Entfernung von Schrotträdern - Was mit Berlins Fahrradleichen passiert

Di 10.01.23 | 18:41 Uhr | Von Laura Kingston
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Ein gelben Zettel vom Ordnungsamt Berlin-Mitte hängt an einem vermutlich herrenlosen Fahrrad am Hauptbahnhof. (Quelle: dpa/Annette Riedl)
Video: rbb|24 | 10.01.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa/Annette Riedl

Berlin ist ein Fahrradfriedhof. Fahrräder werden irgendwo abgestellt - und nie wieder abgeholt. Wieso das mehr als ein Müllproblem für die Stadt bedeutet und warum einige Bezirke gar nichts dagegen tun. Von Laura Kingston

  • Auf Berlins Straßen und Plätzen stehen tausende zurückgelassene "Schrotträder" herum.
  • Zuständig für die Beseitigung sind die einzelnen Bezirke.
  • Polizei wird immer eingeschaltet.
  • Nicht alle tun etwas gegen den Müll.

Das Berliner Auge ist an Müll gewöhnt und der typische Berliner daran, ihn zu ignorieren. Blöd nur, wenn der Müll an Fahrradständern festgekettet ist, die der radfahrende Berliner benutzen will. Die Zahl der sogenannten "Schrotträder" nimmt in Berlin zu. Damit sind Fahrradleichen gemeint, die abgestellt und nie wieder abgeholt wurden. Manche Bezirke hauchen ihnen neues Leben ein, andere lassen sie weiter verrotten.

Hauptbahnhof als Hotspot für Fahrradleichen

Ein grauer Montag im Januar, Berlin Hauptbahnhof. Ronny Höhne steht zwischen einer Menge Fahrräder und versucht, zu entscheiden, welches Fahrrad bloß ein bisschen kaputt und welches richtig Schrott ist - heißt, es hat mindestens einen Platten, unter Umständen auch schon Rost angesetzt. Kurz: Es macht einen verwahrlosten Eindruck. Dann bekommt es eine gelbe Banderole mit dem Hinweis: Der Mensch, dem das Fahrrad gehört, hat vier Wochen Zeit, seinen Schrott abzuholen.

Am Washingtonplatz haben Ronny Höhne und seine Kollegen vom Ordnungsamt Mitte viel zu tun. Der sei ein Hotspot für Fahrradleichen. Höhnes Vermutung: "An allen Bahnhöfen sind ganz viele Fahrräder, die [...] vielleicht sogar irgendwo entwendet wurden und dann halt wieder hier abgestellt, weil man dann einfach irgendwo anders hin ist und sich am nächsten Bahnhof das nächste Fahrrad geholt hat."

Zahlreiche Fahrräder stehen am Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof. (Quelle: imago stock&people)
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Polizei bei allen Schrotträdern informiert

Nach der vierwöchigen Frist schaltet sich der Verein "Goldnetz" ein, meldet die Fahrräder bei der Polizei zur Sachfahndung an. Die Beamten prüfen die Fahrräder auf Diebstahl und melden sich bei den ursprünglichen Besitzern, aber "zu 80 Prozent erhalten wir immer die Freigabe von der Polizei, weil die Besitzerin dann auch tatsächlich sagen: "Mein Gott, nach sechs Jahren habe ich mir vier neue Fahrräder gekauft und die Versicherung hat gezahlt", erzählt Andrea Krebs von "Goldnetz" im Interview mit dem rbb am Montag. Mit "Freigabe" meint sie: die Fahrräder können in ihrer Werkstatt aufgemotzt werden. "Good Bikes" ist ein Projekt zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, die Räder für gute Zwecke wiederherstellen - wie etwa für Geflüchtetenheime.

Ein Schrottfahrrad in Berlin-Peenzlauer Berg (Quelle: imago/T.Seeliger)
| Bild: imago/T.Seeliger

Mehr Schrotträder 2022 als zuvor?

Allein im Bezirk Mitte hat sich die Zahl der markierten Fahrradüberreste von 2021 auf 2022 auf über 1.000 verdoppelt. Und das sind nur die, die auch wirklich markiert wurden. 2020 sollen es nach dpa-Angaben berlinweit 4.000 gewesen [Berliner Zeitung] sein. Eine rbb24-Anfrage an alle Bezirke zu ihren Zahlen im Jahr 2022 deutet darauf hin, dass der Fahrradmüll auf den Straßen mehr geworden ist.

