Gerichtsakten veröffentlicht - Staatsanwaltschaft Berlin erhebt Anklage gegen "FragDenStaat"-Chefredakteur

Di 20.02.24 | 18:38 Uhr
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Symbolbild:Der Eingang vom Kriminalgericht Moabit.(picture alliance/dpa/F.Sommer)
Bild: picture alliance/dpa/F.Sommer)

Wegen der Veröffentlichung von Dokumenten aus einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen Aktivisten und Journalisten erhoben.

Der Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform "FragDenStaat", Arne Semsrott, soll bewusst drei Beschlüsse des Amtsgerichts München im Wortlaut im Netz veröffentlicht haben. Damit hätte er gegen das Verbot der wortgetreuen Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren verstoßen.

Der 35-Jährige soll gegen das Gesetz verstoßen haben, um auf diesem Weg die Gesetzeslage grundsätzlich von Bundesgerichten klären zu lassen. Das teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Zuvor hatte das Rechtsmagazin "Legal Tribune Online" berichtet.

Semsrott moniert Beschränkung der Pressefreiheit

Semsrott hatte im August 2023 drei Gerichtsbeschlüsse, die zum Teil geschwärzt waren, in einem Artikel bei "FragDenStaat" veröffentlicht. Das Münchner Gerichtsverfahren befasste sich mit Durchsuchungen bei der "Letzten Generation" und der Überwachung des Berliner Pressetelefons der Aktivisten durch das bayerische Landeskriminalamt.

Nun teilte Semsrott der Nachrichtenagentur DPA mit, dass der Fall für ihn eine Rechtsfrage darstellt: "Es kann nicht sein, dass die Pressefreiheit durch das Veröffentlichungsverbot derart eingeschränkt wird. Der Gesetzgeber muss die Norm endlich streichen. Ich hoffe, dass der Fall zu einer grundsätzlichen Klärung führt."

Der entsprechende Paragraf des Strafgesetzbuches sei "Ausdruck einer veralteten Vorstellung von Medienöffentlichkeit", erklärte Semsrott laut einer Mitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Journalisten unterstützt. "Es ist ein Skandal, dass der Gesetzgeber noch immer nicht die Norm gestrichen hat oder wenigstens eine Ausnahme zugunsten der Pressefreiheit eingeführt hat."

Semsrotts Anwalt Lukas Theune betonte im Magazin "Legal Tribune Online": "In Zeiten von Fake News muss das Interesse an wahrheitsgetreuer und akkurater Berichterstattung besonders groß sein. Strafrecht, das kritische Berichterstattung zu Ermittlungsverfahren verhindert, ist ein Fremdkörper." Der Paragraf gehöre abgeschafft.

Semsrott: Strafnorm veraltet

Der Fall rückt Paragraf 353d des Strafgesetzbuchs in den Fokus. Der schreibt vor, dass die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumenten eines laufenden Strafverfahrens nicht veröffentlicht werden dürfen. Laut Wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestags [bundestag.de] greift das Gesetz, wenn die Veröffentlichung stattfindet, bevor über entsprechende Dokumente öffentlich verhandelt wird oder das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Als Strafmaß ist eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe festgelegt .

Die Staatsanwaltschaft erhob ihre Anklage nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht, sondern gleich eine Stufe weiter oben beim Landgericht Berlin. Die Rechtsfragen hätten eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Pressefreiheit, erklärte ein Behördensprecher. Anklage wurde bereits am 25. Januar erhoben, die Generalstaatsanwaltschaft gab sie erst jetzt bekannt.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.02.2024, 16:00 Uhr

30 Kommentare

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  1. 30.

    Das könnten Sie auch, wenn Sie den Artikel gelesen und verstanden hätten.

  2. 29.

    Es geht um das „Verbot der wortgetreuen Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren“. Das heißt, so lange eine Ermittlung läuft, dürfen die Akten nicht öffentlich werden. Dies dient dem Schutz des Verfahrens.

    Semsrott hat bewusst dagegen verstoßen, indem er drei Beschlüsse des Amtsgerichts München im Wortlaut im Netz veröffentlicht hat.

    Semsrott möchte erreichen, dass dieses Verbot gestrichen wird, im Sinne der Pressefreiheit. Siehe seina Aussage : „Es kann nicht sein, dass die Pressefreiheit durch das Veröffentlichungsverbot derart eingeschränkt wird. Der Gesetzgeber muss die Norm endlich streichen. Ich hoffe, dass der Fall zu einer grundsätzlichen Klärung führt." Zum Thema gibt es auch eine Mitteilung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

  3. 27.

    damarco:
    "Genau in der Sache geht es um die LG und Journalisten einzuschüchtern."

    Unsinn!
    Es geht hier einzig und allein um den Streit über die Verfassungsmäßigkeit des § 353d Nr. 3 StGB und um nichts anderes!

    damarco:
    "Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft ist zu hinterfragen ..."

    Nein, zunächst ist das Gericht und in letzter Konsequenz das BVerfG gefragt und parallel dazu aber auch der Gesetzgeber.

  4. 26.

    Genau in der Sache geht es um die LG und Journalisten einzuschüchtern. Jene die diese Dokumente veröffentlicht Haben werden sehr genau abgewogen haben. Sie haben entschieden das dass öffentliche Interesse überwiegt und nicht erst nach 3 Jahren darüber berichtet wird. Man sieht ja das der Umgang mit den Bauern doch ein andere ist als mit dem Klimaaktivisten. Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft ist zu hinterfragen und gerade Bayern hat ein Problem damit das oft politischer Einfluss auf Staatsanwaltschaften ausgeübt wird. Wir brauchen eine wirklich unabhängige Staatsanwaltschaft!

