Interview | Senckenberg Institut - "Der genetische Unterschied zwischen Hunden und Wölfen ist sehr gering"

Sa 20.04.24 | 17:17 Uhr
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Symbolbild: Wölfe auf der Wiese. (Quelle: IMAGO/Zoonar.com)
Audio: rbb|24 | 18.04.2024 | O-Ton aus dem Interview mit Carsten Nowak | Bild: IMAGO/Zoonar.com

Das Senckenberg Institut im hessischen Gelnhausen untersucht alle in Deutschland anfallenden genetischen Proben auf Wolfsspuren. 2023 waren das für Brandenburg 640 DNA-Proben. Naturschutzgenetiker Carsten Nowak erklärt, wie dort gearbeitet wird.

rbb24: Hallo Herr Nowak. Bei Ihnen im Labor wird der DNA-Nachweis erbracht, ob ein Angreifer ein Wolf gewesen sein kann – oder vielleicht auch ein Hund. Wo liegt der genetische Unterschied? Und wie steht es mit Hybriden – also Mischlingen aus Wolf und Hund?

Carsten Nowak: Der genetische Unterschied zwischen Hunden und Wölfen ist sehr gering. Denn Hunde sind erst vor wenigen zehntausend Jahren aus dem Wolf herausgekreuzt worden. Da muss man auch in der DNA genau hinschauen. Die Forschung hat aber gezeigt, dass es zahlreiche Stellen in der Erbsubstanz gibt, wo sich Hunde und Wölfe eben doch voneinander unterscheiden. Und von diesen – man nennt das genetische Marker – schauen wir uns bestimmte an. So finden wir nicht nur heraus, ob es ein Hund oder ein Wolf war, sondern – wenn die Probenqualität ausreichend ist – auch Informationen darüber, welches Individuum das war, zu welchem Rudel ein Wolf gehört und aus welcher Herkunftspopulation er stammt. Man würde in diesem Zug auch Hybriden erkennen.

Zur Person

Carsten Nowak.(Quelle:privat)
privat

Senckenberg Institut - Carsten Nowak

Dr. Carsten Nowak ist Fachgebietsleiter Naturschutzgenetik beim Senckenberg Institut in Gelnhausen (Hessen). Dieses wurde als Referenzzentrum für Wolfs- und Luchsmonitoring in Deutschland ausgewählt und untersucht seit 2010 alle bundesweit anfallenden genetischen Proben.

Kommt das denn öfter vor mit den Hybriden oder ist das eher ein Mythos?

Insbesondere Bevölkerungsgruppen, die dem Wolf skeptisch gegenüberstehen – Nutztierhalter oder Jäger zum Beispiel – hegen den weitverbreiteten Mythos, dass es ganz viele Hybriden gibt. Und dass Wissenschaftler die nicht erkennen würden. Es gibt auch die Erzählung, dass es Befunde dazu gäbe.

Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass das Thema in Europa aber sehr gut untersucht ist. Es gibt tatsächlich immer wieder Hybriden zwischen Wölfen und Hunden. Es gibt auch Regionen in der Welt – so beispielsweise auch in Südeuropa in der Toskana oder Kroatien – wo es relativ viele Wolf-Hund-Hybriden in freier Wildbahn gibt. Aber nördlich der Alpen, wo es kaum streunende Hunde gibt, ist das sehr selten. Wir hatten in Deutschland bislang fünf Hybridisierungsfälle – bei hunderten von Wolfsverpaarungen. Die Rate ist also sehr gering. Aber sie können trotzdem vorkommen – das passiert immer mal wieder.

Was ist eigentlich das Problem mit Hybriden?

Wenn sie in geringem Maße auftreten, gibt es wahrscheinlich kein Problem. Da geht es eher um die Beunruhigung der Bevölkerung – und natürlich um Menschen, die ein Problem daraus machen. Viele denken, Hybriden könnten gefährlicher sein als normale Wölfe. Weil sie die angebliche Gefährlichkeit des Wolfes kombinieren mit einer größeren Vertrautheit mit dem Menschen und der geringeren Fluchtdistanz, die Haushunde aufweisen. Die Forschung, die es dazu gibt, deutet aber daraufhin, dass wildlebende Hybriden sich in der Regel genauso verhalten wie Wölfe. Dass sie dasselbe Nahrungsspektrum haben und auch dieselbe Distanz zum Menschen einhalten. Das liegt daran, dass bei Wolf-Hund-Hybriden fast immer Wölfe die Mütter sind und diese die Welpen allein aufziehen. In der Toskana beispielsweise hat man das gut untersucht.