Allein in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln, Reinickendorf, Tempelhof-Schöneberg, Steglitz-Zehlendorf und Pankow waren es im vergangenen Jahr mehr als 3.700 Schrotträder, die von öffentlichen Plätzen entfernt wurden. Mittes Bezirksstadträtin für Ordnung Almut Neumann betont allerdings, dass das auch daran liegen könnte, dass mehr Bürger den Müll durch die App dem Ordnungsamt meldeten. Das sei extrem wichtig, da Menschen ihre Räder "sicher am Hauptbahnhof abschließen können" sollen.

In Spandau kümmerte sich 2022 nach Angaben des Bezirks niemand um die Räder - "aufgrund eingeschränkter Ressourcen". Sowohl die Kosten für die Markierung der Räder als auch die für die Entsorgung der BSR tragen die Bezirke - und damit die Öffentlichkeit.

Umgang mit Schrotträdern unterschiedlich

Nicht allen Fahrradleichen, wie denen in Berlin-Mitte, steht eine Reinkarnation für gute Zwecke bevor. So gibt das Bezirksamt Reinickendorf an, die Räder würden nach der Überprüfung der Polizei direkt von der Berliner Stadtreinigung (BSR) entsorgt, ähnlich verfahren auch Tempelhof-Schöneberg und Pankow – wobei eine Sprecherin des letztgenannten Bezirks angibt, es gebe auch "Kooperationen mit Vereinen", die manche Räder wiederherstellten.

In Steglitz-Zehlendorf werden herrenlose Fahrräder nicht durch das Ordnungs-, sondern durch das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) und "die AGH-Maßnahme der Wendepunkt GmbH gekennzeichnet". Hier würden Langzeitarbeitslose einen Teil für "soziale Zwecke" reparieren. Auch das Ordnungsamt Friedrichshain-Kreuzberg macht Gebrauch von einem gemeinnützigen Unternehmen, um die kaputten Fahrräder entfernen zu lassen.

Sparen Radfahrer an Qualität?

Doch warum lassen so viele ihr Rad einfach stehen und holen es nie wieder ab? Ordnungsamtmitarbeiter Köhne vermutet, dass es sich bei vielen Schrotträdern um kurzerhand gestohlene Fahrräder handelt. Möglicherweise liegt aber auch ein Wandel in der Mentalität der Radfahrer zugrunde.

Reiner Kolberg vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) hält es für möglich, dass viele Menschen nicht "in gute Qualität" investieren. "Bei dem fünften Platten innerhalb kurzer Zeit wird das Fahrrad dann einfach an irgendeine Ecke gestellt", vermutet Kolberg. Im Sinne der Nachhaltigkeit empfiehlt er, sich vorab über die Qualität des Fahrrads zu informieren.

Sendung: rbb24 Abendschau, 09.01.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Laura Kingston

14 Kommentare

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  1. 14.

    Man kann sein Rad schon längst registrieren lassen, bei der Polizei oder beim ADFC oder... Es bekommt dann eine draufgestanzte Nummer samt Info, dass es registriert ist (zusätzlich zur Rahmennummer)und ist bei Diebstahl theoretisch besser wiederzufinden. Praktisch habe ich zum Glück bisher keine Erfahrung damit - wurde noch nicht geklaut
    ; )

  2. 13.

    Die Privathaftpflicht deckt das "Fahrradrisiko" ab. Eine extra Versicherung ist hier nicht notwendig. Außer vll. die "Ganz-Fern-Ost-Billigware" hat jedes Muskelmopped auch eine Rahmennummer - meist unter dem Tretlager. Ich meine, so ganz populistisch könnte man auch einen QR-Code für Fußgänger fordern.

  3. 12.

    Allgemein sollte es, genauso wie es das für Kraftfahrzeuge üblich ist, ein Register für Fahrräder geben. Dadurch können Besitzverhältnisse einfach ermittelt werden und Kosten, die durch die Entfernung entstehen, auch an die richtige Person gelangen.

    Wenn man sein Fahrrad nicht mehr braucht oder will dann ist man verpflichtet dieses zu entsorgen. Den Müll irgendwo länger stehen zu lassen hilft niemandem und die Wiederverwendbarkeit von rostenden Drahteseln ist mehr als fragwürdig.

    Damit es für alle von Vorteil ist muss es zwingend mehr Reglementierungen für das Besitzen und Betreiben eines Fahrrades geben.

  4. 11.

