Berliner Lagebild - Mehr Deutsche unter mehr Clankriminellen

Sa 12.08.23 | 13:34 Uhr | Von Olaf Sundermeyer
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Ein Mann wird am 18.02.20231 bei einer Razzia in Berlin, mit einer Decke über dem Kopf, von der Polizei abgeführt. (Quelle: Picture Alliance/Christophe Gateau)
Video: rbb24 Abendschau | 12.08.2023 | Olaf Sundermeyer | Bild: Picture Alliance/Christophe Gateau

Die Zahl der Kriminellen aus arabisch-türkischen Clans steigt - ebenso der Anteil deutscher Staatsangehöriger unter ihnen. Abschiebungen werden seltener möglich, ein Aussteigerprogramm ist nicht in Sicht, und Vermögensabschöpfung gelingt kaum. Von Olaf Sundermeyer

Clankriminelle aus Deutschland abschieben – das sei keine umfassende Lösung mehr für dieses über Jahrzehnte gewachsene Kriminalitätsphänomen. Darüber herrscht unter den Fachleuten in Landeskriminalämtern und Staatsanwaltschaften der durch die Clankriminalität besonders betroffenen Bundesländer seit Jahren Einigkeit.

Dafür sei es längst zu spät - einige hätten sich entsprechende politische Initiativen vor zwei bis drei Jahrzehnten gewünscht, als das Thema noch politisch tabuisiert wurde.

Denn annährend die Hälfte der Clankriminellen in Deutschland sind inzwischen deutsche Staatsangehörige - auch in Berlin (2022: 44,7 Prozent), wo der Anteil im Vorjahresvergleich weiter gestiegen ist (2021: 42,5). Das geht aus dem aktuellen "Lagebild Clankriminalität 2022" des Landeskriminalamtes (LKA) in der Hauptstadt hervor.

Insgesamt weist das Lagebild 582 Personen als Clankriminelle aus (2021: 519), und damit um 12 Prozent mehr als im Vorjahr. 872 Straftaten wurden gezählt (2021: 849). Klar wird auch, dass die jahrelangen politischen Forderungen nach einem Ausstieg von Clankriminellen sowie danach, den Clans das kriminell erwirtschaftete Geld wieder abzunehmen, in Berlin kaum erfüllt werden können.

Annähernd die Hälfte der Clankriminellen sind deutsche Staatsbürger

Carsten Szymanski, als Abteilungsleiter beim LKA für Auswertung und Analyse zuständig, geht davon aus, dass der Anteil der deutschen Staatsangehörigen unter den Clankriminellen weiter zunehmen wird. "Vorangegangene Generationen sind eingewandert - oft als Staatenlose. Es sind Kinder geboren worden. Und diese Kinder sind deutsche Staatsangehörige. In Berlin geboren, in Berlin groß geworden, und insofern auch Berliner", sagte er im Gespräch mit dem rbb. Die wiederkehrende pauschale Forderung, öffentlich bekannte Clankriminelle abzuschieben, sei "an dieser Stelle unsinnig".

Dagegen zeigten die wenigen erfolgreichen Abschiebungen von Berliner Clankriminellen, etwa in den Libanon (2022: 14,95 Prozent der Clankriminellen sind libanesische Staatsangehörige), "durchaus Wirkung". Das Land kooperiert seit einigen Jahren beim Umgang mit Clankriminellen in besonderer Weise mit den Berliner Sicherheitsbehörden, anders als beispielsweise die Türkei (2022: 4,81 Prozent der Clankriminellen sind türkische Staatsangehörige).

Das Berliner "Lagebild Clankriminalität" bezieht sich ausschließlich auf Personen aus türkisch-arabischen Großfamilien, anders als beispielsweise in Niedersachsen, wo auch die Kriminalitätsbelastung anderer geschlossener ethnischer Gruppen analysiert und der Clankriminalität zugeordnet werden (für 2022 am Beispiel einer besonders kriminalitätsbelasteten Roma-Großfamilie). In Nordrhein-Westfalen gibt es nach rbb-Informationen einen aktuellen Minister-Erlass, demnach künftig auch originäre Großfamilien aus Syrien im jährlichen Lagebild Clankriminalität analysiert werden sollen.

