Notfälle auf dem Land - First Responder helfen, wenn es um Minuten geht

Sa 14.01.23 | 14:47 Uhr | Von Alexander Goligowski
  10
Rettungskräfte kümmern sich während einer Einsatzübung einer First Responder Einheit auf um einen Statisten. (Foto: Felix Hörhager/dpa)
Audio: Antenne Brandenburg | 15.01.2023 | Alexander Goligowski | Bild: Felix Hörhager/dpa

Wer auf dem Land einen Herzinfarkt bekommt, hat schlechtere Überlebenschancen als er in der Stadt hätte. Denn die Entfernungen sind größer und Zeit ist der entscheidende Faktor. In Wenzlow versucht man, neue Wege einzuschlagen. Von Alexander Goligowski

  • Auf dem Land ist die nächste Rettungsstelle oft weit entfernt
  • Bei einem Herzinfarkt zählt aber jede Minute
  • In Brandenburg haben sich in manchen Orten ehrenamtliche Rettungseinheiten "First Responder" gegründet

10:11 Uhr: Ein Notruf aus Wenzlow (Potsdam-Mittelmark) geht in der Regionalleitstelle Brandenburg an der Havel ein. "Sie haben Ihren Nachbarn bewusstlos im Hausflur gefunden und er ist nicht ansprechbar?" Noch ein paar weitere Fragen an die Anruferin und für Silvio Egner ist klar: Kreislaufzusammenbruch, vermutlich ein Infarkt. Er alarmiert die Einsatzkräfte – Notarzt und Rettungswagen. Außerdem aktiviert er die Katretter-App.

Drei Menschen mit App und medizinischen Vorwissen sind in der Nähe und können möglicherweise schnell erste Hilfe leisten. Noch eine weitere Möglichkeit poppt auf. In Wenzlow gibt es seit Oktober eine First Responder-Einheit. "Je mehr Möglichkeiten ich habe, desto besser ist es für den Patienten. Gerade bei Herzinfarkten geht es um jede Minute und auch um die Qualität der Ersten Hilfe", sagt Silvio Egner und weist die Frau am Telefon bei der Ersten Hilfe an.

First Responder

Die Aufgabe eines First Responders ist es, das therapiefreie Intervall, das heißt, die Zeit zwischen dem Eintreten des medizinischen Notfalls und dem Eintreffen des Rettungsdienstes, mit fachgerechten Erste-Hilfe-Maßnahmen zu überbrücken.

Die ehrenamtlichen Helfer kommen immer dann zum Einsatz, wenn sie den Ort eines Notfalls schneller erreichen können als der Rettungsdienst.

First Responder erhöhen die Überlebenschancen

Es ist eine Übung, und doch fühlt es sich fast echt an, als in Wenzlow um 10:13 der Alarm losgeht. Von allen Seiten kommen drei Kameraden und eine Kameradin von der Freiwilligen Feuerwehr angelaufen, springen in ihre Klamotten und brausen mit ihrem Einsatzfahrzeug zum Einsatzort. Die vier sind die First Responder-Einheit, die Silvio Egner von Brandenburg an der Havel aus alarmiert hat. "Dorfstraße 6, bewusstlose Person im Treppenhaus. Carmen, Du nimmst den Koffer mit dem Defibrillator." Kevin Kujat gibt dem Team die Einsatzdaten.

Im Oktober wurde die Freiwillige Feuerwehr Wenzlow vom Landkreis Potsdam-Mittelmark offiziell als First Responder in die Ausrückeordnung aufgenommen. Nun werden sie von der Regionalleitstelle alarmiert. Die Kameraden um Kevin Kujat sind bestens in Erster Hilfe geschult, er selbst und eine Kameradin arbeiten als Rettungssanitäter. Seit neuestem haben Sie auch einen Defibrillator in ihrer Ausrüstung, gespendet vom Feuerwehrverein. "Mit dem Defi haben wir die Möglichkeit, das Herz zu resetten. Und je eher das passiert, desto größer sind die Überlebenschancen", erklärt Kujat die Idee hinter First Responder.

Innerhalb von zwei Minuten sind die Kameraden als Erste vor Ort. Der leblose Mann ist blass. Er hat Schweißperlen auf der Stirn, keine Atmung. Das Herz schlägt unregelmäßig. Sie beginnen sofort die Reanimation. Die Defi-Pads werden angebracht und die Maschine übernimmt die Anweisungen. Schock! Sie machen weiter, bis der Rettungswagen aus Ziesar eintrifft.

