Nachruf auf Hans Joachim Meyer - Sein "Ossi-Herz" verleugnete er nie

So 31.03.24 | 15:06 Uhr | Von Vera Kröning-Menzel
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Archivbild: Lachend steht der Präsident der Kultusministerkonferenz, der sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU), am 14.4.1999 in seinem neuen Berliner Büro (im Hintergrund, durch eine Glasscheibe fotografiert, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt und rechs der Französische Dom). (Quelle: dpa/Grimm)
Bild: dpa/Grimm

Das deutsche Zusammenwachsen erlebte Hans Joachim Meyer als, wie er es nannte, assymetrische Einheit. Und: Er blieb bis ins Rentenalter aktiv. Der letzte Bildungsminister der DDR starb am Freitag im Alter von 87 Jahren. Ein Nachruf. Von Vera Kröning-Menzel

"Wer verstehen will, was ich ab 1990 tat und dachte, muss meinen Weg als Katholik in der DDR kennen", schreibt Hans Joachim Meyer in seiner Biografie mit dem Titel "In keiner Schublade", die er im Dezember 2015 veröffentlichte.

Minister für Wissenschaft und Bildung in der letzten DDR-Regierung, Wissenschaftsminister in Sachsen und viele Jahre lang Präsident des Zentralkomitees der Katholiken - das waren nur einige Aspekte im Leben von Hans Joachim Meyer, der beides war: Idealist und Realist.

1936 wurde Hans Joachim Meyer in Rostock geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam.

Nach drei Jahren zwangsexmatrikuliert

Nach drei Jahren wurde der bekennende Katholik wegen mangelnder Verbindung zur Arbeiterklasse zwangsexmatrikuliert. Meyer wechselte an die Humboldt-Universität und studierte Anglistik und Geschichte, wo er später leitende Aufgaben im Bereich Fremdsprachen übernahm. Der Professor führte sein Leben in demonstrativer Distanz zum ideologischen Anspruch der DDR. Sein "Ossi-Herz", wie er es nannte, verleugnete er nie.

Als Mittfünfziger beginnt Meyer 1990 seine politische Karriere in der CDU als Bildungsminister unter Lothar de Maizière - die unverhoffte Erfüllung seines alten Traums, politisch handeln und gestalten zu können. Dabei war ihm besonders wichtig, die dringenden Bildungsreformen zusammen mit den Betroffenen zu gestalten.

Das deutsche Zusammenwachsen erlebte Meyer als, wie er es nannte, assymetrische Einheit.

Aktiv bis ins Rentenalter

Als sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst sah Meyer eine seiner Aufgaben darin, den sächsischen Universitäten auch internationale Anerkennung zu verschaffen. Erfolge, die er zuletzt durch das Erstarken der Fremdenfeindlichkeit in Sachsen gefährdet sah.

Seit seiner Jugend war Meyer engagierter Katholik. 1997 wurde er dann zum Präsidenten des Zentralkomitees Deutscher Katholiken (ZdK) gewählt. Meyer erzielte Fortschritte in der Ökumene – wie den ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003.

Sein Abschied als ZdK-Präsident 2009 hatte einen bitteren Beigeschmack für Meyer. Seinen vom ZdK vorgeschlagenen Nachfolger lehnten die Bischöfe ab – ein Affront für die katholische Laienbewegung. In Meyers Zeit fielen auch erhebliche Konflikte mit den Bischöfen um Donum Vitae, dem aus der Mitte des ZdK gegründeten Vereins zur Schwangerenberatung.

Auch im Rentenalter blieb Meyer aktiv. Im Erzbistum Berlin widersetzte er sich geplanten Gemeindefusionen und dem Umbau der Berliner Bischofskirche, der St. Hedwigskathedrale. Seine Frau Irmgard und Mutter seiner Kinder gab Hans Joachim Meyer, wie er sagte, Zusammenhalt, Austausch und gegenseitige Bestärkung über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg.

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Beitrag von Vera Kröning-Menzel

9 Kommentare

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  1. 9.

    Es ist einfach, sich nach der "Kehre" den Nimbus eines "Unangepaßten", ja eines Gegners der SED zu verpassen. Nicht jeder könnte an der Akademie für Staat und Recht in Babelsberg studieren. Wenn man dann nach der Exmatrikulation noch einmal studieren und sogar zum Universitätsprofessor aufsteigen konnte, so ist das schon eine Bilderbuchkarriere gewesen, die nur wenige vorzeigen könnten. Man könnte auch an einen "Wendehals" denken. Jeder hängt sein Mäntelchen in den Wind, so gut er es kann.

