rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 18. Tür: Wie hohl soll er werden

Mo 18.12.23 | 06:00 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Gasometer in Berlin-Schöneberg (Quelle: rbb/M. Behrendt)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders hohl. Dieses Türchen öffnet sich in Richtung Schöneberg und hat fast nichts in sich. Es war einst hochexplosiv gefüllt und ist heute noch immer aufgeladen. Dass es einmal richtig schick und total in ist, darauf hätte keiner gewettet.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

"Tempel sind wieder in Mode." - Dieser Satz sollte eigentlich in kursiven und halbfetten Versalien auf dieser Kalendertür stehen. Die Anführungszeichen hatten wir schon hingemalt, der Name des Zitatgebers sollte in Frakturschrift darunter. Historisierend, wie man so schön sagt. Es geht hier ja schließlich um Geschichte. Aber wir konnten niemanden finden, der das da oben auch wirklich gesagt hat: "Tempel sind wieder in Mode." Also sagen wir es jetzt und lassen die Anführungszeichen weg. Es ist eine Weihnachtskalender-These.

Gas erleuchtet die Stadt

Es geht um den Tempel Schöneberg. Er ist ein Gasometer, also eine runde Konstruktion in deren Innern früher Gas gespeichert wurde und für die seitdem die Menschen nach einer neuen Bestimmung suchen.

Berlin brauchte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Gas für seine Industrien und seine Wohnungen. Das Gas stellte sicher, dass die Stadt gedieh und wuchs und leuchtete. Zunächst wurden die Gasspeicher gemauert, später dann- wie in Schöneberg - aus Stahl konstruiert. Sie waren so eine Art Mittelstufe der Energiespeicher. Sie stellten sicher, dass immer und zu jeder Zeit Gas, Wärme und Energie parat standen.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Redakteur Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Ein ausfahrbarer Tank

Der Gasometer Schöneberg war in seinem Umfang bei seiner Errichtung 1910 der drittgrößte Europas, eine Art Quantensprung zu älteren Speichern in seiner Konstruktion, Funktion und Kapazität. Verglichen etwa mit dem heutigen Fichtebunker, einst ebenfalls ein Gasometer, klassisch gemauert und fast 50 Jahre älter als der in Schöneberg. Schönebergs Speicher war ein Teleskop-Gasometer. Entsprechend seiner Auslastung konnte der Speichertank nach oben ins Gerüst ausgefahren und erweitert werden.

98 Prozent der Berliner Häuser und Grundstücke hatten um 1900 einen Gasanschluss, 30 Gasspeicher hatte die Stadt und brauchte mehr. Schöneberg war darum auch nicht der letzte. Doch dann, zur Mitte des 20. Jahrhunderts änderten sich Nutzung und Versorgung. Gas kam über Pipelines in die Stadt und wurde kaum oder in noch größeren Lagern außerhalb der Zentren gelagert. Licht und Energie wurden zudem zunehmen mit Strom erzeugt, die Stadt entließ seine Speicher und riss sie ab.

Wohl wenig bewusst

 

Genutzt, erweitert und immer wieder erneuert wurden die Anlagen des Geländes in Schöneberg dann bis 1995. 2007, so schreibt es das Landesdenkmalamt, wurde das Gelände verkauft. Jetzt sitzt dort der Euref-Campus - Forschungs- und Entwicklungsstandort "Europäisches Energieforum". Der Gasometer selbst aber auf dem Gelände beschäftigt die Stadtentwickler weiter, denn alle wissen genau, wie der einstige "Niederdruckbehälter" mal auszusehen hat.

Über die Eisenträger des Speichers, die 78 Meter in die Höhe ragen und bei Führungen Ausblicke über die Stadt erlauben, wurde gestritten. Wie viele Etagen des Gerüsts sollen frei stehen bleiben und damit ausweisen, was das hier einst war? Eigentlich aber ist genau das bereits entschieden.

Lyonel Feininger malte einst den Speicher, als er gerade stand, etwa 1912. Auf seinem Bild sieht es aus, als stehe der Turm in Flammen. Und oben war viel frei. Mindestens eine Etage.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

6 Kommentare

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  1. 6.

    Darauf könnten wir uns ggf. schon einigen: Ein von weit her - d. h. von mehreren Ringbahn-Stationen her - sichtbares Denkmal, das jetzt sein Prägnantes verloren hat.

  2. 5.

    der Gasometer ist seit mehreren Jahren innen zugebaut und bis auf den obersten Ring verglast. Das Gasometergerüst wurde dabei saniert. Das war richtig laut.

  3. 4.

    Also Landmarken sind gemeinhin ja weit sichtbar. Fernsehturm, Funkturm, u.U. auch Sendeturm Schäferberg, Sendemasten am Scholzplatz, die alte Radarstation auf dem Teufelberg - aber 'n Gasometer ... büsschen lütt. Ein schönes technisches Denkmal eher.

  4. 3.

    Mein Empfinden ist dasjenige, dass die Allermeisten, die das Gasspeicher-Gerüst, den Gasometer für eine Landmarke halten, gerade seinen Nichtinhalt bewunderten - die Auslassung gerade in einer Zeit, in der jeder Quadratmeter mit Nutzung überzogen wird.

    Diese Großzügigkeit ist weg. Ein halbes Wunder, dass wenigstens ein Teil der Grenzstreifens entlang der Bernauer Straße mit geringer Nutzungsdichte versehen ist, die Kapelle der Versöhnung nicht eingeklemmt wurde zwischen sechs- und siebengeschossigen Bauten links und rechts.

    Ich sehe das als Wandlung des ökologischen Anspruchs: Wo es vorher noch um einen anderen Umgang auch mit der Flächenbelegung ging, geht es heute darum, dass ökologisch (bloß) das sei, was an Schädlichem nicht mehr hinten rauskommt.

  5. 2.

    Hallo HoHoHo, ja, im Sommer nächstes Jahr sollen bereits die ersten Veranstaltungen hier stattfinden. Wir haben es geändert.

  6. 1.

    Die Baugenehmigung ist nicht nur längst erteilt, der DB-Neubau ist fertig und lässt die letzte Etage frei.

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