, ab dem zwölften Lebensjahr trank er Alkohol, mit 15 konsumierte er Cannabis. 2011 wurde, nach etlichen Straftaten, sein Zustand von einem Psychiater als "desaströs" beschrieben. Es bestehe bei H. "eine hohe Gefährlichkeit und erheblicher Handlungsbedarf".

2011 geschah die erste Vergewaltigung des Angeklagten, die vor Gericht verhandelt wurde und in dem 13-jährigen Aufenthalt in der Psychiatrie mündete. Wenige Monate nach der Entlassung passierte dann die Vergewaltigung und der Mord der 15-Jährigen.

Mutter und große Schwester hoffen auf Ende des Falls

Die Mutter und die zwei Jahre ältere Schwester der Getöteten traten im Prozess als Nebenklägerinnen auf. Rechtsanwältin Christina Clemm vertrat die beiden Frauen, die um ihre Tochter bzw. Schwester bis heute tief trauern. "Für die Angehörigen ist es eine Katastrophe, wenn so ein Urteil aufgehoben und noch einmal neu verhandelt werden muss. Die Mutter der Getöteten hat gesagt, das hat sie um anderthalb Jahre zurückgeworfen. Irgendwann muss man ja eigentlich mit dem Prozess abschließen", sagte Clemm.

Bekim H. kann auch gegen das neue Urteil innerhalb einer Woche Revision einlegen. Mutter und Schwester der Getöteten hofften, dass er es nicht täte, damit sie in ihrer Trauer vielleicht endlich zur Ruhe kommen könnten, sagt Clemm.

Sendung: rbb24, 07.10.2022, 16:00 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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