  2. 8.

    „Christliches Engagement (Sachse=katholisch?) versus Wissenschaft/Fortschritt. Ist das nicht ein innerer Widerspruch!?“
    Nein, Christlich vs. Atheisten müsste es richtig heißen. Konservativ = progressiv modern dagegen ist überhaupt kein Widerspruch. Wer das behauptet diffamiert.

  3. 7.

    Die Wendezeit war durch eine massive Bevölkerungswanderung von Ost nach West geprägt, in der sich sicher die Mehrheit nicht wirklich für diese Übergangsregierung interessierte. Und genauso sah auch letztendlich das konkrete Regierungsergebnis nebst Halbwertszeit aus.
    Mit Ausnahme von Regine Hildebrandt und vielleicht auch Peter-Michael Diestel war diese „Regierung“ ausschließlich von Steigbügelhaltern und Türöffnern geprägt. Wobei der geistigste Spitzenreiter sicherlich Günther Krause war (Einigungs- und Staatsvertrag).

  4. 6.

    Zu den „Verdiensten“ Meyers gehört auch die Abberufung von weit mehr als 1000 Professoren und Hochschullehrern, die zu DDR -Zeiten berufen worden (teils Wissenschaftler von Weltruf). Dabei war es meist egal, ob diese als staatsnah galten oder nicht. Entscheidend war der Fakt, dass sie zu DDR-Zeiten berufen worden. Und als was nach Geisteswissenschaftlich roch, sowieso.
    Proforma sollten Personalräte mitentscheiden, was aber zur Farce geriet, da Meyer dies bereits entschieden hatte. Eine Wiedereinstellung war per Ukas ausgeschlossen.

    Entsprechend umstritten war er auch. Solch kritische Töne fehlen leider im Nachruf.

    Nebenbei: Ausländische Universitäten nahmen deratig entlassene Wissenschaftler mit Kußhand.

  5. 5.

    Und unterm Strich ist das auch gut so. Man stelle sich diesen Prozess von vor über 30 Jahren mit dem Gezeter und der, teilweise sehr künstlichen, Aufgeregtheit von heute vor, glaube kaum, daß es zu einem Einigungsvertrag kommen würde. Es war, ist und bleibt ein Glücksfall der deutschen Geschichte. Wir sollten alle dankbar sein. Gesegnete Ostern!

  6. 4.

    Christliches Engagement (Sachse=katholisch?) versus Wissenschaft/Fortschritt. Ist das nicht ein innerer Widerspruch!?
    Was aus der Reform an der DDR-Bildungsplanung geworden ist, beobachten wir derzeit mit Entsetzen. Wissen (Unterricht/Vermittlung) vs. Selbstdarstellung/-vermarktung("Gruppenarbeit", Vorträge...).
    Physik: eine Wochenstunden! Usw.
    Ich schweife ab: Die Übergaberegierung hat Einiges zu retten versucht. Aber nach über dreißig Jahren kann man nur ernüchtert feststellen, dass die Nachwendefehler zwar erkannt, aber noch immer nicht zugegeben werden. Und damit keine Besserung in Sicht ist.

  7. 3.

    Vollkommen richtig! Gerade deshalb finde ich die Bezeichnung eher irreführend suggeriert sie doch der Mann wäre ein Vertreter der DDR gewesen. Er war wohl eher der Vertreter einer Übergangsregierung.

  8. 2.

    Ja, Weltenbummler. Das war kein Geheimnis und deshalb (oder trotzdem) hat die Mehrheit der DDR Wähler so gewählt, wie sie gewählt hat. So war der Auftrag der Wähler an die neue Regierung, Einheit, so schnell wie möglich und unter allen Bedingungen. Das wurde dann auch gemacht.

  9. 1.

    "Der Professor führte sein Leben in demonstrativer Distanz zum ideologischen Anspruch der DDR."
    Gerade deshalb halte ich es für fragwürdig ihn als "DDR -Minister" zu bezeichnen. Die Aufgabe der Regierung de Maiziere bestand in der Übergabe der DDR auch Anschluss genannt. Bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag machte Herr Schäuble das immer wieder deutlich.

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