  5. 25.

    moep:
    "Antwort auf [Immanuel] vom 20.02.2024 um 13:33
    Am Ende geht es um die LG. ;)"

    Nein, es geht hier um die Verfassungsmäßigkeit des § 353d Nr. 3 StGB! Das hier ein Verfahren gegen die LG betroffen ist, ist nur Zufall, aber nicht Kern der Anklage! Es hätte genausogut jedes andere Strafverfahren vetreffen können.

  6. 24.

    moep:
    "Antwort auf [Fogel Fau] vom 20.02.2024 um 12:40
    Hier muss man dafür nicht einmal Journalist sein. ;)"

    Bevor man solch einen Usninn schreibt, dann sollte man sich schon vorher informieren, um was es hier eigentlich geht! Jedenfalls nicht, um das, worüber "Fogel Fau" und "moep" schreiben!

  7. 23.

    Im besten Fall sehen wir die Aufruhr als Werbung für FDS. Gute Sache. Man kann zum Beispiel super sehen, was NICHT von WEM beantwortet wird. Stichwort Corona z.B..

  8. 19.

    353d Nr. 3 StGB ("Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen") bestraft ausnahmslos die wortgetreue Veröffentlichung von Passagen amtlicher Dokumente aus laufenden (!) Ermittlungs- bzw. Strafverfahren. Semsrott hatte im August 2023 trotzdem drei Gerichtsbeschlüsse aus München veröffentlicht (betr. Durchsuchungen bei der "Letzten Generation" und Überwachung eines Pressetelefons). Die Berliner StA geht in der Anklage von einer Gefahr für die Unbefangenheit von Zeugen und Schöffen aus.

  9. 18.

    Arne Semsrott hat völlig recht. Guter Mann.

  10. 17.

    Der Beitrag zeigt, dass ein Journalist vorsätzlich gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen hat und dafür angeklagt wurde. Ferner zeigt der Bericht, dass sich der Journalist die verfassungsmäßigkeit des einschlägigen Paragraphen anzweifelt. Das Verfassunsgericht fordert dann den Gesetzgeber zum Handeln auf, sollte er recht behalten. Das kann also, wie sie sehen, jeder anstoßen. Aber man kann auch einfach zusammenhangslos von der Couch mit dem Wurstfinger auf "die Regierung" zeigen. Das ist einfacher.

  11. 16.

    Journalist oder Whistleblower? Auch Journalisten sollten sich an geltende Gesetze halten - auch wenn diese ihrer eigenen Meinung nach überholt sind. Als ehemalige Schöffin an einem Landgericht wei@ ich, dass vor Gericht nur das (in der Verhandlung) gesprochene Wort gilt. Aber man kann vor der Verhandlung natürlich alle Seiten - auch durch öffentlichen Druck - beeinflussen: Richter, Beisitzer, Schöffen, Anwälte, Staatsanwälte. Einiges ist gewollt, anderes ungesetzlich. Die öffentlichen Medien sind in einer Demokratie die "vierte Gewalt" - das ist nunmal auch bei uns so.

  12. 15.

    Das Portal kannte ich noch nicht. Sehr interessant, danke für den Tipp. Ansonsten Daumen hoch für Fogel Fau.

  13. 14.

    Der Beitrag zeigt mir wieder einmal, dass bei den Gesetzen u. Vorschriften in D. ein erheblicher Bedarf für Novellierung und Modernisierung dringend vonnöten ist. Leider schoben bzw. schieben aus meiner Sicht die jeweiligen Regierungskoalitionen solche Dinge am Besten so lange vor sich her, bis sie von Gerichten und Urteilen zur Überarbeitung gezwungen werden.
    Aber selbst wenn endlich überarbeitete Regelungen in Kraft treten, sind meist noch größere bürokratische Monster als vorher entstanden.

  14. 13.

    Brille: Fielmann!

    "Der Journalist Arne Semsrott soll auf der Plattform "FragDenStaat" drei Beschlüsse des Amtsgerichts München im Wortlaut aus einem Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" veröffentlicht haben."

  15. 12.

    Ja, in einer Demokratie sollte sich an die Gesetze gehalten werden, egal ob es die linke oder die rechte Hand ist.

  16. 11.

    Der Gedanke daran ist das im laufenden Ermittlungsverfahren den Beschuldigten keine Vorteile verschafft werden sollen. Im unseren Rechtssystem herrscht Chancengleichheit beider Parteien, erst wenn das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist bekommt in der Regel der beschuldigte Akteneinsicht. Somit erhält er oder der Rechtsbeistand den gleichen Stand der Ding die gegen den Beschuldigten belastend oder entlastend vorliegen .

    Es geht jetzt darum ob das veröffentlichen von teilen von Dokumenten von der Pressfreiheit gedeckt ist oder hier eine Strafbare Handlung vorliegt.

    So ganz unnütz ist die Regel nicht und sie bedeutet nicht das der Presse etwas verheimlicht wird. Das brisante an dem Fall ist ja wie man mit den Aktivisten umging und sie da mit den Bauern war man weit freundlicher. Da hier der Einfluss einer Weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft nicht vorhanden war, der Druck von Oben war in dem Fall das Bedeutsame und deswegen wurden die Dokumente auch veröffentlicht.

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