Es gibt aber doch ein Problem. Und das ist der Artenschutz. Es gibt in Europa weit über 100 Millionen Haushunde – und einige tausend Wölfe. Selbst wenn es nur ab und zu zur Hybridisierung kommt, könnte im Laufe von Jahrzehnten oder -hunderten so die Art Wolf einfach verschwinden. Sie könnte genetisch vom Hund aufgefressen werden. Dann gäbe es keine Wölfe mehr, sondern nur noch Hybriden. Deshalb will auch die Wissenschaft die Hybriden eigentlich nicht. Sie sollen nach Möglichkeit entnommen werden. Das bedeutet in der Praxis, dass sie in der Regel geschossen werden.

Was brauchen Sie, um DNA untersuchen zu können?

Wir sind im Rahmen des Wolfmonitorings darauf spezialisiert, Umweltspuren zu untersuchen. Das heißt, wir brauchen nicht unbedingt ein verunfalltes Tier oder eine Blutprobe – die man vom lebenden Tier ja sowieso nicht bekommt. Sondern wir arbeiten mit Spurenmaterial, das man draußen findet. Häufig sind das Kotproben, mit denen Wölfe ihre Reviere markieren. Das gibt dann Hinweise auf Reviergrenzen und darauf, wer die Elterntiere sind. Das machen wir routinemäßig in Brandenburg, um die Rudel zu zählen. Dabei hilft die Genetik. Das können Haarproben sein, Urinspuren im Schnee oder häufig sind es Speichelreste an gerissenen Nutztieren wie Schafen.

Wo es viele Wölfe gibt, werden auch oft Wölfe als Verursacher nachgewiesen

Carsten Nowak

 

Und im Fall des Jagdhundes, der in Brandenburg zuletzt angegriffen wurde, können es auch Spuren am noch lebenden Hund sein?

Ja, man kann auch Spuren sichern von noch lebenden Tieren. Es ist aber nicht garantiert, dass man dann Material von dem angreifenden Tier bekommt. Gerade bei Hunden ist das problematisch. Da findet man häufig Spuren von diesem Hund und vielleicht auch von anderen Hunden, mit dem der Hund Kontakt hatte. Die DNA-Analysen sind sehr sensitiv und weisen häufig mehrere Arten oder mehrere Tiere nach.

In der Vergangenheit konnten wir aber schon mehrfach dazu beitragen, vermutete Wolfsangriffe auf Hunde aufzuklären.

Wie oft – also in wieviel Prozent der Fälle, die Sie untersuchen – war es denn ein Wolf? Oder sind es doch oft Hunde oder gar Füchse?

Da kommt es darauf an, was für ein Tier angegriffen wurde. Wenn ein Hund angegriffen wurde, kann es sich um einen anderen Hund handeln – das ist auch bisher meist der Fall gewesen. Wenn man generell die Anzahl der DNA-Analysen nimmt, die meist von gerissenen Nutzieren wie Schafen und seltener von Rindern stammen - verhält es sich für Brandenburg so, dass wir beispielsweise im Jahr 2023 640 DNA-Proben untersucht haben. 508 Mal davon stammten diese vom Wolf. Der Haushund war 28 Mal betroffen. Bei Nutztierrissen ist es dann doch meist der Wolf.

In anderen Regionen in Deutschland, in denen es nicht so viele Wölfe gibt wie in Brandenburg, verhält sich das anders. In Südwestdeutschland beispielsweise werden auch viele Proben untersucht – und da ergibt der Befund im Verhältnis viel häufiger, dass es ein Hund oder Fuchs war.

Wo es viele Wölfe gibt, werden auch oft Wölfe als Verursacher nachgewiesen. Wo es noch nicht so viele Wölfe gibt, die Aufregung aber eventuell groß ist, weil es erste Wölfe gibt, werden oft Proben eingeschickt von Tieren, die gar nicht gerissen wurden, sondern Totgeburten oder Tiere, die vielleicht an einer Krankheit gestorben sind - und dann war mitunter ein Fuchs als Nachnutzer tätig.

Wie teuer sind die DNA-Untersuchungen, die Sie machen und wer zahlt sie?

