rbb|24-Adventskalender | Hochgestochen, tiefgestapelt - 19. Tür: Wie heißen wir jetzt gleich noch mal?

Di 19.12.23 | 07:29 Uhr | Von Stefan Ruwoldt
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Schloss Neuhardenberg im Landkreis Märkisch-Oderland (Quelle: rbb/M. Behrendt)
Bild: rbb/M. Behrendt

Diesmal: besonders klassisch. Karl Marx und Friedrich Engels - Klassikerliteratur nannten Funktionäre im Osten ihre Werke. Klassikerehren wurden 1949 einem Brandenburger Örtchen verliehen, den keiner dieser beiden je gesehen hatte. Ein Klassikermärchen mit adligem Happy End.

24 Geschichten mit Höhen und Tiefen aus Berlin und Brandenburg. Was ist besonders hoch oder tief, ist nur besonders speziell zu erreichen oder irgendwie anders besonders. Alle Türchen auf einen Blick finden Sie hier.

Brandenburg kämpft bereits sehr lange mit dem Verfall seiner Herrenhäuser. Es ist wie ein Pendel: Das Fürstliche kommt in Mode und wird üppig verziert. Dann verblasst der Glanz. Niemand will sich mehr kümmern, der Holzwurm übernimmt. Und nur manchmal sorgen wieder Geldgeber für Glanz.

In den DDR-Jahren allerdings witterte die neue Elite in den Herrenhäusern alten Geist und überholte den Holzwurm sogar noch beim Ruinieren der Adelspaläste. An einer Stelle in Brandenburg kamen zu der Idee des Abwohnens auch noch Agitation und Propaganda hinzu. Hier machte der Sozialismus jemanden zum proletarischen Herrn eines Schlossdorfes, der das sicher so nicht gewollt hätte.

Schinkel, Lenné und der neue Herr

Herr, Bürger und Diener, Fürstin, Bürgerin und Magd - der Ort Neu-Hardenberg war traditionell aufgestellt bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Gutsherr war Carl-Hans Graf von Hardenberg, Diener waren seine Angestellten. Gefühlte Diener waren wohl auch all jene Bürger rundrum, die auf das Schloss des Herren blickten.

Ein Vorfahr des Grafen, Karl August von Hardenberg, hatte dieses Schloss für seine Verdienste um den Staat von Preußens König Friedrich Wilhelm III. erhalten, es sehr bald von Karl Friedrich Schinkel umbauen und von Peter Joseph Lenné den Garten gestalten lassen und sich selbst zu Ehren das Gut und damit auch den Ort umbenannt. Aus Quilitz wurde 1815 Neu-Hardenberg.

Illustrator Embe - Marcus Behrendt (Quelle: rbb/Marcus Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Illustrator und Comiczeichner "EMBE", bekannt auch als Marcus Behrendt, hat für den Adventskalender eine neue Farbe erfunden: das röteste Weihnachtsrot außerhalb von Vatikanstadt. Er ist auch Pädagoge und zeichnet schneller als ein Weihnachtsschlitten im Sturzflug. Stets mit den besten Utensilien ausgestattet, kritzelt er sich durch alle Medien. In der Weihnachtszeit liest er gerne einen guten Comic und genießt die schärfsten Soßen der Welt.

Redakteur Stefan Ruwoldt (rbb/M. Behrendt)
rbb/Marcus Behrendt

Redakteur Stefan Ruwoldt hat diesen Weihnachtskalender auf dem Kopf stehend mit nur einer Hand geschrieben, und das Ganze an nur einem einzigen Tag und mit einer Feder, die Friedrich der Große einst aus Frankreich importiert hatte und dann in Pankow irgendwie vergaß. Rekord. Natürlich. Nach dem 24sten aber sitzt dieser Redakteur wieder an einem ganz normalen Schreibtisch und freut sich auf seine Feierabende ohne Bestwerte.

Quilitz und Hardenberg wurden vergessene Vergangenheit

130 Jahre später dann sind Schloss und Dorf besetzt von sowjetischen Einheiten. Ungeachtet der Rolle des letzten Gutsherren Carl-Hans Graf von Hardenberg - er hatte unter anderem zur Gruppe um Stauffenberg und den Versuch gehört, Adolf Hitler 1944 durch ein Attentat zu töten und wurde dafür im KZ Sachsenhausen inhaftiert - wurden Schloss und Güter des Grafen enteignet.

