Berliner "Regenbogenfamilien" - Queeres Familienleben - endlich Normalität?

Do 20.07.23 | 07:24 Uhr | Von Jonas Wintermantel
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Kinderhände und ein Regenbogen sind an einer Kita zu sehen (Quelle: DPA/Jens Kalaene)
Bild: DPA/Jens Kalaene

Die rechtliche Gleichstellung sogenannter "Regenbogenfamilien" ist in den vergangenen Jahren vorangetrieben worden. Die Praxis aber zeigt: Von einer tatsächlichen Gleichbehandlung kann noch keine Rede sein. Von Jonas Wintermantel

Tausende Kinder wachsen in Deutschland in sogenannten "Regenbogenfamilien" auf. Damit sind Familien gemeint, in denen mindestens ein Elternteil lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich oder nicht-binär ist.

Seit dem 1. Oktober 2017 können Menschen in Deutschland unabhängig von ihrem Geschlecht heiraten. Rechtlich sind sie damit weitestgehend gleichgestellt. In vielen Bereichen haben queere Paare trotzdem noch mit Benachteiligung und Ungleichbehandlung zu kämpfen.

Hauptproblem Abstammungsrecht

Das Abstammungsrecht ist - anders als das Adoptionsrecht - nach der Einführung der Ehe für alle nicht geändert worden. Das geltende Recht sieht zwei Elternstellen für ein Kind vor. Nach Wortlaut des Gesetzes ist das neben der Mutter des Kindes ein "Mann" als "Vater". Ist ein Mann bei der Geburt mit der werdenden Mutter verheiratet, wird er automatisch zum rechtlichen Vater.

Ist beispielsweise eine Frau mit der werdenden Mutter verheiratet, so wird sie nicht automatisch zur rechtlichen Mutter des Kindes. Queere Paare müssen daher auch sechs Jahre nach der Ehe für alle noch den Weg über eine Stiefkindadoption gehen, um die volle Anerkennung ihrer Elternschaft zu erlangen. Die kostet Zeit – und Nerven.

"Irgendwie diskriminiert gefühlt"

Tine* und Marie* aus Berlin sind diesen Weg gegangen. Im Frühjahr 2022 ist ihr Sohn Fabian auf die Welt gekommen. Marie ist die leibliche Mutter, über eine Internet-Plattform hat das Paar einen Samenspender gefunden. Nach der Geburt folgte dann zunächst der Gang zum Notar – dort hat der Spender die Vaterschaft aberkannt.

Für die Adoption mussten Tine und Marie zahlreiche Unterlagen vorlegen: Geburtsurkunde, Ehe-Urkunde, polizeiliches Führungszeugnis beider Mütter, ärztliche Untersuchungen, sowie Einkommensnachweise und Lebenslauf von Tine.

"Das war schon alles ziemlich absurd, was ich da machen musste", sagt Tine heute. "Da haben wir uns zum ersten Mal irgendwie diskriminiert gefühlt. Man bringt dieses Kind auf die Welt und es lebt bei uns - und dann muss man trotzdem diesen Adoptions-Prozess starten und alles Mögliche offenlegen."

Anschließend wurde das Paar von einer Mitarbeiterin des Jugendamtes besucht – die schrieb ein Gutachten darüber, ob Fabian in der Familie gut aufgehoben sei: Wie ist der Umgang der Eltern mit dem Kind? In welchem Zustand ist die Wohnung? Der Besuch dauerte ungefähr 45 Minuten. Zuletzt mussten beide noch einmal zum Familiengericht, wo offiziell die Adoption verkündet wurde.

"Alle Menschen, die wir in diesem Prozess getroffen haben – von Notar über Jugendamt, haben gesagt, es sei eigentlich nicht mehr zeitgemäß, was sie hier machen müssen", sagt Tine. "Wir hatten nie wirkliche Sorgen, aber trotzdem hat es sich einfach nicht gut angefühlt."

"Das Gesetz bildet die Vielfalt der Familien nicht ab"

Noch größere Hürden haben jene Paare zu nehmen, bei denen ein oder mehrere Elternteile nicht-binär, trans- oder intergeschlechtlich sind. Das fängt bereits bei den nötigen Formularen an, die in den allermeisten Fällen binär gehalten sind - das heißt: nur "männlich" und "weiblich" als Geschlecht führen.