Die Untersuchungen kosten meist zwischen 100 und 150 Euro. Es hängt davon ab, ob man nur eine Artbestimmung macht oder auch einen genetischen Fingerabdruck. Mit letztem kann man, wenn es ein Wolf war, das Individuum feststellen. Eilproben sind auch teurer. Das zahlen bei uns die für das Wolfsmonitoring verantwortlichen Umweltbehörden.

Das liegt ja in ähnlichem Preisrahmen wie ein Vaterschaftstest.

Ja, obwohl der Aufwand bei uns größer ist als beim Vaterschaftstest. Denn letzterer ist hochgradig standardisiert und meist findet auch eine standardisierte Probenentnahme statt. Wir hingegen müssen Umweltproben untersuchen, was sehr komplex ist. Oft sind nur sehr geringe DNA-Spuren vorhanden. Da ist der Aufwand wahrscheinlich tatsächlich größer. Doch wir untersuchen ja mehrere tausend Proben jährlich und sind durch die Vergütung der Kosten gut finanziert.

Wie lange muss man auf ein Ergebnis bei Ihnen warten und warum dauert das unter Umständen mehrere Tage?

Durch Corona sind wir da ein bisschen verwöhnt [, was ein schnelles Testergebnis angeht, Anm. d. Redaktion]. Aber da war die Dringlichkeit einfach sehr viel größer und es wurde sehr viel Geld in die Entwicklung von hocheffizienten Testmethoden gesteckt. Die Verfahren sind auch einfacher und gehen schneller. Das ist bei uns - durch die nicht standardisierte Probennahme, die vielen Umwelteinflüsse und dadurch, dass wir mehrere Arten in der Probe haben – deutlich schwieriger. Und die Dringlichkeit ist auch nicht so hoch wie bei einer Pandemie. Wir sequenzieren DNA und machen im Zweifelsfall noch einen genetischen Fingerabdruck – das sind deutlich langwierigere Verfahren. Auf den Artnachweis wartet man, wenn wir die Probe einmal im Labor haben, im Schnitt vier bis fünf Tage. Wenn wir noch das Individuum bestimmen, können noch mehrere Tage vergehen. Es können auch ein bis zwei Wochen werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

24 Kommentare

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  1. 24.

    Angesichts der stabilen Bestände und der hohen Anpassungsfähigkeit des Wolfes ist es nicht mehr gerechtfertigt ihn unter strengen Schutz zu stellen. Diese hohe Schutzkategorie sollte ernsthaft bedrohten Arten vorbehalten bleiben. Für den Wolf reicht es aus, wenn er lediglich unter besonderem Schutz steht.

  2. 23.

    Na da muss ich Sie ja ganz empfindlich getroffen haben. An einem Disput mit Ihnen bin ich jedenfalls nicht interessiert, dazu fehlt Ihnen das Fachwissen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich inhaltlich falsche Äußerungen nicht korrigiere.

  3. 22.

    Also wie beim Menschen.Dasind es Chips und Burger ,aber Wolf wird Schaf to go übel genommen.

  4. 21.

    Der genetischee Unterschied ist nicht sehr groß - nun ja - ich komme gleich 1 Min bis 1 Std. Und Unterschiede zw. Mensch u. kl. Tierchen .... und wenn ich mir hier diese Beßrefelexe reinziehe .... ;-)
    u. da ich von klein auf mit Schäferhunden u. im Schäferhundeclub inkl. W.feiern etc. etc. groß geworden bin, schreib ich lieber nichts ;-)

  5. 20.

    Danke Rosalinde! Kompetente Erklärung ohne Belehrung. Die Beschreibung paßt auch auf einige Macher in der Wirtschaft und Industrie zu. SYLT!

  6. 19.

    Getroffene Hunde bellen. Nö, ich laß mich von Ihnen nicht in ein Disput reinziehen. Sie können im Sommer ja nach Sylt kommen, bin auch dabei!

  7. 18.

    Doch, der Wolf ist nicht nur für Jäger ein Nahrungskonkurrent, er ist ein Nahrungsopportunist. Das heißt, daß er sich an die Nahrung hält, die in kürzester Zeit und mit geringstem Energieaufwand zu beschaffen ist. Und da liegt das Problem. Viele Weidetierhalter machen es den Wölfen durch unzureichenden Herdenschutz zu einfach, an die Beute zu kommen. Das ist aber absolut kein Grund, Canis lupus wieder auszurotten. Der ist in unserer Natur die "Hygienepolizei", weil kranke, schwache Tiere für ihn am leichtesten zu erlegen sind.
    Am Schutzstatus des Wolfes darf nichts verändert werden, auch wenn SN mit der Aufnahme ins Jagdrecht gegen drei internationale Abkommen verstößt!

