rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 16. Tür: Die Steigerung von Kultur? - Am Überlebensten!

Sa 16.12.23 | 06:00 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Die verschwundenen Bühnen in Berlin und Brandenburg (Quelle: rbb/M. Behrendt)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders hinfällig. Viele Kulturstätten Berlins haben es gefunden - ihr Überlebenselexier für die Hauptstadtkultur (ja, so heißt das in Berlin). Weitergeben können sie das Rezept dafür nicht. Jeder muss sich seins selber rühren. Drei aktuelle Zaubertrankbeispiele.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Braucht die Kultur die Angst, also braucht sie es, dass auf sie gleich hinter der Ecke immer der Tod lauert, also der Tod ihrer Bühne? Ist es Teil der Vorstellung, dass sich da vorn vor dem Publikum immer die Vergänglichkeit unter die Kunst mischt, dass Bleibendes nur entsteht, wenn die Existenz in Frage steht?

Kalter Schweiß, kleine und große Panik und offene oder versteckte Sorge sollen also förderlich sein? - Zitate, Aphorismen und Sinnsprüche von Isabel Allende oder Ulrich Wickert sind hier verboten. Dieser Kalender bietet ein Türchen, das nur an die großen und kleinen Vorhänge des Jahres und ihre Rätsel erinnert.

Die Kultur ist eine Art Routine der Vergänglichkeit. Der Vorhang geht zu, der Abspann läuft, die Instrumente werden abgeräumt, die Autorin tritt an den Bücherverkaufstisch und der Maler steckt einem geldschweren älteren Ehepaar seinen Katalog zu. Das Vergessen beginnt auf dem Heimweg, gleich nach dem Einsteigen in die Straßenbahn, es wartet unterm Kopfkissen im Bett, und dieses Vergessen hat schon eingesetzt, wenn man sich am Morgen wieder den Kittel überstreift. Es sei denn, es gibt da etwas, das komisch war an diesem Kulturerlebnis gestern, etwas, das hängen geblieben ist. Aber das ist nur eine der Möglichkeiten.

Irgendwas ist anders

Als Beispiel nehmen wir das Kino: Im letzten Sommer wurde bekannt, dass es im Colosseum in der Schönhauser Allee - immerhin ein digital ausgestattetes und eingerichtetes Multiplex mit einem recht historischen Saal - irgendwie weitergeht nach drei Jahren Schließung. Es war einst eine Wagenhalle, dann Bushof, dann eine frühe Kinokathedrale, wurde in den 50ern zum Ostberliner Premierensaal und kam nach der Wende zu neuen Ehren.

Bis zur Schließung in der Pandemie. Drei Jahre war das Haus nun zu, seit ein paar Monaten stolpert es wieder durch die Kinogegenwart und macht die Ecke bunt. Die Bilder dürfen wieder rein. Wieder Kulturleben nach einen Kinoherzstillstand.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Redakteur Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Weiter Unklarheit

Oder die Bühnen am Kurfürstendamm mit dem Theater und der Komödie, sie können ähnlich punkten wie das Colosseum mit mehr als hundert Jahren Historie und Wiederaufbaugeschichte. Aber seit ein paar Jahren ist das Theater weg, abgerissen und die Garantien für eine neue Heimstadt an gleicher Stelle klingen wie eine abgekartete Flunkerei.

2016 war das Jahr, wo ein wieder einmal neuer Eigentümer von den alten Plänen nichts mehr wissen will. Die 2023er Botschaft: weiter Unklarheit. Die Kunst muss seitdem immer umziehen und arbeitet nur fern ihrer Kunstheimat am Ku'damm. Aber sie spricht noch und die Leute klatschen.

"Es ist Schluss" - ist das Aufbruchsignal

Dann ist da noch eine andere Gattung, ein Club, das Berghain. 2023 sollte Schluss sein. Das schrieben im Herbst '22 gleich mehrere Blätter. Kein Einlass-Kult mehr, keine DJ-Auszeichnungen, kein Dress-Code und keine Schlangen im Regen in ergebener Vorfreude auf die Beats. Schluss. Dann aber löste sich wenige Tage nach der "Das-Berghain-wird-verkauft-Schlagzeile" der Verkaufs-Hype in einen "Geht-weiter-Hype". Es wird wieder gestaunt, taxiert und in der Panoramabar komisch geblinzelt. Der Darkroom lebt. Die Bässe sind bis Ostbahnhof zu hören.

Irgendetwas braucht es, um die Bühnen am Laufen zu halten. Aber ob es stark genug ist - dieses kleine Etwas -, das erweist sich immer erst hinterher. Vielleicht half in diesem Jahr dem Colosseum der Schönhauser-Allee-Hype, der Ku'damm-Bonus dem Ku'damm-Theater oder das Foto-Verbot-Mysterium dem Berghain. Es sind Rätsel. Manchmal findet man sie vor dem Vorhang irgendwo. Meistens aber verschwinden sie mit dem Vorhang.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

3 Kommentare

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  1. 3.

    Ich danke Ihnen für diesen wunderbaren Artikel samt allen Schlussfolgerungen.

  2. 1.

    Die Abendschau will ja nicht dascmann bei Ihnen Kommentare zum Böllerverbot schreibt also hier :

    Ich bin für ein Volksbegrhren um Böllern/Feuerwerk und Verkauf auch zu Silvester zu verbieten.

    Ausser Siblester dürfen ja sowieso keine Böller/Feuerwerk verkauft werden.

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