Viele Kirchenaustritte - Wie die Kirche probiert, junge Menschen zu werben

So 26.11.23 | 08:14 Uhr | Von Helena Daehler, Christina Rubarth und Julian von Bülow
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Kreuz in der Kirche.(Quelle:rbb)
rbb
Video: rbb24 Abendschau | 21.11.2023 | Helena Daehler | Bild: rbb

Angesichts vieler Austritte versucht die Kirche, für junge Menschen attraktiver zu werden. Moderne Gottesdienste und unkonventionelle Aktionen in Kirchenräumen sollen dabei helfen. Ob das Erfolg hat, ist ungewiss. Von H. Daehler, C. Rubarth und J. von Bülow

In einem Gemeindehaus der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde von Bad Belzig trifft sich die 17-jährige Alexia Scholz jeden Samstag mit anderen christlichen Jugendlichen. Sie kochen, singen, sprechen über ihre Erlebnisse mit Gott und beten. "Die Kirche hat mir einfach nochmal ein anderes Zuhause gegeben. Hier lerne ich Leute kennen, die genauso denken wie ich."

Alexia Scholz.(Quelle:rbb)
Alexia Scholz | Bild: rbb

Alexias Eltern sind nicht besonders religiös, sagt sie. Der Religionsunterricht in der Schule habe ihre Neugier geweckt, so sei sie dann auch zur freikirchlichen Gemeinde gekommen. Laut einer Studie der evangelischen Kirche Deutschlands sind das Elternhaus und der Religionsunterricht zwei der am häufigsten genannten Gründe, warum sich Menschen als religiös bezeichnen und sich der Kirche zuwenden.

Viele Kirchenmitglieder erwägen Austritt

Der allgemeine Trend geht allerdings weit weg von der Kirche. Die Studie zeigt: 65 Prozent der evangelischen und 73 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder erwägen einen Kirchenaustritt. Dabei spielen Gleichgültigkeit gegenüber den Themen Religion und Kirche bei den Protestant:innen eine große Rolle. Katholik:innen geben als mögliche Austrittsgründe vor allem Wut und Enttäuschung über die Kirche an.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht große Unterschiede zwischen dem Austrittsverhalten in Großstädten und in ländlicheren Gegenden. “In einer großen Stadt wie Berlin fehlt die soziale Kontrolle komplett, und die Kirche erreicht die Menschen schlechter.“ Dabei mache die Kirche eigentlich vieles richtig und versuche unter anderem, nah bei den Menschen zu sein: "Trotzdem kommen nicht mehr Menschen zur Kirche. Das hat auch damit zu tun, dass die meisten in unserer Gesellschaft gar nicht wissen, was in der Kirche abläuft." Ein Angebot für junge Menschen könnte beispielsweise die Nutzung von kirchlichen Gebäuden sein. "Es gibt ganz großartige Räume mit der Möglichkeit, Musik oder Lichteffekte anzumachen."

Cosplay-Shootings und Elektrogottesdienste

Solche neuen Wege probiert Pfarrerin Ulrike Wohlrab in der evangelischen Golgatha Kirche in Berlin-Mitte aus. Sie öffnet an einem kühlen Novembersonntag die Kirche für Cosplay-Fans. "Allein dass Menschen in die Kirche kommen, ist für mich ein sehr schönes Zeichen und ich freue mich sehr, diesen Raum dafür offenhalten zu können." Rund zwei Dutzend junge Menschen, verkleidet als japanische Comic-Charaktere, nutzen an diesem Tag die Kirche als Foto-Location. Dass viele von ihnen gar nicht gläubig sind, spielt für Wohlrab keine Rolle.

Cosplayer Ronja.(Quelle:rbb)Cosplayer Ronja

Eine der Jugendlichen ist Ronja. Sie posiert als Engel vor einem Kirchenfenster. Ihr Kostüm mit den riesigen weißen Flügeln hat sie selbst gemacht. In Ronjas Alltag spielen Kirche und Religion keine Rolle. "Bei Kirche denke ich an eine geschlossene Gesellschaft. Dass hier sowas ermöglicht wird, finde ich unheimlich toll, fortschrittlich und modern."

