Wegen Totschlags vor Gericht - Kronzeugin sagt im Prozess gegen Berliner Kardiologen aus

Di 07.11.23 | 18:04 Uhr | Von Ulf Morling
Eine Krankenschwester, die in einem Fall von Totschlag wegen Beihilfe angeklagt ist, hält sich zu Prozessbeginn in einem Saal des Kriminalgerichts Moabit gegen einen Kardiologen wegen Totschlags in zwei Fällen einen Aktenordner vor ihr Gesicht. Links neben ihr steht ihr Anwalt Harald Wostry. Der Platz rechts neben ihr ist leer, da der angeklagte Kardiologe erst zu Beginn der Hauptverhandlung in den Saal kommen wollte. (Quelle: dpa/S. Gollnow)
Video: rbb24 Abendschau | 07.11.2023 | Material: Norbert Siegmund | Bild: dpa/S. Gollnow

Im Prozess um die Tötung von zwei Patienten in der Charité hat nun auch eine Krankenschwester ausgesagt. Die 28-Jährige hatte das Verfahren gegen den Oberarzt sowie eine mitangeklagte Krankenschwester ins Rollen gebracht. Von Ulf Morling

Seit Mitte Oktober müssen sich vor dem Berliner Landgericht ein 56-jähriger Oberarzt und eine Krankenschwester wegen Totschlags bzw. Beihilfe verantworten. Am Dienstag ist die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft in den Zeugenstand getreten. Sie hatte das Verfahren gegen die beiden Charité-Mediziner ins Rollen gebracht.

Der Facharzt für Innere Medizin soll im November 2021 die mitangeklagte Krankenschwester angewiesen haben, einem 71-jährigen Patienten auf der Intensivstation ohne medizinische Indikation eine tödliche Dosis eines Beruhigungsmittels zu spritzen. Im Juli 2022 soll der Facharzt selbst einer Patientin mehrere Dosen des Beruhigungsmittels injiziert haben, woran sie laut Staatsanwaltschaft ebenfalls starb. Beide Angeklagte schweigen bisher im Prozess.

"Kollegin hatte nicht reagiert, weil die Dosis sehr hoch sein sollte"

Die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft ist 28 Jahre alt, sie ist ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin. Mit dem Beginn ihrer Arbeit auf einer der Intensivstationen der Charité im Oktober 2021 veränderte sich ihr Leben: Noch in ihrer Probezeit soll sie dabei gewesen sein, wie der angeklagte Oberarzt die wegen Beihilfe zum Totschlag mitangeklagte Krankenschwester laut Staatsanwaltschaft anwies, eine tödliche Dosis eines Beruhigungsmittels einem Patienten zu spritzen.

"Meine Kollegin hatte nicht reagiert, weil die Dosis sehr hoch sein sollte", sagt die 28-jährige Kronzeugin im Gerichtssaal. Als der angeklagte Arzt seine Anordnung wiederholt habe, habe sie diese ausgeführt, berichtet die Zeugin. Danach habe der angeklagte Oberarzt angewiesen, die Reanimation des 71-jährigen Patienten einzustellen. Wenige Minuten später sei er gestorben.

"Sie hatte aber eine minimale Atmung"

Am 23. Juli 2022 soll die Krankenschwester und Kronzeugin die vorsätzliche Tötung einer Patientin durch den Angeklagten miterlebt haben. Auch für diese mutmaßlich tödlichen Injektionen soll es laut Staatsanwaltschaft keine medizinische Medikation gegeben haben.

Die eingelieferte 71-jährige habe Verfärbungen an den Füßen gehabt und der angeklagte Mediziner habe geäußert, dass die Patientin "nicht so gut aussehe" und einen schlechten Allgemeinzustand habe. Ihr sei dasselbe Beruhigungsmittel in viel zu hohen Dosen vom Angeklagten verabreicht worden, da die Patientin gar nicht unruhig gewesen sei. Schließlich habe der Angeklagte den Sohn der Patientin angerufen. "Wir hören jetzt auf", soll er nach dem Telefonat angewiesen haben und die Beatmung der Patientin sei eingestellt worden.

"Sie hatte aber eine minimale Atmung", sagt die Zeugin im Prozess. Der Oberarzt habe ihr noch einmal dasselbe Mittel gespritzt und die Patientin sei verstorben. Ein Arzt habe nach dem Tod der Patientin ihr gegenüber erstaunt geäußert: "Die hätte doch eigentlich noch ein paar Tage zu leben gehabt."

Hinweissystem führte zu Bekanntwerden des Vorfalls

Nachdem die Krankenschwester einer anderen Intensivstation der Charité im Jahr 2007 wegen fünffachen Patientenmordes verurteilt worden war, hatte die Berliner Charité ein anonymes Hinweissystem installiert. So hatte sich die Krankenschwester an die Vertrauensanwälte der Klinik wenden können. Noch im August 2022 war der anfänglich wegen zweifachen Mordes Verdächtige vom Dienst freigestellt worden, im Mai 2023 kam der Mediziner schließlich in Untersuchungshaft. "Ohne ihre Angaben wäre das alles überhaupt nicht bekannt geworden", sagt Staatsanwalt Martin Knispel am Rande des Prozesses über die Kronzeugin. Die Ermittlungen liefen zudem weiter gegen den Oberarzt wegen anderer möglicher Fälle, so der Staatsanwalt weiter.

Psychiater lobt Krankenschwester

Mit im Gerichtssaal saß Karl Heinz Beine, Psychiater, Klinikdirektor und Wissenschaftler. Er erforscht seit über dreißig Jahren im deutschsprachigen Raum Patiententötungen. Insgesamt zählt er 15 Tötungsserien in diesem Zeitraum, oft mit jeweils mehreren bis zu Dutzenden von Opfern. Nur in zwei Serienfällen von Patiententötungen seien die entscheidenden Hinweise aus den Kliniken, in denen getötete wurde, gekommen, einer davon komme nun aus der Charité. Es sei aus seiner Erfahrung beachtlich und anerkennenswert, wie offensiv die Klinik darüber kommuniziere und aus seiner Sicht nicht versuche, etwas zu vertuschen.

Er äußerte im Gerichtsflur Hochachtung über die 28-jährige Kronzeugin, die noch zwei weitere Prozesstage lang sich den Fragen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und Verteidigung stellen muss. Er sprach von einem "Akt von außerordentlichem Mut und Zivilcourage". Das sei nicht allen Menschen gegeben. "Meine persönliche Hochachtung", so der Wissenschaftler über die Krankenschwester.

18 weitere Verhandlungstage bis zum 16. Januar nächsten Jahres sind vom Gericht noch geplant. Neben weiteren Zeugen aus der Charité sollen unter anderem mehrere medizinische Sachverständige im Prozess aussagen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.11.2023, 17:50 Uhr

Beitrag von Ulf Morling

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