Berlin rechnet den Clankriminellen 2022 zu 2,06 Prozent Menschen zu, die sich als syrische Staatsbürger ausweisen. Das sind 12 Personen (2021: 2,50 Prozent). Nach rbb-Informationen gibt es in Sicherheitskreisen Nachweise dafür, dass einige der seit langem in Deutschland lebenden Mitglieder polizeibekannter türkisch-arabischer Clans im Zuge der Flüchtlingskrise nach 2015 syrische Pässe vorgelegt haben, und seither als syrische Staatsbürger gelten.

Der aktuelle Vorschlag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Abschiebung von Clankriminellen, die strafrechtlich als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung behandelt werden, kann sich insgesamt also nur auf eine immer kleiner werdende Gruppe der Clankriminellen beziehen. Der Vorschlag gilt als politisch umstritten, zudem juristisch schwierig umsetzbar.

Unter den deutschen Staatsangehörigen sind zahlreiche Straftäter aus polizeibekannten Clans, die sich in den vergangenen Jahren unter den Augen der Hauptstadtöffentlichkeit radikalisiert haben - bis zum Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum oder dem Einbruch ins Grüne Gewölbe und dem Juwelendiebstahl in Dresden. Auch für den Einbruch in einen Tresorraum in der Fasanenstraße in Charlottenburg im November 2022 macht das LKA mindestens drei Clan-Mitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit verantwortlich. Bei dem Coup haben die Täter eine Beute im Wert von fast 50 Millionen Euro gemacht.

Statistisch bleiben es allerdings Einzeltaten. Am häufigsten wurden Betrugsstraftaten (125) gezählt, Verkehrsstraftaten (122) und Rohheitsdelikte (120). Insgesamt neun Verfahren der Organisierten Kriminalität (OK) mit Clan-Bezug weist das LKA für 2022 auf rbb-Nachfrage aus (201: 15 OK-Verfahren): Im Lagebild sind diese noch nicht offiziell erfasst.

Aussteigerprogramm für Clankriminelle gibt es bis heute nicht

Clankriminalität bleibt ein Berliner Problem, für das der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) 2018 einen 5-Punkte-Plan entwickelt hatte. Auf diesem Konzept fußt auch das aktuelle Lagebild des LKA: Unter anderem sollte ein Aussteigerprogramm her, das es bis heute nicht gibt. Zum Leidwesen des Berliner LKA, das in seinem Lagebild auf die Notwenigkeit eines Aussteigerprojekts hinweist. Auf Nachfrage erklärte Carsten Szymanski: "Wir hatten schon mal einen Fall, um den wir uns intensiv gekümmert haben. Und da gab es zum Beispiel die Schwierigkeit, einen männlichen jungen Mann unterzubringen. Dafür gibt es keine Unterbringungsmöglichkeit."

Innensenatorin Spranger fordert Beweislastumkehr

Als zweiter wesentlicher Punkt und politische Forderung galt stets, den Clans das kriminelle Vermögen wieder wegzunehmen. Auch das gelingt nur in sehr überschaubarem Maße. LKA-Abteilungsleiter Szymanski berichtet von "Vermögen im oberen fünfstelligen Bereich", das bei den Clankriminellen 2022 erfolgreich eingezogen werden konnte. Auch deshalb stellt das LKA in seinem Lagebild die Forderung nach einer gesetzlichen Beweislastumkehr auf. Im Zuge der Beweislastumkehr müssten Tatverdächtige - und nicht wie bisher die Strafverfolgungsbehörden - den Nachweis erbringen, dass ihre Vermögenswerte legal erworben wurden.