Ulrike Wohlrab.(Quelle:rbb)
Ulrike Wohlrab | Bild: rbb

Für Pfarrerin Wohlrab ist der Sonntagnachmittag mit den Cosplayer:innen auch eine Gelegenheit, Werbung zu machen für eine Kirche, die ein attraktiver "Safespace" für junge Menschen sein kann: "Hier ist ein Ort für Euch und hier seid Ihr geliebt, angenommen, so wie Ihr seid, verkleidet oder nicht verkleidet, vor Gott. Das ist meine eigentliche Botschaft: Gott liebt alle Menschen." In der Golgatha-Kirche gab es bereits mehrere unkonventionelle Angebote wie einen Gottesdienst zu elektronischer Musik oder ein Tauffest im Schwimmbad.

Punkten kann die Kirche laut der Studie vor allem mit sozialen Projekten. Rund die Hälfte aller Katholik:innen und Protestant:innen geben an, dass das soziale Engagement der Kirche ein Grund ist für ihre Mitgliedschaft. Gleichzeitig sind Hilfsbereitschaft, Solidarität und Nächstenliebe auch längst säkulare Werte geworden, gibt der Religionssoziologe Pollack zu bedenken - damit allein seien Jugendliche kaum für die Kirche zu gewinnen. "Andere Dinge sind wichtiger als die Fragen des Glaubens und der Kirche. Da noch einmal den Zugang zu finden, nachdem man sich davon abgewandt hat, ist im Grunde fast unmöglich."

Aufgeschlossener gegenüber Homosexuellen

Alexia und die anderen jugendlichen Gemeindemitglieder der evangelischen Freikirche in Bad Belzig erleben beim Ausleben ihrer Religion auch Konfliktpotenzial mit traditionelleren Kirchgänger:innen, da sie beispielsweise aufgeschlossener gegenüber homosexuellen Beziehungen sind oder lieber englischsprachige Liedern singen würden in der Kirche.

Daniel Schmid.(Quelle:rbb)
Daniel Schmid | Bild: rbb

Daniel Schmid spielt bei den Jugendtreffen am Samstag oft Gitarre. Die anderen singen dazu. "Wir finden es einfach spannender, unsere Gottesdienste selbst zu organisieren, (…) Es ist nicht nur einfach 'jemand hält eine Predigt und redet dann für eine Stunde', sondern wir haben wirklich offenen Austausch, Diskussionen, die dann wirklich auch über den ganzen Abend gehen." Religiöse Themen spielen dabei genauso eine Rolle wie private. An einem Abend wird diskutiert, welche Rolle der Reformationstag hat und an einem anderen, wie man persönlich am besten mit Trauer umgeht. Für ihn werde die Kirche auf diese Weise von einem langweiligen zu einem lebendigen Ort.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.11.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler, Christina Rubarth und Julian von Bülow

69 Kommentare

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  1. 69.

    Naja so alt ist der Glaube an einen Gott nicht. Christen kennen wir ja …. 2000 Jahre… Jundentum schon etwas länger 3500 Jahre. Was man sich nicht erklären konnte wurde bzw. Wird dann einfach Gott oder Göttern zu geschrieben und fertig.
    Die Wickinger haben bei einer Sonnenfinsternis auf ihre Schilder geschlagen um den bösen Wolf zu vertreiben der die Sonne fressen wollte…. hat geklappt und es waren alle Wickinger die das glaubte also hatten sie recht ?
    Und wie war das noch mit der Erde als Scheibe ? Oder das sie das Zentrum des Universums bildet ? Das haben so viele geglaubt… die Masse scheint wohl nicht per se richtig zu liegen.
    Und je mehr die Wissenschaft erklären kann umso kleiner wird der Raum für das, was Gott zugeschrieben werden kann.
    Und Hawking ist sogar schon so weit gekommen und hat nachgewiesen, für die Existenz des Universums braucht es keinen Gott. Aber es ist halt einfacher zu behaupten gibt es beweis mir das Gegenteil… und der eigene Beweis ist Unwissen.

  2. 68.