1949 dann wurde erneut der Name des alten Herren ersetzt gegen den des neuen und nun verehrten Geistes: Karl Marx. Neu-Hardenberg wurde Marxwalde. Quilitz und Hardenberg waren Teil der schändlichen Vergangenheit. Ins Schloss zog nun die Schule. Die Chronik des Orts weist reichlich Veränderungen aus, die halfen, dass der kleine Karl-Marx-Ort gedieh. Besonders dabei half - ähnlich wie in anderen Orten in früheren Zeiten, dass der nahe Militärflughafen wuchs, Marxwalde eine Art Garnison wurde.

Fliegerhorst, Neubauten, Ernteerfolge - all das verhinderte nicht, dass 1991 der Ort - zumindest namentlich - wieder wurde, was er vor 1949 war: Neu-Hardenberg, nur künftig ohne Bindestrich. Diesmal aber erfolgte die Umbenennung nicht durch fürstlichen Erlass oder nach Funktionärsukas, sondern nach dorfparlamentarischem Beschluss.

Schinkel, Thälmann und auch noch Jähn

Es folgte die große neu-fürstliche Story. Mehr als 40 Jahre war das Schoss entadelt worden, war Lazarett, Schule, Jugendklub und Übungsarena einer Sportgruppe, so erzählt es die Ortschronik. Es wurden Geldgeber gefunden, es wurde saniert, einiges abgerissen und seit der Eröffnung finden hier Kultur und Feste wieder einen edlen Platz.

Das Pendel in Neuhardenberg schwingt nun schon dreißig Jahre ein bisschen ruhiger, weil alles einen Platz findet: die Dorf- und Gutsgeschichte, Preußen, Schinkel, Lenné, Hardenberg und auch Karl Marx. Ernst Thälmann hat noch eine Straße hier. Kosmonaut Siegmund Jähn wurde am Fliegerhost zum Fliegerkosmonauten und steht ebenso dokumentiert im Zeitstrahl des Orts wie der Bau der Schule "Friedrich Engels" und die Karl-Marx-Büsten-Weihe. Keiner wird hier mehr vergessen.

Beitrag von Stefan Ruwoldt

6 Kommentare

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  1. 6.

    Ich habe als Bundeswehrangehöriger am 03.10 1990 in Marxwalde die Wiedervereinigung erlebt und viele neue Freunde gewonnen. Von den Angehörigen der NVA freundlch begrüßt.Als geborener Berliner kam ich wieder in die Heimat zurück!

  2. 5.

    Frappierend dabei ist die Einbeziehung der jeweiligen Bürgerschaft: In Neuhardenberg wurde der Sternenhimmel m. W. genauso per Spenden (pro Sternenfeld) geschaffen wie bspw. in der wieder erstandenen Kirche am Neuendorfer Anger in Potsdam-Babelsberg.

    Berlin zieht dagegen eher hochkarätige Architekten herbei, die dann dasselbe vorschlagen, was bereits jh. lang überliefert ist. (Auch Hamburg ist dafür berühmt und berüchtigt, bspw. ein Motto für den Stadtstaat auszuloben, wobei dann das Ergebnis der hochkarätigen Beratung relativ profan ausfiel: "Hamburg - Tor zur Welt". Auch der sehr veredelte Zumthor-Entwurf bei der Topografie des Terrors in Berlin hätte das Projekt fast zum Kippen gebracht.)

  3. 4.

    Richtig, diese Schinkel-Kirche mit seinem blauen Sternenhimmel kennt man aus Fernsehberichten.
    Und diesem Gewölbe wiederum nachempfunden ist die Decke des U-Bahnhofs Museumsinsel, welchselbe ein sehr teurer Schweizer Architekt anfertigen ließ. Er war sogar vor Ort und hat das Original besichtigt.

  4. 3.

    Ich kann mich noch gut erinnern, in der wieder mit Sternengewölbe versehenen Schlosskirche um die Jahrtausendwende herum den Lesungen aus der Bibel und aus dem Kor´an beigewohnt zu haben - gelesen von Ulrich Mühe und Susanne Lothar. Gewiss ist auch Hardenberg von außen gekommen, doch er hat sich - eingebunden in die damalige Zeit - um den Ort gekümmert. Karl Marx wurde dagegen nur "beigezogen", deshalb hat das namentlich auch keinen Bestand gehabt.

  5. 2.

    Von Hardenberg war dabei ja auch noch ein Zugereister aus dem heutigen Niedersachsen. Dort hat man auch das Kapital, währen Marxwalde das Kommunistische Manifest blieb. ;-)

  6. 1.

    Als ich das letzte Mal dort war, hieß der Ort tatsächlich noch Marxwalde, aber Sigmund Jähn war schon ausgezogen.
    Damals war auch noch nichts davon zu merken, dass der Adel sich mal seine alten Pfründe zurückholen würde.
    Na ja, nichts bleibt so, wie es war...

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