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) machte daraus in ihrer Bewertung des Lagebildes einen konkreten politischen Vorschlag: Als Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder fordert sie eine gesetzliche Beweislastumkehr im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität nach dem italienischen Vorbild im Kampf gegen die Mafia. Sie wolle diesen "wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" mit ihren Amtskollegen voranbringen. Mit dem bisherigen gesetzlichen Instrument zur Vermögensabschöpfung stoße man - so Spranger - bei der Einziehung illegal erlangten Vermögens aus Immobilien oder Luxusautos immer wieder an Grenzen.

Sendung: radioeins, 12.08.2023, 12 Uhr

Beitrag von Olaf Sundermeyer

33 Kommentare

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  1. 33.

    Inwieweit ist eine Entwicklung analog zur "Einbettung" der italienischen Mafia-Clans zu erwarten,
    die heutzutage kaum noch von der Gesellschaft wahrgenommen werden?

  2. 32.

    "Ich habe auf der Arbeit viele Türken getroffen, aber auf die Frage, ob sie Deutsche seien, sagten alle: Nein, sie seien Deutsche Türken." Was ist daran auszusetzen? Wenn Sie einen Sorben fragen, wird der Ihnen u.U. auch stolz sagen, daß er natürlich Sorbe ist. Ich sehe da überhaupt kein Problem, die können trotzdem alle gute deutsche Staatsbürger sein und sind sicher auch allermeisten super integriert in die Gesellschaft.

  3. 31.

    ....ich sehe das auch so. Hoffe das ist korrekte Sichtweise. Bissel wirr das alles.....

  4. 30.

    Ich habe auf der Arbeit viele Türken getroffen, aber auf die Frage, ob sie Deutsche seien, sagten alle: Nein, sie seien Deutsche Türken.

  5. 29.

    Deutsch ist Deutsch. Punkt!

  6. 28.

    JEIN ...

    "Seit dem Jahr 2000 erwerben Kinder von ausländischen Eltern bei Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt."
    oder ein Elternteil die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

  7. 27.

    "Dann ist die andere Staatsbürgerschaft weg." Wenn Sie der andere Staat aus seiner Staatsbürgerschaft entläßt - das tun nicht alle Staaten oder zumindest nicht so einfach, das Sie dann als potentieller Wehrdienstleistender nicht mehr gezogen werden könnten.

  8. 26.

    "Wer hier geboren wird, bekommt die deutsche Staatsbürgerschaft." Das entspricht nicht dem gültigen deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Sie haben wahrscheinlich zu viele Filme aus den USA gesehen, dem Recht dort würde es entsprechen.

  9. 25.

    Absoluter Humbug, den Sie hier behaupten, Siggi. Bei der Reform des Disziplinarrechts gehts nicht darum, kritische Beamte, die "rechrslastig eingestellt" [sic] sind, eine besondere Nachweispflicht ihrer Gesetzestreue aufzuerlegen, sondern in der Hauptsache darum, bei bspw. nachgewiesenen Volksverhetzungsdelikten eine beschleunigte Aberkennung des Beamtenstatus zu erwirken. Der Rechtsschutz der Betroffenen bleibt dabei wie bisher gewährleistet.

  10. 24.

    FALSCH.
    Alles und jedes kann umgangen werden, es ist lediglich ein Frage des Preises.
    Wenn ich mein Geld Gold und Wertsachen vor der Willkür der Märkte und Betrüger über mehrere Jahre nicht in deren Tresore hinterlege, dafür nicht die Belege gesammelt habe, bin ich nach ihrem Willen im Arsch.

  11. 23.

    Sie irren.
    Die USA verlangen nicht, dass man sich für nur eine einzige Staatsbürgerschaft entscheidet. Allerdings muss man einen Antrag stellen wenn man die alte nach Einbürgerung beibehalten möchte.

  12. 22.

    Ein Berliner Exit-Programm ist seit 5 Jahren Planung. Na toll. Wer aus clankriminellen Strukturen aussteigen will oder auch nur mit dem Gedanken spielt, sollte unbedingt die Möglichkeit dazu bekommen. Klappt mitunter auch bei Rechten.

  13. 21.

