Berliner Know-how für Kyjiw - Künstliche Beine für ukrainische Kriegsverletzte

Do 04.04.24 | 07:18 Uhr | Von Viktoria Kleber und Angela Ulrich
Georg Dinter, Orthopädietechnik-Meister aus Berlin-Spandau (Foto: rbb/Ulrich)
Video: rbb24 Abendschau | 04.04.2024 | V. Kleber | Bild: rbb/Ulrich

In der Ukraine warten viele Kriegsverletzte auf Prothesen. Eine Hilfsorganisation aus Berlin will nun Betroffene nach Deutschland bringen und sie hier mit Prothesen versorgen. Langfristig soll in der Ukraine ein Prothesenzentrum entstehen. Von Viktoria Kleber und Angela Ulrich

  • Etwa 60 Kriegsverletzte aus der Ukraine sollen in Berlin versorgt werden
  • Mehrere Testprothesen notwendig aufgrund komplizierter Amputationen
  • Rund 500.000 Euro private Spendengelder wurden gesammelt
  • Geplant ist auch Prothesenzentrum in Kyjiw, Trainee-Ausbildung in Berlin

Georg Dinter schraubt an einer Unterschenkel-Prothese in seiner Werkstatt in Berlin-Spandau. Das künstliche Bein soll ukrainischen kriegsverletzten Soldaten helfen, wieder laufen zu lernen. Dinter ist Orthopädietechnik-Meister und war vor kurzem selbst in der Ukraine, um sich die Verletzungen von Soldaten anzusehen. "Schlimm war das", sagt Dinter. "Es sind sehr, sehr schwierige Amputationen, die nicht dem Idealmaß entsprechen. Das ist wirklich auf dem Schlachtfeld amputiert worden."

Für Dinter und seine Kollegen heißt das: Es wird nicht einfach, die passenden Prothesen für die Verletzen anzufertigen. Mal ist ein Stumpf eigentlich zu kurz, mal die Wundheilung kompliziert. In rund zwei Wochen sollen die ersten ukrainischen Kriegsverletzten nach Berlin kommen. "Wir werden wahrscheinlich mehrere Versuche brauchen, mehrere Testprothesen bauen, um die Patienten Schritt für Schritt auf die Beine zu bekommen", sagt Dinter.

Orthopädie-Werkstatt Zapfe in Spandau. (Quelle: rbb/Ulrich)
In der Werkstatt wurden mehrere Testprothesen gefertigt | Bild: rbb/Ulrich

Kriegsverletzte ohne Beine und Arme

Initiatorin des Projekts ist Janine von Wolfersdorff. Sie hat die Hilfsorganisation "Life Bridge Ukraine" gegründet. Gemeinsam mit Dinter und zwei weiteren Orthopädietechnikern war sie vor kurzem in sieben Kliniken in Kyjiw unterwegs und hat Kriegsverletze besucht: Soldaten, denen Beine und Arme fehlen. "Es sind Menschen, die plötzlich einen zerfetzten Körper haben. Der Papa, der Bruder, der Ehemann. Sie alle wollen weiterleben und ihr Land wieder aufbauen", sagt von Wolfersdorff.

Die Geschichte eines jungen Mannes hat von Wolfersdorff besonders mitgenommen. Der junge Soldat ist 24 Jahre alt und hat beide Oberschenkel und seinen rechten Arm verloren. "Wir haben ihm gesagt, dass wir ihn in unser Projekt aufnehmen können", sagt Wolfersdorff. "Er guckte mich an, ich wusste, dass er noch nicht begriffen hat, dass er keine Beine mehr hat."

Wir werden wahrscheinlich mehrere Versuche brauchen, mehrere Testprothesen bauen, um die Patienten Schritt für Schritt auf die Beine zu bekommen.

Georg Dinter, Orthopädietechnik-Meister

Unterstützung von der Senatskanzlei

60 Kriegsverletzte sollen in Berlin versorgt werden. Mitte April soll die erste Gruppe eintreffen, Ende Mai die zweite. Die Senatskanzlei unterstützt, damit die Verletzten möglichst unbürokratisch in die Prothesen-Behandlung kommen können und stellt eine Unterkunft in Charlottenburg zur Verfügung.

Sascha Langenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zeigt von Wolfersdorff das gerade erst erbaute Haus. Sie will sicher gehen, dass hier alle die Bedürfnisse der Kriegsverletzten kennen. Beispielsweise, dass das Sicherheitspersonal informiert ist, dass hier eine besonders vulnerable Gruppe untergebracht sein wird. Und auch, dass es zu medizinischen Notfällen kommen könnte. Langenbach versichert, sie hätten alles auf dem Schirm und auch die Nachbarn seien informiert. "Wir haben ihnen auch gesagt, könnte sein, dass in Ihrer Nachbarschaft Menschen verstärkt auftreten, die auf Rollstuhl oder Krücken angewiesen sind. Nicht, dass sie sich wundern", sagt Langenbach.

Prothesenzentrum in Kyjiw geplant

Bis die Kriegsverletzten in Berlin ankommen, hat von Wolfersdorff noch eine Menge zu tun, vor allem Papierkram. "Wir brauchen natürlich für alle Soldaten die Erlaubnis für den Grenzübertritt", sagt sie. "Und die Reisepässe müssen biometrisch sein, sonst lässt Polen keinen rein."

Doch es sind nicht nur Kriegsverletzte aus der Ukraine, die nach Berlin kommen und hier behandelt werden. Auch in der Ukraine selbst soll mithilfe von Berliner Know-How ein Prothesen-Zentrum entstehen, damit künftig auch Verletzten vor Ort direkt geholfen werden kann. Dazu reisen Trainees aus der Ukraine nach Berlin, mit denen Orthopädietechnik-Meister Georg Dinter und andere gemeinsam an Prothesen schrauben wollen.

Die Trainees sollen in Berlin ausgebildet werden, damit sie selbst künstliche Beine und Arme produzieren und anpassen können. "Im Idealfall können sie das dann in Kyjiw auch machen", sagt Dinter. Die Stadt Kyjiw hilft bei der Suche nach geeigneten Trainees - was gar nicht so einfach ist. Physiotherapeuten und Automechaniker wurden bereits angesprochen.

Von Wolfersdorff hat mit ihrer NGO private Spendengelder gesammelt, rund eine halbe Million Euro. Damit will sie unter anderem das geplante Prothesenzentrum in Kyjiw ausstatten, das dauerhaft Kriegsverletzte versorgen kann. Einige Maschinen zur Prothesenherstellung sind bereits bestellt. Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko unterstützt das Projekt. "Es ist sein Herzensthema, genau wie es unser Herzensanliegen ist, den verletzen Soldaten zu helfen", sagt von Wolfersdorff. Und sie strahlt dabei. Hoffnungsvoll.

Sendung: rbb24 Abendschau, 04.04.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Viktoria Kleber und Angela Ulrich

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