UN-Artenschutzkonferenz - Wie sich Wildtiere der Stadt anpassen
In Kanada will ab Mittwoch die UN-Artenschutzkonferenz Vielfalt in Zeiten von Klimawandel und Umweltverschmutzung sichern. In Berlin haben sich bereits manche Tiere - und Pflanzen - im Rekordtempo den neuen Bedingungen angepasst. Von Hendrik Schröder.
Es sind faszinierende Geschichten, die man im Internet lesen kann, wenn es um die Anpassungsfähigkeit von Wildtieren im urbanen Raum geht. Die Brückenkreuzspinnen zum Beispiel sind eigentlich sehr lichtscheu. Sie haben in der Stadt aber gelernt, ihre Netze unter Straßenlaternen zu bauen, weil da deutlich mehr Insekten sind.
Manche städtische Schneckenarten wiederum haben hellere Gehäuse, um die stärkere Sonnenstrahlung besser zu reflektieren. Auch Mäuse und Fische passen sich immer öfter den Strapazen der Großstadt an, sagt die Wildbiologin Dr. Sophia Kimmig: "Bei Mäusen und Fischen hat man festgestellt, dass sie in urbanen Lebensräumen resistenter gegen Giftstoffe sind und besser damit umgehen können".
Wendiger, stressresistenter
Oder man nehme die Amseln. Stadtamseln haben kürzere Beine und kürzere Flügel als die Artgenossen außerhalb der Stadt, denn damit sind sie wendiger. Bei Schwänen habe man festgestellt, dass sie in der Stadt gelassener sind als in ländlichen Räumen, sagt Sophia Kimmig: "Wenn Menschen am Ufer vorbei laufen und laut sind, dann bekommen sie nicht sofort Panik, sondern gehen damit ruhiger um. Das scheint ein ererbter Vorteil zu sein, nicht gleich in Panik zu verfallen, wenn man mal einen Menschen sieht."
Auch die Pflanzen passen sich geschickt der Umwelt an: Den Samen des Löwenzahns zum Beispiel pustet normalerweise der Wind ziemlich weit weg. In der Stadt aber ist es kontraproduktiv, wenn der Samen 20 Meter weiter auf dem Asphalt landet. Dort ist er dicht am Baum besser aufgehoben - weswegen der Löwenzahn in der Stadt schwerere Samen hat. Auch der Klee passt sich an: Außerhalb der Stadt ist der Klee viel saurer, um sich davor zu schützen, weggegrast zu werden. Mitten in der Stadt ist das kaum nötig.
Die Möglichkeiten zur Anpassung seien aber begrenzt, sagt Wildbiologin Kimmig. Wenn ein Fuchs etwa keine Mäuse fände, fresse er eben etwas anderes. Andere Tierarten könnten das nicht. Eine Luchspopulation würde es beispielsweise in Berlin nie geben, die Tiere brauchen Weite und große Reviere.
Anpassung oder Evolution?
Bei all den Anpassungen muss man allerdings unterscheiden zwischen erlernten Verhaltensweisen und evolutionär bedingten Anpassungen. Die Stressresistenz der Schwäne ist genetisch vererbt, hier findet also tatsächlich Evolution statt. Viele andere neue Verhaltensweisen und Muster werden aber einfach immer wieder neu gelernt. Das können vor allem Tierarten gut, die über die Fähigkeit von sozialem Lernen verfügen: Krähen zum Beispiel, die Nüsse auf die Fahrbahn werfen, um sie von fahrenden Autos aufknacken zu lassen und sich das immer wieder voneinander abschauen. Oder Wildschweine, die von Generation zu Generation weitervermitteln, wo sie sicher über die Straße kommen.
Anpassungsfähigkeit an die Stadt führt nicht zu Artenvielfalt
Dennoch: Der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Matthias Glaubrecht vom Leibniz Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels findet den Hype um die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit von Stadttieren falsch und zu kurz gedacht. "Klar ist das putzig und spannend zu sehen, wie clever manche Arten da sind, aber eigentlich kommen all diese Arten nur deswegen so gerne in die Stadt, weil ihr Lebensraum woanders kaputt ist". Die Stadt sei eben besonders attraktiv für Arten, die anderswo teilweise schon verschwunden seien. Und davon lebten die meisten "in den Tropen und Regenwäldern, in Flüssen und Meeren - und nicht in Berlin. Biodiversität und Berliner Lebensräume haben nichts miteinander zu tun."
Mit anderen Worten: Die Anpassungsfähigkeit einiger weniger Arten in einer relativ grünen Stadt wie Berlin ist schön. Aber zum Erhalt der Artenvielfalt trägt das eigentlich nichts bei.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.12.2022, 06:55 Uhr