15 Minuten können zu lange sein

15 Minuten - länger darf ein Rettungswagen (RTW) von seinem Standort nicht zu einem Einsatz brauchen. Das schreibt das brandenburgische Rettungsdienstgesetz so vor. Der Rettungswagen aus Ziesar ist in 13 Minuten in Wenzlow. Eine gute Zeit - und dennoch kann es für einen Herzinfarktpatienten schon zu spät sein. Und in ungünstigen Fällen kann sich die Ankunftszeit doch verlängern. Der RTW in Ziesar ist auch für den Autobahnabschnitt bei Wollin zuständig. Wenn es dort kracht, kann der Einsatz schon mal länger dauern, dann müsste bei einem Notfall in Wenzlow der RTW aus Brandenburg (Havel) kommen. Und das dauert länger. Nebel, Glätte, nächtlicher Wildwechsel - all das kann auf dem Land die Ankunftszeit des Rettungswagens zusätzlich verzögern.

Die Überlebenschancen mit einem Infarkt sind auf dem Land schlechter als in der Stadt. Weil sie das nicht akzeptieren wollten, haben Kevin Kujat und seine Kameraden und Kameradinnen die First Responder-Einheit in ihrem Heimatdorf Wenzlow gegründet. "Viele von uns arbeiten im Schichtdienst. Das bedeutet, dass immer ein paar Kameraden oder Kameradinnen im Ort sind. Wir werden also immer die Schnellsten am Einsatz-Ort sein." Ihr Einsatzgebiet umfasst Wenzlow und seine Ortsteile, Wollin und auch die Park- und Rastplätze am nahen Autobahnabschnitt. "Für die Menschen hier auf dem Land bedeutet es viel mehr Sicherheit", sagt Kujat nicht ohne Stolz.

"Es geht wirklich um jede Minute"

In ganz Brandenburg gibt es mittlerweile einige First Responder. Allein im Einzugsbereich der Regionalleitstelle Brandenburg (Havel) - dazu gehört die Stadt selbst, Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming - gibt es acht Einheiten. Von Flächendeckung kann zwar keine Rede sein, aber es müssten auch keine Rettungslücken geschlossen werden, versichert der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in Brandenburg (Havel), Martin Hochstatter.

Das ehrenamtliche Engagement der First Responder, meist Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren, begrüßt er dennoch ausdrücklich - gerade im Hinblick auf Herz-Kreislaufstillstände. "Wir haben ein großes Problem: Das Hirn reagiert sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel. Nach drei Minuten treten Schäden auf, nach fünf Minuten sind die Schäden bleibend. Wenn wir das sogenannte therapiefreie Intervall verkürzen können, können First Responder den Unterschied ausmachen. Es geht wirklich um jede Minute."

Ehrenamt mit großer Wirkung

1.500 Euro kostet die nötige Ausrüstung, ein paar Schulungen müssen sein und ansonsten viel ehrenamtliches Engagement. Das bringen die Kameraden und Kameradinnen der Freiwilligen Feuerwehren ohnehin schon mit. Kevin Kujat hofft, dass noch mehr ihrem Beispiel folgen. "Der Anreiz wäre sicher größer, wenn die Ausrüstung nicht über Spenden besorgt werden müsste. Wenn die Gemeinden, die Landkreise oder das Land da etwas Geld in die Hand nehmen könnten, wäre viel für die Menschen auf dem Land getan."

In Wenzlow reagiert der zusammengebrochene Mann nach diversen Schocks, Beatmung und Medikamenten auf die Ansprache der Rettungssanitärer. Der Übungspatient ist bereit zum Abtransport. Durch die schnelle Hilfe der First Responder, sind nicht nur seine Überlebenschancen gestiegen. Auch die Gefahr von bleibenden Schäden konnte deutlich gesenkt werden.

10:45 Uhr: Übung beendet. Die Kameraden und Kameradinnen um Kevin Kujat können zurück in die Betten oder zum Job.

Sendung: Antenne Brandenburg, 15.01.2023, 14 Uhr

Beitrag von Alexander Goligowski

10 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 10.

