rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 3. Tür: Fliegen lernen und landen üben

Diesmal: besonders viel Vau. Ja, es gibt Erhebungen und Hügel in Brandenburg. Aber echte Gipfel, die diesen Namen wirklich verdienen, gibt es nicht. Und trotzdem kann Brandenburg mit einem Auslauf von nationalem Format prahlen.
24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.
Nur, weil das hier ein sehr sportliches Adventskalendertürchen ist, geht es jetzt nicht um Rekorde oder um Trainingsmethoden. Nahrungsergänzung spielt auch keine Rolle, nein. Es geht um Konstruktionen.
Brandenburg ist sportlich. Das allerdings vor allem dann, wenn die Sonne scheint und die Temperaturen nicht allzu tief sinken. Die Menschen hier leben in einem Ruderland. Und in einem Schwimmerparadies. Und natürlich gibt es viele Ballspieler. Aber sie alle wollen spätenstens ab null Grad lieber dorthin, wo die Heizung bollert, ins warme Wasser oder aufs Parkett und in die Halle. Kommt der Winter, finden sich die Athleten zum Grog im Bootshaus oder auf dem Weihnachtsmarkt ein. Eis und Kälte sind im Brandenburgischen nur selten begleitet von anhaltend weißer Pracht und Loipen-Paradiesen. Wintersportlich ist die Region nahezu ein Niemandsland.
Die Meisterin und der Bronze-Athlet
Dieses "nahezu" ist hier wichtig, weil natürlich auch ein paar Menschen im Frost trainieren und auch mit Eis sehr gut klar kommen. Vor allem aber ist dieses "nahezu" deshalb wichtig, weil in Bad Freienwalde mal ein paar Enthusiasten des Wintersports vor rund hundert Jahren eine verrückte Idee hatten, die bis heute für glückliche Wintersportler und staunende Besucher sorgt: Brandenburg ist Skisportzentrum.
Es gibt eine Skihalle, es gibt sogar Schlittenhundeveranstaltungen und man darf auch nicht die Winterschwimmer vergessen. Aber so richtig wintersportlich hält genau eine Stadt den Schneeschieber hoch: Bad Freienwalde. Der Verein, der hier wirbelt und sich zwölf Monate im Jahr dem Wintersport verschrieben hat, heißt WSV 1923 Bad Freienwalde. Von hier kommt die aktuelle Deutsche Juniorinnenmeisterin Alvine Holz und der aktuell drittplatzierte Skispringer der Junioren, Max Unglaube. Ihre Sportart ist Skispringen.
Die Schanze im Moränenberg
Sich ins Tal stürzen, den Abhang runterfegen und sowohl die parallele wie auch die V-Haltung der Ski beherrschen - das sind die Skispringerinnen und Skispringer aus Bad Freienwalde. "Das märkische St.Moritz" zitiert die Vereinschronik eine fast hundert Jahre alte Beschreibung der Anlagen dort.
Zuerst praktizierte man hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts Rodeln und Eislaufen, und wenn der Schnee reichte auch Langlauf. Dann aber kam einer auf Idee, aus Schnee eine Schanze in den eiszeitlichen Moränenberg zu stampfen. Das war ein Erfolg, der alljährlich optimiert wurde, bis 1925 die Papengrundschanze entstand. Selbst Norwegen kam zu Besuch, wie die Vereinschronik erzählt: "Überliefert ist, dass der Norweger Birger Ruud, der spätere Olympia-Sieger von 1932 und 1936, hier 24 Meter erzielte."
Helmut Recknagel und seine Fans
Die Skispringerei hier auf Deutschlands nördlichster Sprungschanze hielt sich bis tief in die DDR-Zeit. Mitte der 70er aber war Schluss für knapp 30 Jahre, bis dann 2001 wieder Speed in den Papengrund kam, Aktivisten sich für neue und verbesserte Absprungbalken einsetzten und es schafften, dass dort nun vier Schanzen mit Auslauf, Matten und Wertungsturm stehen.
Weil es Geld kostet, eine Schanze zu bauen und Namensgeber braucht, um die Jugend so richtig zu motivieren, heißt die Anlage jetzt "Sparkassen Ski-Arena" und die große 60-Meter-Anlage "Kurstadtschanze Helmut Recknagel". Zwar ist der Vierschanzentournee-Held und Skisprung-Olympiasieger Recknagel Thüringer. Aber: Er lebt und arbeitete lange in Brandenburg und ist sehr verbunden mit dem WSV 1923 Bad Freienwalde - dokumentiert und in Chroniken festgehalten.
Zwei Bretter mit Schuhen, Helm, Schaumgummianzug und viel Mumm: Skispingen ist eine Art Zirkus: Unten in der Arena jubeln die Leute und warten auf den großen Moment. Oben im Trapez hängen die Künstlerinnen und Künstler und landen nach einem langanhaltenden "Oh", das ihren Absprung begleitet, geerdet im Tal. Bad Freienwalde ist eine Arena, wo man fliegen lernen kann, wenn man winterfest und mutig ist und wenn man weiß, wo an der B 158 die dicke Kante lauert.