rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 1. Tür: Hahohe, ein grüner Bahnhof

Fr 01.12.23 | 06:00 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Adventskalender Tür 1: Eine einfahrende U-Bahn im Bahnhof Gesundbrunnen (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders tief. Vor rund 120 Jahren konzipierte Berlin eine U-Bahn, die ihre Fahrgäste bis an die Stadtgrenze im Norden bringen sollte. Dann aber wurde aus dem Plan lange nix, dann verschob sich die Stadtgrenze und noch später ging gar nichts mehr.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Tiefe Tunnel durch hohe Berge braucht es in Berlin nicht. Wird hier eine Unterführung geschaffen, sind dafür meist nur ein paar Schippen Sand zu bewegen. So richtig weit runter also reichen die Berliner Tunnel nicht. Bis auf einen: Der U-Bahnhof Gesundbrunnen ist der (damals, als er entstand) tiefste seiner Art in der Stadt mit knapp 15 alpinen Metern. Manche Chronisten zählen 18.

Doch nicht nur der Abstand zum Pflaster auf der Brunnen- oder der Badstraße ist eine Bestmarke. Auch seine Bau- und Betriebsgeschichte ist gespickt mit Ausnahmewerten. Mehr als 20 Jahre war er als Bahnhof angekündigt, wurde projektiert, umgeplant und dann doch ganz anders. 1907 wurden erste Entwürfe vorgestellt, 1930 aber erst wurde er eingeweiht - das war damals eine Ewigkeit, schließlich fiel in diese Zeit die Erweiterung des Stadtgebiets auf Groß-Berlin und damit etwa eine Verdoppelung der Einwohner.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Geplant für ganz weit draußen

Gesundbrunnen lag darum seit 1920 nicht mehr am Rand Berlins sondern mittendrin. Die AEG hatte Bahnhöfe und Strecke dorthin bauen wollen, machte die Pläne, doch die Stadt hatte anderes vor. Die Wirtschaft kriselte, man stritt über "oberirdisch" und "unterirdisch", über die Strecke und übers Geld natürlich. Die von der AEG für den Bau gegründete Firma ging darüber pleite. Rund sieben Jahre ruhten die Arbeiten und schließlich baute die Stadt den Tunnel selbst fertig.

Seit 1880 bereits war Gesundbrunnen ein Fernbahnhof mit Gleisen tief unter der Brunnenstraße. Darunter und also noch tiefer musste nun der U-Bahnhof gegraben werden - gestaltet von Alfred Grenander und seit 1930 bis heute erhalten: in Grün.

Im zweiten Weltkrieg wurden die Tunnel der U-Bahn sowie damit verbundene weitere Katakomben und Bunker für den Zivilschutz genutzt, ein Gewirr, durch das heute der Verein "Berliner Unterwelten" alljährlich tausende Besucher führt.

Zugemauert und verkauft

Der tiefe U-Bahnhof ist Bestandteil der Funktion als Nordkreuz für S- und Regionalbahnen. Doch diese Funktion wurde dem Bahnhof mit Teilung der Stadt und Mauerbau nahezu völlig amputiert. Er lag nun direkt an der Zonengrenze. Im Osten machte die S-Bahn nach 1961 eine 90-Gradkurve von der Schönhauser nach Pankow. Und genauso blieb die West-S-Bahn-hoch nach Frohnau im Westen und tunnelte nur Berlin-Mitte. Gesundbrunnen wurde das toteste aller Berliner Bahnkreuze. Seit 20 Jahren aber rollt es hier wieder mit ICE-Halten und Ostsee-IC-Stopps und mit neuen Regionalbahnlinien.

Fast könnte man sagen, dass der Bahnhof Gesundbrunnen auch noch der blaueste aller Berliner Bahnhöfe ist - schließlich ging es von hier aus auf den Platz der Hertha. Aber das ist seit etwa 50 Jahren vorbei. Plumpe nannten die Leute das Stadion am Gesundbrunnen. Heute findet man es nur noch in Geschichtsbüchern, weil Hertha das Gelände versilbert hat und dort nun Wohnhäuser stehen. Die Kneipen östlich der Behmstraße sind nun meist von hippen Union-Anhängern besetzt. Dafür ist Gesundbrunnen der Bahnhof mit den meisten Hertha-Malereien und Klebereien. Der blau-weißeste.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

9 Kommentare

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  1. 9.

    „Bei der Bahn wärs aber noch wesentlich mehr Aufwand gewesen, weil jeder Bahn-Bahnhof intern auch eine technische Abkürzung hat“

    Wobei die Bahn auch gerne mal die Abkürzung beibehält, wenn die Station umbenannt wird. So hat der Fernbahnteil von Südkreuz auch noch die Abkürzung „BPAF“ – Berlin-Papestraße Fernbahn.

    „Wäre ja ne komische Konstellation gewesen, wenn der U-Bahnhof weiterhin Gesundbrunnen und der Vollbahnhof oben drüber Nordkreuz heißt.”
    So komisch ist das nicht. Wer zum Vollbahnhof Berlin-Spandau will, muss am U-Bahnhof RATHAUS Spandau aussteigen. Oder wer in Hamburg Dammtor in den ICE will, steigt an der U-Bahnhaltestelle Stephansplatz aus.

  2. 8.