    Auch wenn die Kirche es nicht gerne offen anspricht: Die Kirche leidet massiv unter geistlicher Dürre und Fruchtlosigkeit, sie leidet selbst am mangelnden Glauben an Jesus Christus. Schon jetzt gibt es ganze Landstriche in Deutschland, die weitgehend entkirchlicht sind. Die Kirche wird diesen Abwärtstrend nicht umkehren können. Kann sie also gar nichts tun? Doch: Sie kann selbst umkehren! Sie muss selbst umkehren und zu dem Fundament JESUS CHRISTUS zurückfinden.
    Das sind die Fundamente der Kirche: Sola Scriptura! Allein die Heilige Schrift! Solus Christus! Christus allein! Sola fide! Allein aus Glauben! Es reicht nicht, gut oder religiös zu leben. Allein das Vertrauen auf Jesus rettet! Sola gratia! Allein aus Gnade!
    Wer davon abweicht, kann sich nicht mehr Kirche nennen. Ich bin sauer und wütend über diese Evangelische Kirche und deshalb werde ich als evangelischer Christ und als Prediger aus dieser Kirche austreten.

  3. 66.

    Natürlich kann man über die Existenz von Göttlichem diskutieren. Aber hier sind einige in einen niveau- und respektlosen Streit geraten. Das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun.

    Die Institution Kirche hat viele üble Dinge getan, die keineswegs durch die Religion gedeckt sind. Das betrifft so ziemlich alle Kirchen dieser Welt. Am schlimmsten ist es in den Staaten, in denen Religion und Politik miteinander eng verbunden sind. Wir haben zum Glück keine Herrscher von Gottes Gnaden mehr. Aber die Kirche selbst hat Strukturen entwickelt, die politischen Strukturen gleichen. Ich denke schon, dass sich die Kirche mehr auf ihre religiösen Aufgaben und vor allem den Bereich Nächstenliebe konzentrieren sollte. Aber als Atheistin steht es mir nicht zu, hier Vorschriften zu machen. Die Anhänger müssen untereinander ausmachen, wie sie sich organisieren wollen. Wenn das dann zu Cosplay in der Kirche führt, zeigt mir das nur, dass diese alte Institution noch nicht veraltet ist.

  4. 64.

    Zuerst sollte die Antwort auf die Frage zur Existenz von etwas Göttlichen von der Meinungsfreiheit abgedeckt sein und somit eine Diskussion darüber auch legitim sein.

    Zum Zweiten gehe ich mit, man sollte niemanden wegen seines Glaubens geringschätzen. Wengen verschiedener Handlungen die mit dem Glauber gerechtfertigt wurden aber schon.

    Danke

  5. 63.

    So ein Tinneff! Man kann nicht beweisen, dass es das nicht gibt, was es ncht gibt!
    Die Kirchensteuereinzugsstelle (glaube, war vom Finanzamt) wollte von mir einen Beweis, dass ich in keiner Kirche war. Wie hätte ich das denn beweisen sollen? Die haben erst Ruhe gegeben, als ich den Spieß umgedreht habe, dass sie mir beweisen müssen, in welcher Kirche/Religionsgemeinschaft gewesen sein soll.
    Und Glauben muss ma auch nicht beweisen, weshalb Sie auch nicht beweisen können, dass es Ihren lieben Herrgott gibt.

  6. 62.

    Die Kirche hat sich so lange gehalten, weil sie ihre Gläubigen, im wahrsten Sinne des Wortes, in Abhängigkeit gebracht und gehalten haben und finanziell beschissen haben. Schauen wir doch einfach auf die hohen Protzbauten, die die Menschen darin extrem klein gemacht haben, das war genauso gewollt. Gläubige klein halten und denen vermitteln, dass Kiche die Allmacht des Wissens hat. Ist wie bei den Grünen. Leben in der eigenen Blase.

  7. 61.

    Stimmt, der Glauben braucht keine Religion und keine Kirche. Aber hier diskutieren einige sehr lebhaft über das Existieren eines Gottes. Und das ist zunächst mal nur ein Glaubensobjekt und noch keine Religion. Man muss schon unterscheiden zwischen dem Glauben, der Religion, die sich um den Glauben rankt, und der Institution Kirche, die die Religion umsetzt. Ich denke, es ist nicht relevant, ob es einen Gott gibt, und man sollte Menschen, die an ihn glauben, nicht abschätzig runterputzen. Aber kann durchaus darüber diskutieren, ob die 10 Gebote noch heute gelten und für wen, oder, ob sich die Institution Kirche selbst immer an ihre Gebote gehalten hat.

  8. 60.

    Bildung kann auch mit analytischem Denken einhergehen, es fördern. Es ist in Krisensituationen allemale besser in die Hände zu spucken, als diese zu falten.