    Schrottfahrräder sind ein bundesweites Problem. Gut finde ich es nicht! Meist sind es Fahrräder die gestohlen wurden, einfach stehen gelassen werden, andere werden nach missglückten Diebstahlversuchen mutwillig von den Dieben demoliert und vom Eigentümer "vergessen". Zur Polizei gehen nur wenige. Aber Berlin hat auch Fundbüros, was ist damit? Z. B. habe ich in SRB eins im Rahmen einer Auktion des FB. ersteigert. Auch bin ich für eine bundesweite Regelung u. das Vereine sie aufarbeiten dürfen.

  5. 10.

    Diese Unmengen an Schrotträdern, die es in der ganzen Stadt finden lassen, zeigt doch die Einstellung der ehemaligen "guten" Fahrradfahrer, der ehemaligen Besitzer, für de Umwelt, ihren Mitmenschen und der Gesellschaft. Alles interessiert diese Ignoranten schlicht nicht. Die Stadt wird ihren Dreck schon wegräumen, mit dem Geld von uns allen !

  6. 9.

    Um so mehr halte ich die Kennzeichen und Versicherungspflicht für Fahrräder erforderlich. Fahrräder benötigen zudem Fälschungssichere Nummer (Fahrgestellnummer), damit zu jeder Zeit der Halter ausfindig gemacht werden kann und die Kosten abgerechnet werden können

  7. 8.

    Schon interessantes Thema.
    Ich weiss garnicht wie verpeilt viele Leute sind.
    Würde ich im Normalfall ein Fahrrad loswerden wollen, schließe ich ein Fahrrad nicht an oder hänge nen Zettel ran zu verschenken.
    Aber nen Fahrrad irgendwo anschließen und nicht mehr abholen, kann ich nicht nicht nachvollziehen. Entweder melden die es dann als gestohlen um von der Versicherung zu kassieren oder haben vergessen (oje) wo sie es angeschlossen haben. . Schon ziemlich verpeilt diese Gesellschaft.

  8. 7.

    Oh, das ist mehr als peinlich. Etwa 500 Meter nördlich des Regierungspalastes Spandau liegt z.B. die Klimawerkstatt. Sollte es da nicht möglich sein eine Art Joint-Venture zu starten? Für die Lokalfürsten mal ein Link dazu:
    https://klimawerkstatt-spandau.de/project/sammelstelle-klimawerkstatt/
    Dann gibt es z.B. noch "Adams Fahrradladen", im Johannesstift die Diakonie - auch das Goldnetz ist zu finden; am Telegrafenweg. Spandau und eingeschränkte Ressourcen - ein Vorschlag wäre, die Damen und Herren, die rund um die Schrotträder fleissig Knöllchen verteilen zum Multitasking anzuhalten. Wenn diese Ordnungsamtmitarbeitenden schon da sind, könnten sie doch gleich ... oder etwa nicht?

  9. 6.

    Ja, die an Kottbusser Tor oder auch am Hermannplatz habe ich auch schon gesehen. Diese Fahrräder oder was davon übrig bleibt, nehmen fast die Hälfte der dort verfügbare Stellplätze weg!

    Auch am S-Bhf Treptower Park... Ein Schrottplatz!

  10. 5.

    Die Räder Den Bedürftigen - nach Aufbau zuzuführen ist sehr gut, die Räder stehen aber deutlich zu lange angeschlossen herum.

  11. 4.

    Vor dem Seiteneingang der Giesensdorfer Grundschule in Lichterfelde steht seit Monaten ein Rad (ohne Sattel); scheint aber niemanden zu interessieren!

  12. 3.

    "Das Berliner Auge ist an Müll gewöhnt und der typische Berliner daran, ihn zu ignorieren."
    Vielen Dank für die ehrliche Einschätzung. Als ich das vor 6 Monaten schrieb wurde es nicht veröffentlicht.

  13. 2.

    Am Kottbusser Tor stehen diverse Schrottfahrräder, die im letzten Sommer schon mal markiert waren immer noch - zum Teil verkehrsgefährdend - angeschlossen an Zäune zwischen Radweg und Gehweg herum.

  14. 1.

    "Das Berliner Auge ist an Müll gewöhnt und der typische Berliner daran, ihn zu ignorieren" wer denkt sowas? Ich will mich weder an den Müll gewöhnen, noch ignorieren. Mich nervt der Dreck. Mich nervt auch diese "überall etwas zumüllen" - Mentalität.
    Der typische Berliner, wer ist das? Die 40% übriggebliebenen Langzeitberliner?

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