"Die rechtliche Anerkennung der Elternschaft ist für die meisten Regenbogenfamilien eine hohe Hürde" schreibt das Regenbogenfamilien-Zentrum Berlin auf Anfrage. "Das Gesetz bildet die Vielfalt der Familien nicht ab." Auch sechs Jahre nach der Ehe für Alle gebe es keine wirkliche Gleichbehandlung zwischen den verschiedenen Familienkonstellationen.

Alternative Modelle, in denen mehrere Erwachsene Verantwortung für ein Kind übernehmen, ließen sich rechtlich überhaupt nicht abbilden, argumentiert das Regenbogenfamilien-Zentrum weiter. Kosten für Kinderwunschbehandlungen würden ausschließlich für heterosexuelle Paare übernommen werden. "Durch die Rechtslage sind Regebogenfamilien oft sehr abhängig von den Personen, die ihre Anliegen bearbeiten." Und das höre nicht bei Kinderwunsch und Adoption auf – auch in Kitas und Schulen gebe es je nach jeweiliger Sensibilisierung noch immer Benachteiligung.

Queere Kitas – leider notwendig?

Antje Kaminski leitete zwölf Jahre die Kita Nestwärme in Berlin-Kreuzberg. Der Trägerverein "Nestwärme e.V." wurde Ende der 1990er Jahre von Menschen mit HIV-positivem Hintergrund gegründet, die eine Betreuung für ihre Kinder suchten. Zu jener Zeit waren fast alle Kinder selbst von der Krankheit betroffen – viele Einrichtungen wollten sie nicht aufnehmen. Zum Verein gehören zwei Kitas, eine Kinder-Freizeit und ein Familienzentrum.

Heute versteht sich die Kita als inklusiver Kindergarten für alle Familien. Trotzdem zieht er auch viele queere Familien an. Das liege auch am geschlechtersensiblen Umgang mit Kindern und Eltern, sagt Kaminski. "Was uns wichtig ist: keine festen Zuschreibungen zu machen, ob das Kind ein Mädchen oder ein Junge ist. Dass man die Kinder eben beim Namen nennt. Wenn wir Eltern ansprechen, dann sprechen wir alle Eltern an, nicht Mutter oder Vater. Wir sprechen von Eltern und Familien."

"Es sollte überall so sein"

Auch bei der Auswahl des pädagogischen Materials, bei Büchern und Abbildungen, möchte die Kita eine möglichst große Vielfalt abbilden. Daneben setzt "Nestwärme" auf die demokratische Beteiligung von Kindern und Eltern – und auf gewaltfreie Kommunikation. "Vor allem hier in Berlin sind wir eigentlich nichts Außergewöhnliches", sagt Kaminski. "Es sollte überall so sein. Nichtsdestotrotz gibt es sicher noch viele Beispiele dafür, dass es nicht so ist."

In diesem Jahr eröffnete die Schwulenberatung zwei queere Kitas in einem Wohnprojekt in Berlin-Schöneberg. Die Teams dieser Kindergärten sind vornehmlich aus LSBTI*-Personen zusammengesetzt. Trotzdem wolle man auch hier allen Kindern und Eltern offenstehen. Schon die Ankündigung des Bauvorhabens rief Kritik hervor, unter anderem die AfD und ihre Jugendorganisation mobilisierten zum Protest gegen die Kita. Hunderte Menschen stellten sich ihnen im Oktober letzten Jahres entgegen.

Der Fall zeigt: Auch sechs Jahre nach der Ehe für alle ist queeres Familienleben - selbst in Berlin - noch keine Selbstverständlichkeit geworden. "Wir begrüßen, dass es Kitas gibt, die Vielfalt abbilden und thematisieren", schreibt das Regenbogenfamilien-Zentrum. "Solange dies leider in noch nicht allen Einrichtungen der Fall ist, braucht es noch diese Schutzräume."

*Namen auf Wunsch geändert

Sendung: rbb24-Inforadio, 20.07.2023, 18:20

Beitrag von Jonas Wintermantel

38 Kommentare

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  1. 38.

    "Warum werden alle in diesen Topf geworfen?" Das ist Politik. Ich kenne genug Schwule, die das auch nicht wollen und die auch eher mit Abscheu auf die Showveranstaltung Christopher Street Day schauen und wer sich das so öffentlich produziert. Im Umgang miteinander spielte es nie eine Rolle, wie die sexuelle Orientierung war.

  2. 37.