  9. 59.

    Ich kann in den Beiträgen zu meist Kritik an der Religion erkennen, nicht am Glauben. Zum glauben braucht man keine Religion.

    Danke

  10. 58.

    Die evangelische Kirche sollte sich wieder mehr ihren kirchlichen Aufgaben widmen und nicht versuchen LinksGrüne Politik den Gläubigen Christen vorzuschreiben. Lasst das, sonst werden weiterhin viele Mitglieder die evangelische Kirche verlassen. Kapiert es endlich!!!

  11. 57.

    Bildung hilft selbstverständlich. Zu lernen, dass Ängste bewältigt werden können, eigenes Leid ertragbar sein kann, fremdes Leid nie gänzlich vermeidbar ist und dass der Tod nur ein weiterer Weg ist, den wir alle gehen müssen. Letzteres ist von Gandalf geklaut. :)

    Von Mutter zu Mutti: Das kann man Kindern ganz vernünftig und plausibel erklären, ohne dass deren kleine Welt zusammenbricht. Gott als erleichternde Option kann man anbieten, entscheiden sollte das Kind für sich.

  12. 56.

    Ich bin ehrlich gesagt entsetzt darüber, wie manche Kommentatoren mit dem Glauben anderer Menschen umgehen. Es ist eine allgemeine Eigenschaft der Menschen zu glauben, egal ob an Gott, den rosa Elefanten oder den Wetterbericht. Jeder Mensch hat das Recht zu glauben, woran er will, denn der Glaube gibt uns Hoffnung. Glauben und Hoffen sind einfach untrennbar miteinander verbunden. Wenn man anderen den Glauben nimmt, nimmt man ihnen auch die Hoffnung. Das heißt aber nicht, dass wir fatalistisch blind durchs Leben laufen sollen. Denn natürlich ist der Glauben immer wieder für Machtspiele missbraucht worden. Und natürlich steht es jedem zu, seinen Glauben frei zu wählen.

    Ich selbst bin Atheistin. Ich bin in letzter Zeit häufiger den jungen Leuten von Sant’Egidio begegnet, einer christlichen Laienorganisation, die sich in sozialen Projekten engagiert. Wenn die Institution Kirche junge Menschen zum Engagement für die Gesellschaft bewegt, kann ich nichts Schlechtes daran sehen.

  13. 55.

    Religion ist Zuflucht für jene, die ängstlich sind, vollkommen verständlich, nicht jeder neigt dazu, der Realität mutig ins Auge zu sehen und benötigt etwas, woran er sich klammern kann. Sei es eine nicht greifbare Illusion, durch Religion nicht allein zu sein. Wer es benötigt, der soll glauben.
    Ich glaube auch, an mich und meine mentale Kraft und meinen Menschenverstand, mich allem realistisch stellen zu können.

  14. 54.

    Ob es das Göttliche gibt, wer weiß, aber das menschengemachte Ideologien Gottes Wort wiedergeben, ich bezweifle das zutiefst. Der 30jährige Krieg, ein Krieg auch aus religiösen Gründen, Katholiken gegen Protestanten, die Vertreibung der Hugenotten, Protestanten wurden von Katholiken vertrieben und die Einstellung meiner Oma, Katholiken wären alle falsch, ließen mich früh erahnen, dass die Religion nur dazu führt, Menschen anhand dieser Gruppenzugehörigkeit zu werten und sich von anderen abzugrenzen. Wer früher nicht getauft war, wurde hinter der Friedhofsmauer verscharrt. Homosexuelle vermissen oft in der menschengemachten Religion die göttliche Liebe aller Menschen, die angeblich glauben und lieben, ganz ohne Vorurteil.
    Fazit: Humanismus kommt wohl Gott sehr nah und das menschliche Gewissen. Wer seinem Gewissen folgt, ist Gott näher als jede religiöse Zugehörigkeit.

  15. 51.

    Hilft Bildung Ihren Kindern auch, wenn sie mit Angst, Leid und Tod zu kämpfen haben?

  16. 50.

    Das denke ich auch. Wenn Kirche nicht mehr Gott sucht, nimmmt sie sich ihre Kraftquelle und schafft sich selber ab. Für Politik, Kultur, Skat etc. gibt es andere Vereine.

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