Brandenburger Jugendstudie - Generation "Gesund leben und Geld verdienen"

Mo 18.09.23 | 19:49 Uhr | Von Thomas Bittner
Symbolbild: Junge Erwachsene besprechen sich auf einer Baustelle mit ihrem Bauleiter. (Quelle: imago images/Monkey Business)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 18.09.2023 | S. Teistler | Bild: imago images/Monkey Business

Die jüngste Untersuchung von Lebensbedingungen und Einstellungen Jugendlicher in Brandenburg zeigt: Für die junge Generation sind materielle Absicherung und ein gutes Leben wichtiger als Demonstrationen und Wahlen. Von Thomas Bittner

  • Neunte Studie mit über 3.000 Befragten seit 1991
  • Lebenszufriedenheit ist gestiegen, aber auch das Gefühl der „Fremdbestimmtheit“
  • Corona-Pandemie erscheint nicht mehr bedrohlich, aber die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine

Brandenburgs Jugend ist erforscht wie kaum eine andere Altersgruppe. Seit über 30 Jahren untersucht das Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung die Generation "Oberschule". Alle paar Jahre werden jeweils über 3.000 Schülerinnen und Schülern – die jüngsten sind noch nicht 14 Jahre alt, die Älteren schon über 18 – Fragebögen vorgelegt. Mit den Antworten beschreiben sie ihre Welt. Das reicht von den Erfahrungen in Familie und Schule, von Freizeit und Sport bis hin zum Interesse am politischen Leben. Die aktuelle Studie ist bereits die neunte seit 1991. So lassen sich lange Zeitreihen vergleichen.

Die letzte Befragung stammt aus dem Jahr 2017, damals war von gestiegenem Optimismus und gewachsener Zufriedenheit die Rede, auch von steigendem Interesse an Politik. Seit 2017 ist viel passiert. Die Corona-Pandemie hat auch das Leben von Jugendlichen komplett durcheinandergeworfen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat für neue Ängste gesorgt, auch bei den Jüngeren. Inflation und Energiekrise haben die Preise ansteigen lassen.

Corona-Pandemie nicht mehr bedrohlich

Was kommt davon bei den Jugendlichen an? Die Corona-Pandemie wird heute von nicht mal zehn Prozent als "sehr bedrohlich" empfunden, selbst die Staatsverschuldung erscheint der jungen Generation als größere Bedrohung. Die akute Virus-Gefahr scheint verflogen. Und trotzdem haben die Lockdowns, Schulschließungen und das weggebrochene Freizeitangebot Spuren hinterlassen. Jeder dritte Jugendliche fühlt sich "fremdbestimmt". Das Gefühl, des "eigenen Glückes Schmied" zu sein – wie es Studienleiter Andreas Pöge nennt - scheint zu schwinden. Und wo das Gefühl der "Fremdbestimmtheit" wächst, steigen auch ausländerfeindliche und rechtsextreme Einstellungen, zeigt die Studie.

Immerhin: Die Anfälligkeit für solches Gedankengut ist nach einer Zunahme im Jahr 2017 jetzt wieder etwas gesunken. 14 Prozent stimmen rechtsextremen Aussagen zu, 2017 waren es fast 16 Prozent. 1993 waren es noch fast 25 Prozent. Ein Grund zur Erleichterung ist das alles nicht.

Knapp die Hälfte will Ende der Schuld gegenüber Juden

Die Mehrheit der befragten Jugendlichen ist zwar der Meinung, man solle Ausländer willkommen heißen (64,9 Prozent), sie seien eine Bereicherung für Deutschlands Kultur (50,5 Prozent) und sollten auf dem Arbeitsmarkt gleiche Chancen bekommen (89,1 Prozent).

44,1 Prozent hingegen finden, es gebe in Brandenburg zu viele Migranten. Die knappe Hälfte (47,2 Prozent) meint, dass "Schluss mit dem Gerede über unsere Schuld gegenüber den Juden" sein solle. Jeweils ein knappes Viertel (24 Prozent) ist der Meinung, der Nationalsozialismus habe "auch seine guten Seiten gehabt" und die Deutschen seien "anderen Völkern überlegen" (22,8 Prozent). Diese Einstellungen seien vor allem an Oberschulen und Oberstufenzentren verbreitet.

Angst vor Atomkrieg

Eine Mehrheit der Jugendlichen hat Angst davor, dass der Ukraine-Krieg bis in die eigene Familie wirkt. Fast 70 Prozent befürchten, dass es zu einem Einsatz von Atomwaffen kommt und dass der Krieg noch sehr lange dauert. Zwei Drittel befürchten, dass sich der Krieg auch auf Deutschland ausweitet und dass deutsche Soldatinnen und Soldaten im Krieg kämpfen müssen. Dass eine Generation im Fast-Soldatenalter solche Ängste benennt, ist neu.