    >"Da in den technischen Anlagen mit Bahnhofsnamen und Abkürzungen gearbeitet wird, wäre eine neue Bezeichnung nur mit einem Riesenaufwand umzusetzen gewesen, hieß es damals seitens der BVG."
    Bei der Bahn wärs aber noch wesentlich mehr Aufwand gewesen, weil jeder Bahn-Bahnhof intern auch eine technische Abkürzung hat und die nicht nur im gesamten deutschen Schienennetz so verwendet wird, sondern auch europaweit.
    Für die Umbenennung von großen Verkehrsbahnhöfen bedarf es auch die Zustimung des jeweiligen Bundeslandes. Für die Umbenennung eines regionalen ÖPNV Halts (z.B. U-Bahnhof) bedarf es nur die Zustimmung der jeweiligen Kommune bzw. in Berlin vielleicht Stadtbezirk. Wäre ja ne komische Konstellation gewesen, wenn der U-Bahnhof weiterhin Gesundbrunnen und der Vollbahnhof oben drüber Nordkreuz heißt.

  3. 7.

    Danke, dann geht ein zusätzlicher Dank an die BVG.

    Vielleicht haben die - über solche technischen Schwierigkeiten hinausgehend - sich noch an die frühe GN-Linie erinnert (Gesundbrunnen - Neukölln) und wollten nicht, dass daraus aus einer Nachhinein-Perspektive eine NN-Linie wird. ;-

  4. 6.

    Wahrscheinlich wird kein "objektiver" Begriff für Dasjenige gefunden werden können, was links u. rechts der Mauer existierte.

    Zone war der überlieferte Begriff vor der Gründung der beiden deutschen Staaten im Mai und Okt. 1949, in Berlin hieß das sichtlich Sektoren. Dann wurden die Staatsgründungen FAKTISCH auf Berlin übertragen, völkerrechtlich jedoch nicht, denn nach wie vor stand Gesamt-Berlin unter dem Vier-Mächte-Status und jedes Bundesgesetz bzw. jedes DDR-Gesetz musste einzeln und eigen für Berlin bestätigt werden - sowohl für West-Berlin als auch für Ost-Berlin.

    Bemerkenswert ist aber wohl, dass trotz der wohl hermetischsten Grenze der Welt diese Grenze in Berlin an einigen Stellen wenige Zentimeter dünn war - bei der S-Bahn in Höhe Bornholmer Straße (worauf der Artikel indirekt hinweist) und bspw. am Alexanderplatz zwischen der dort nicht haltende Linie (U)8 und dem darüberliegenden Fußgängertunnel.

    Den Autoren Dank!

  5. 5.

    Auch die U-Bahn soll erheblich dazu beigetragen haben, dass der "Eisenbahn"-Bahnhof seinen Namen behalten durfte. Da in den technischen Anlagen mit Bahnhofsnamen und Abkürzungen gearbeitet wird, wäre eine neue Bezeichnung nur mit einem Riesenaufwand umzusetzen gewesen, hieß es damals seitens der BVG.

  6. 4.

    Vielleicht ist noch erwähnenswert, dass zu Zeiten Hartmut Mehdorns geplant war, Gesundbrunnen den Bahnhofsnamen zu nehmen; Nordkreuz sollte der heißen, analog zu Südkreuz (gleichfalls Fernbahnhof), Westkreuz (nur S-Bahn) und Ostkreuz (S- und Regionalbahnhof).

    Es waren m. W. zwei Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die sich dransetzten und akribisch, mit hohem Sachverstand und auch mit Überzegung sich für die Beibehaltung des Namens Gesundbrunnen einsetzten - die frühere naturräumliche Lage einer tats. Heilquelle, die Geburtsstunde der AEG, die allererste Berliner U-Bahn-Versuchsstrecke und Hertha BSC waren ebenso dabei wie die NICHT-Notwendigkeit, dass die Kreuzungsbahnhöfe am Ring systematisch benannt werden müssten. Schließlich fährt faktisch kein Mensch den ganzen Ring herum und somit kann der eigene Name "Gesundbrunnen" durchaus beibehalten werden, statt durch ein lautmalerisch hartes "Nordkreuz" ersetzt zu werden.

    Da kam auch ein Hartmut Mehdorn nicht dran vorbei.

  7. 3.

    Sehr interessanter Artikel. Danke.

  8. 2.

    Damals hatte man noch mit Weitsicht gebaut. Heute verweigern linke und linksalternative Politiker dem Vorbilder von Wien und Paris für eine erfolgreiche Verkehrswende zu folgen. Besonders erschrecke0nd dabei z.B. eine Antje Kapek, der erst jetzt aufgefallen ist, dass es der BVG an Fahrer und Planern mangelt.

  9. 1.

    So schnell wie damals baut man nicht mehr. jetzt dauert der U-Bahnbau Jahrzehnte. nach dem Mauerfall wurde uns die Wiederherstellung des S-Bahn-Netz versprochen. von Gesundbrunnen fährt noch immer keine S-Bahn nach Velten und und... Die Heidekrautbahn fuhr mal von Schönheit aus. obwohl vor Jahren der sog. 1. Spatenstich war wird noch immer nachgedacht, geplant... Und in Berlin gab es keine Zonengrenze, Berlin hatte Sektoren. Und schauen wir uns am Gesundbrunnen um, Dreck, Schmutz in Massen.

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