    Mein erste Hilfe Ausbilder sagte, allein schon, dass überhaupt einer da ist und beruhigend redet, ist wichtig. Unser First responder ist mit Notfallsanitätern "bestückt" , einfach, weil wir welche haben, Hauptberufliche. Das gibt mir als Einwohner ein besseres Gefühl, ich weiß, dass die Versorgungslage mit jedem Meter südlich auf dem Land schlechter wird.. und so viele ausgebildete Passanten gibt's auf dem Land halt auch nicht wirklich..

  2. 9.

    Ergänzung zur letzten Antwort. Ich habe mal im Oxford Dictionary of English, 3rd Ed. nachgesehen, dort steht: "first responder noun N.Amer. a person whose job entails being the first on the scene of an emergency, such as a firefighter or police officer"; auch wenn dann wohl Ersthelfer nicht ganz die offiziell richtige Übersetzung ist, lag ich da wohl nicht weit weg vom eigenen Verständnis aus dem täglichen Wortgebrauch in UK, vielleicht war das den Engländern um mich auch nicht ganz klar, da es ja eigentlich kein Wort des Englischen im gebräuchlichen Dialekt in UK ist, sondern speziell nur in Nordamerika verbreitet ist, wie das dictionary ja betont.

  3. 8.

    Danke für die Korrektur. Ersthelfer war aber irgendwie naheliegend für mich als Übersetzung, wie das Wort aus dem täglichen Sprachgebrauch eines längeren Aufenthalts in UK kannte.

  4. 7.

    Absolut richtige Einschätzung, welches als komplettes System in der Fläche für die Fläche genau nach dem entsprechend benötigten Zeitfaktor für Rettungsmöglichkeiten überall, über verpflichtende Leitlinien mit einer vollständig ausfinanzierten Material- und Personalstruktur installiert werden muss. Großen Respekt und es ein unermessliches Danke an die Rettungssanitäter und Feuerwehrleute vor Ort und alle weiteren unbekannten Dritten, die dieses System noch "nebenbei" sicherstellen!

  5. 6.

    Wozu den Begriff ins Englische übersetzen, wo doch nun klar ist, dass Helfer vor Ort auch gereicht hätte.

  6. 5.

    Leider falsch.
    Die korrekte deutsche Bezeichnung für den First responder (feststehender Fachbegriff) ist der „Helfer vor Ort“ und nicht der Ersthelfer.

    Der korrekte internationale Begriff ist auch nicht „rescue service“ sondern EMS für Emergency Medical Service.

    Wenn schon Kritik geäußert wird, bitte auf fundierten Grundlagen.

  7. 4.

    Rettungsdienst = rescue service

    Ersthelfer. = First Responder

    man wird international , zumindest verbal

  8. 3.

    "First Responder" dafür gibt es das schöne und gebräuchliche deutsche Wort Ersthelfer.

  9. 2.

    First Responder können bei einem Herzstillstand Leben retten.
    Aber bei einem Herzinfarkt --wie im Beispiel oben-kann nur der Regelrettungsdienst helfen.Und der muss in 15 Minuten da sein.
    Nur wenn der Rettungsdienst rechtzeitig kommt, können schnellstmöglich lebensrettende Medikamente gegeben werden.
    Rettungssanitäter dürfen das nicht. Aber den Hilfebedürftigen wird suggeriert, in wenigen Minuten war ausreichend Hilfe da. Und das kann dann fatal werden, wenn Hilfsfristen immer wieder nicht eingehalten werden.

    Nicht eingehaltene Hilfsfristen verpflichten dazu, evtl. mehr Rettungswagen/Notärzte einzustellen oder Rettungsdienst-Standorte so zu legen, dass von überall aus in 15 Minuten Hilfe da ist.

    Dazu braucht es oft auch Druck von Bürgern. Aber wenn der Eindruck entsteht, innerhalb weniger Minuten sei ja Hilfe da gewesen, kann das nachteilig für die Versorgung lebensbedrohter Patienten sein.

    Ich sehe die First Responder deshalb--auch-- kritisch--

  10. 1.

    Ein tolles und lebensrettendes Engagement. Wir brauchen diese Einheiten in der Fläche. Warum machen da nicht alle Feuerwehren mit? Es gibt diese ehrenamtliche Struktur in der Fläche. Wenn jede Einheit einen AED vorhält und bei einem Kreislaufstillstand alarmiert wird, steigt die Überlebenschance wesentlich. Hier muss der Gesetzgeber mit der Zeit gehen! Die Leitlinien fordern solche Systeme schon längst. Wo ist die Lobby, die dieses Anliegen weiterträgt? Grüße und Anerkennung

Nächster Artikel