Wächst da eine Jugend heran, die sich fürchtet? Mitnichten. Es ist eher eine Generation, die sich ins Private zurückzieht. Junge Leute sind heute besonders zufrieden mit ihrem persönlichen Umfeld. Das Verhältnis zu den Eltern, die Beziehungen zu Freunden und Bekannten scheinen meist ungetrübt, mehr als 90 Prozent sind damit zufrieden.

Immer wieder wird mir gesagt, dass Kinder und Jugendliche zwar gehört werden, es mit dem Anhören aber endet. Das muss sich ändern

Katrin Krumrey, Brandenburgs Kinder- und Jugendbeauftragte

87 Prozent finden es wichtig, "viel Geld zu verdienen"

Die Top 5 der Lebensziele zeichnen das Bild einer aktiven Gruppe. Man wolle "gesund leben" (96 Prozent), eine "erfüllende Arbeit haben" (95 Prozent), das "Leben genießen" (94 Prozent), "materiell abgesichert" sein (94 Prozent) und "für andere da sein" (93 Prozent). Dass es 87 Prozent für bedeutsam halten "viel Geld zu verdienen" und 70 Prozent, "ohne Anstrengungen angenehm zu leben", mag da befremdlich wirken, aber das sehen die Forscher eher als Reaktion auf die Unsicherheiten in Krisenzeiten.

Im Widerspruch dazu steht das politische Interesse. Ein Drittel will später mal "aktiv am politischen Leben teilnehmen", 2017 war das noch fast die Hälfte. Nur 52 Prozent der Befragten können sich vorstellen, später wählen zu gehen. Etwa 60 Prozent wollen "unter keinen Umständen" einer Partei oder deren Jugendorganisation beitreten. Und jeder Dritte (37 Prozent) will "unter keinen Umständen" an einer Demonstration teilnehmen.

Das hat offensichtlich damit zu tun, dass sich Jugendliche nicht wahrgenommen fühlen. Die Kinder- und Jugendbeauftragte des Landes, Katrin Krumrey, erzählt: "Immer wieder wird mir gesagt, dass Kinder und Jugendliche zwar gehört werden, es mit dem Anhören aber endet. Das muss sich ändern."

Zu wenig Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche

Wo haben Jugendliche die Erfahrung gemacht, dass sie wirklich gefragt werden? Nicht einmal 20 Prozent erinnern sich daran, dass sie an der Auswahl der Schulessen-Anbieter beteiligt waren. Noch weniger wurden gefragt, wie Sportanlagen oder Spielplätze gebaut werden sollten (17 Prozent ). Und selbst die Gestaltung des eigenen Schulhofs ging an über 70 Prozent der Jugendlichen vorbei.

Das sind keine guten Werte für wirkliche Beteiligung. Krumrey fordert ein Rede- und Antragsrecht in den kommunalen Ausschüssen für Kinder und Jugendliche. Ob das ausreicht, um die Generation Z und ihre Nachfolger für mehr politische Teilhabe zu gewinnen, scheint ungewiss. Deshalb wird auch in den Schulen mehr passieren müssen. Eigene Schülerbudgets, über die die Klassen selbst entscheiden müssen, seien in Planung, heißt es aus dem Bildungsministerium.

Großteil sorgt sich nicht um künftigen Arbeitsplatz

Ganz unbescholten ist die nachwachsende Generation nicht mehr. Jeder oder jede Zweite ist im letzten Jahr schon mal "schwarzgefahren", vor fünf Jahren haben das 38 Prozent zugegeben. Und der Anteil, der schon mal "was geklaut" hat, ist von elf auf rund 24 Prozent gestiegen. Für die Jugendbeauftragte Krumrey ist das auch ein Zeichen dafür, dass in vielen Familien "der Geldbeutel knapper" geworden sei. Aber auch sonst scheint das Gefühl fürs Risiko zu schwinden. Etwa jeder vierte Jugendliche ist letztes Jahr mindestens einmal ohne Fahrerlaubnis Moped, Motorrad oder Auto gefahren, vor fünf Jahren waren es noch 21 Prozent. Rund sieben Prozent haben in den letzten 12 Monaten Erfahrung mit Alkohol im Straßenverkehr gemacht, genauer: Sie sind selbst unter Alkoholeinfluss gefahren.

Wenigstens um eines machen sich die meisten überhaupt keine Sorgen: dass sie einen Job finden. Das unterscheidet die Jugendlichen von heute von der Nachwendegeneration der 1990er Jahre. Heute sagen 87 Prozent: Ich werde einen sicheren Arbeitsplatz finden. Und 82 Prozent der Befragten sind sich sogar sicher, dass der eigene Berufswunsch in Erfüllung geht. Eine No-Future-Generation wächst da offensichtlich nicht heran.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 18.09.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

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