    Um es noch einmal etwas deutlicher zu schreiben: Bei allen Veränderungen im Kunstbereich, im Theater, auch in der Politik, so gibt es immer noch Hochburgen einer Homophobie. Nicht nur Bauarbeiterbuden und Autowerkstätten gehören dazu, auch der öffentlich hochgehaltene Bereich des männlichen Profifußballs, in dem homosexuell veranlagte Menschen sich allenfalls nach Ende ihrer Karriere einschlägig "outen" können. Bis dahin gilt zu 100 % (!) das klassische Rollenbild und genau dieses gilt es, in seiner alles erschlagenden Wirksamkeit in Frage zu stellen. Der professionelle Frauenfußball ist da schon ein gewaltiges Stück weiter.

  3. 36.

    Sie hängen offensichtlich sehr am Begriff der NORMalität.

    So wie ich das immer verstanden habe, geht es schlicht und einfach darum, dass genau so, wie es etwas häufig Vorkommendes gibt, es etwas gibt, was weniger häufig vorkommt, wobei das Zweitgenannte eben nichts Schlechteres, Abnormes oder gar zu Beseitigendes ist.

    So lange irgendwelche Nasen gerümpft werden und männliche Fußballstars mit Fistelstimmen bekunden müssen, dass sie doch nie und nimmer einem gleichgeschlechtlichen Kollegen auch nur irgendetwas nachsagten, solange werden solche Kundgebungen nötig sein.

    Im Vergleich zu Polen, Ungarn und Slowenien ist dieses Land vglw. gut dran. Doch es gibt immer noch exterritoriale Bereiche, wo das, was gesetzlich gilt, faktisch nicht gilt.

  4. 34.

    Warum derart intolerant? Gerade die Queere Community, die so viel Toleranz einfordert, sollte doch ihrerseits auch tolerant gegen andersdenkende Menschen sein.

  5. 33.

    Nochmals, ich bin schwul , Gay , homosexuell!!!!
    Aber ich möchte nicht als queer bezeichnet werden!!!
    Warum werden alle in diesen Topf geworfen?

  6. 32.

    Bedauerlicherweise wird das immer mehr verdrängt, daß eben Frauen auch frauenliebende Frauen lieben. Die lesbische Frau als solche verschwindet völlig im 'Queeren'. Es gibt in der Millionen-Weltstadt nicht einen einzigen lesbischen Club oder Ort zum Ausgehen mehr, keine Infrastruktur.
    Das L steht vorn in LGBTIQ, doch häufig sind Lesben in der Community unterrepräsentiert. Sie werden sogar ignoriert, teils diskriminiert wenn es feminine Frauen sind. Im Mainstream sind Lesben unbekannte Wesen, und die Zeiten von Anne Will, Maren Kroyman und anderen sich offen bekennenden lesbischen role models sind such schon etwas länger her, leider.
    Aktuell dazu von Manuela Kay:
    „Lesben finden einfach nicht statt. Weder medial noch politisch noch als Popkultur-Phänomen.“
    Antwort von Manuela Kay, fragt man sie, was sich in den letzten zehn Jahren in Sachen lesbischer Sichtbarkeit getan hat. „Nicht viel, muss man leider sagen, eigentlich gar nichts“, so die Verlegerin und Journalistin.

  7. 31.

    Dem kann ich nur zustimmen. Ich lebe gerne den weiblichen Lebensstil mit Partnerin und das kann man mit gutem Gewissen lesbisch nennen. Da ist nicht queeres dran, da möchte ich auch nicht mit rein. Das darf individuell gesehen und benannt werden!

  8. 30.

    Ich kann das Kind meiner Partnerin, meines Parnters auch an Eltern Statt annehmen. Dann erst bin ich rechtlich auch als Vater oder Mutter eingetragen - bei Adoption sieht´s etwas anders aus. Ich fände das den konsequenteren Schritt als nur zu adoptieren; die Zustimmung aller vorausgesetzt.

  9. 29.

    "[...] Warum erscheint dann immer wieder diesbezüglich ein Artikel? [...]"

    Weil es immer noch engstirnige Menschen wie Sie gibt...

  10. 28.

    ja so reagieren auch nur Männer, die nix anderes kennen als toxische Männlichkeit.