  8. 17.

    Die Natur war und ist selbst der beste Optimierer. Wir spätestens seit Alexander von Humboldt und Charles Darwin, dass wir garnichts über unser Habitat wissen.
    Deswegen ist es völlig egal wie sie den Wolf charakterisieren. Unseren wichtigsten Beutegreifer, wie übrigens alle anderen Prädatoren auch, knallt man nicht einfach über den Haufen; erst recht nicht wegen irgendeines Dackelbisses.
    Es existiert jahrhundertealter, bestens bewerteter Herdenschutz, der es uns gestattet, trotz unserer exzessiven Ausdehnung, mit den verbliebenen natürlichen Habitaten in friedlicher Koexistenz zu leben.

  9. 16.

    Machen Sie sich bitte mit den Fachwörtern vertraut, bevor Sie dazu wiederholt Unsinn schreiben.

  10. 15.

    Hybriden - sehr interessantes Thema. Ich hatte mal einen Hund, dessen genetischer Stammbaum sah folgendermaßen aus: Muttertier Riesenschnauzer/Rottweiler, Vatertier Karst-Schäferhund/Wolfshybrid.
    Der hatte außer dem typischen Wolfsgeheul nur die Eigenschaften von Canis lupus familiaris.
    Seitdem liebe ich Wölfe. Nicht umsonst ist der Wolf zum besten Freund des Menschen geworden - nicht nur, weil wir mit denen viele Gemeinsamkeiten haben: Gleiches Beutespektrum, gleiche Jagdtaktik, ähnliches Sozialverhalten etc.
    Übrigens sind andere Hunde für den eigenen Hund weitaus gefährlicher. Meine wurden von anderen mehrfach angegriffen und auch gebissen, aber nie von einem Wolf - auch nicht, wenn im Wald ein Wolf in der Nähe war.

  11. 14.

    Die Bezeichnung „opportunistischer Beutegreifer“ kennzeichnet einen Nahrungsgeneralisten, der nicht auf bestimmte Beutetierarten spezialisiert ist. Dieser Fachbegriff hat nichts mit bewussten Entscheidungen zu tun, wie Sie fälschlich annehmen.

  12. 13.

    Angebote finden sie z.B. in der Lausitz, in der Schorfheide, auch im Wendland. Ein paar Anbieter haben auch "Vollmondwolfsnächte" im Angebot. In der Südheide z.B. ist "Kenny Kenner" eigentlich ein Begriff.

  13. 12.

    Der Wolf, wie jedes Tier ist per se kein ,,Opportunist“. Nur der Mensch. Auch ein Verwaltungsfreund ist per se ein Opportunist.

  14. 11.

    Eher sinds dumme Menschen, die ihrem Hund ein Stigma verpassen. Der Hund kann nichts dafür.

  15. 10.

    Der Wolf ein ,,Opportunist''? Ich glaubs nicht. dagegen ist jeder Verwaltungsfreund ein Opportunist. Ein Tier kann kein Opportunist sein, nur der Mensch, weil bewußt.

  16. 9.

    Wo kann man denn geführte Wolfswanderungen buchen?
    Ich bin auch sehr viel im Wald unterwegs aber das Glück hatte ich noch nicht obwohl ich ja eigentlich in einem Gebiet wohne wo es angeblich welche gibt.

  17. 8.

    Wilde sind vielleicht unproblematisch für uns Menschen, weil sehr scheu.

    Größere Haushunde bzw deren Menschen (?)machen mit aber oft richtig angst.

  18. 7.

    Sehr angenehmes, unaufgeregtes Interview. Danke für die ausgewogene Berichterstattung. Ich denke, allein die zahlenmäßige Gegenüberstellung freilebender, scheuer Wolf/Haustier ist beeindruckend.

  19. 6.

    Gönnen sie sich mal eine geführte Wolfswanderung. Es kann mitunter ein echt unvergessliches Erlebnis sein. Ich bin ja nun viel draussen. In den ganzen Jahren habe ich erst dreimal einen Wolf, einmal sogar mit Welpen, länger in freier Natur beobachten können. Für mich sind das zwar "nur" Raubtiere aber doch imposant und irgendwie stolz.

  20. 5.

    Ein sehr interessantes und wohltuend sachliches Gespräch...

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