    Das hat Fr. Faser doch schon versucht. Sie möchte, dass kritische Beamte und Angest.
    Im ö. D. nachweisen dass sie nicht rechrslastig eingestellt sind.

  14. 20.

    Wer hier geboren wird, bekommt die deutsche Staatsbürgerschaft. Was finden Sie daran zu großzügig?

  15. 19.

    Ja was nun?
    Dann sind das offenbar jetzt deutsche Familien - ob kriminell oder nicht, entscheidet hier immer noch ein Richter/in. Auf jeden Fall nicht die Innenministerin. Und das muss so bleiben.

  16. 18.

    "Bei der Organisierten Kriminalität gehts um ganz andere Summen. Vergleichen Sie mal die im Beitrag genannten 50 Mio Beute von einem Einbruch mit dem Bürgergeld. "

    BB, frei übersetzt. Was ist das größere Verbrechen? Eine Bank zu gründen oder eine zu überfallen?

    Über die sog. "Clans" lachen sich die "Profis" doch ins Fäustchen... Deutsche Bank, Warburg, Wirecard...

  17. 17.

    "Eigentlich ist es doch viel einfacher: Bezieher*innen staatlicher Unterstützung müssen ihre Vermögenswerte zunächst aufbrauchen, bevor Hilfen gewährt werden."

    Falscher Ansatz, denn genau das wird doch bereits praktiziert.

    "Also können sie kaum genug Bargeld für all die Auto-, Immobilien- und Geschäftskäufe haben, die sie tätigen. "

    Wieder falscher Ansatz. Wir bräuchten ein effektives Geldwäsche Gesetz. Nicht die Abschaffung von Bargeld aber wie kann es sein, dass man heute z.B. immer noch Immobilien oder Gold, Edelsteine mit Bargeld kaufen kann? Ohne Nachweis woher das Bargeld stammt? Also braucht es eine Höchstgrenze. Warum kommt diese überfällige Gesetz nicht?

    Weil damit eine aktive Regierungspartei ihre eigene Klientel treffen könnte?

  18. 16.

    Es ist vielleicht nicht der fetteste Punkt in der Debatte, aber ich habe das Gewese der Doppelten Staatsbürgerschaft vor ein paar Jahren in Berlin nicht verstanden. Wenn ich hier lebe und meinen Lebensmittelpunkt hier habe, kann ich die Deutsche Staatsbürgerschaft annehmen - muss aber nicht. Wenn ich mich dafür entscheide, prima, ehrlich herzlich willkommen! Dann ist die andere Staatsbürgerschaft weg. Wenn es hier so übel ist, dass man die alte Staatsbürgerschaft behalten will, warum um Himmelswillen wandert man dann ein? Eine klare Entscheidung. Ist das in diesem Punkt zuviel verlangt? Das Getue mit: Nee, kann man nicht zumuten, 3. (!) Generation von Einwanderern. In die USA zB wandert man ein, leistet einen Eid, kann und konnte seine Heimatkultur pflegen wie man will, aber die alte Staatsbürgerschaft ist weg, und fertig.

  19. 15.

    Und das bringt genau was? Unberechtigt kassierte Sozialleistungen sind hier noch nicht mal Peanuts. Bei der Organisierten Kriminalität gehts um ganz andere Summen. Vergleichen Sie mal die im Beitrag genannten 50 Mio Beute von einem Einbruch mit dem Bürgergeld. Davon abgesehnen: Wer Schwarzgeld hat, wird es bestimmt nicht: 1. angeben und 2. aufbrauchen vor der Antragsstellung für egal was.

  20. 14.

    Eigentlich ist es doch viel einfacher: Bezieher*innen staatlicher Unterstützung müssen ihre Vermögenswerte zunächst aufbrauchen, bevor Hilfen gewährt werden. Also können sie kaum genug Bargeld für all die Auto-, Immobilien- und Geschäftskäufe haben, die sie tätigen. Unlautere Notare und Anwälte, Datenschutzvorschriften und fehlende Zusammenarbeit der Behörden sind die Stellen, die Kriminellen in die Hände spielen.

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