    Haben Sie sich auch noch auf die Brust gehauen als Sie den Kommentar geschrieben haben? Oder erstmal eine ganze Flasche Bier auf einmal ausgetrunken? Nein? Dann sind Sie aber kein richtiger Mann!!!! (Ironie Ende)

    Menschen wie Sie sind es, die den Kindern und Jugendlichen heutzutage ein schlechtes Vorbild sind und Dinge wie ein Coming-Out erschweren.
    Niemand schreibt Ihnen Ihre ach so heilige Männlichkeit ab, nur weil man Sie grob als "Teil der queeren Community" bezeichnet...

  11. 27.

    Yes!!! Queeres Familienleben-endlich Normalität! Die reaktionäre Familie Vater, Mutter u. Kind ist Out.
    Aber das wissen doch die Bürger längst. Warum erscheint dann immer wieder diesbezüglich ein Artikel?
    Das langweilt nur noch! Ach so, das Sommerloch muss gefüllt werden.

  12. 26.

    Sie machen eigentlich genau das, was man ja eigentlich nicht tun soll, Sie hetzen. Es ist egal ob Hetero oder was auch immer. Gleiches Recht für alle.

  13. 25.

    In Teilen geben ich Ihnen Recht. Ich möchte als männerliebender Mann nicht queer oder ein Teilbuchstabe von LSBTQ sein. Ich bin ein Mann! Ergo: Nicht jeder will alles sein im Sinne von queer. Wer das für sich so herausstellen möchte, kann das auch meinetwegen. Ich für meinen Teil bin nicht queer, sondern männlich vom Geschlecht und der Lebensart. Wenn es um die Liebe geht, dann eben richtig schwul.

  14. 24.

    Das ist ja gar nicht herablassend. Ich mag alle Menschen. Mir ist es egal, was sie denken, wie sie leben, wen sie lieben. Aber die mediale Aufmerksamkeit hätten andere Themen auch verdient.

  15. 23.

    Da Sie das mitten im Monat Juli - 'pride month' - in der Woche nach dem CSD schreiben, sind Sie wohl eher nicht so vertraut mit dem Thema? Einmal im Jahr feiert die Community sich selbst. Das muß man nicht mögen, aber herablassende Kommentare sind jetzt auch nicht wirklich angebracht.

  16. 22.

    Nachdem es hier einige belehrende und wenig verständnisvolle Kommentare gab, schreibe ich nun doch - es geht mir auch so. Nachdem es Jahrzehnte der Selbstbefreiung brauchte, daß wir und als Community die Begriffe lesbisch und schwul zurückerobert hatten, die Beleidigung als Konotation entfernt haben und sie zu neutralen Worten gemacht hatten, kam dann 'queer' Die lange Geschichte dieses Wortes - aus den USA - lasse ich jetzt mal weg. Es kam gleichzeitig mit "Dekonstruktivismus" und political correctness von den ivy universities. Auch nach meienr Wahrnehmung gibt es viele Menschen die sich bewußt nicht als queer, sondern als lesbisch /schwul bezeichnen im Sinne der Selbstermächtigung, die ja heuzutage so beschworen wird. Damit bleibt das biologische Geschlecht sichtbar und kennzeichnet z.B. die vor-butlerische Perspektive auf die Geschlechterdiskussion.

  17. 21.

    Nennen Sie mir doch mal eine vermeintliche Belehrung. Und manche fühlen sich auch schon durch das Anführen von Fakten angegriffen und beleidigt.

  18. 20.

    machen Sie sich eigentlich Gedanken, ob ihre Belehrungen von manchen als beleidigend empfunden werden könnten?

  19. 19.

    Was das Thema Abstammung betrifft, so kann man sicherlich bald (Crisper + Künstliche Gebärmutter) dafür sorgen, das auch 2 Väter/Mütter Kinder bekommen können… (Obwohl es natürlich besser wäre, sie würden eines Adoptieren!)

    In einer klassischen Ehe wird einfach nur angenommen, das der Mann, der Vater ist, und deshalb Sorgerechts und Unterhaltspflichtig ist, aber das auch nur solange, bis das Gegenteil bewiesen ist.

    Handelt es sich um ein "Kuckuckskind", kann es Adoptiert werden, oder der Betrogene fordert Rückzahlung breits geleisteten Unterhalts.

    Ohne die Adoption nach bekanntwerden, hat der bisher geglaubte Vater jedenfalls kein Sorgerecht mehr!
    Es erlischt nicht nur, sondern ist (m.E.) defacto Rückwirkend von Anfang an unwirksam!

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