#Wiegehtesuns? | Junger Geflüchteter - "Ich fühle mich wie eine Waise mit lebenden Eltern"

Mo 21.11.22 | 06:17 Uhr
Yassin. (Quelle:privat)
Bild: privat

Yassin ist 2015 als Fünfzehnjähriger allein von Damaskus nach Berlin geflohen. Hier genießt er subsidiären Schutz. Bis heute konnte er seine Familie nicht nachholen. Er vermisst sie schmerzlich. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Insgesamt 66.000 unbegleitete minderjährige Geflüchtete waren bis Ende 2015 in Obhut der Jugendämter. Der junge Syrer Yassin ist einer von ihnen. Er wurde nicht als Asylberechtigter anerkannt, was einen Anspruch auf privilegierten Familiennachzug bedeutet hätte, sondern ihm wurde subsidiärer Schutz gewährt. Yassin kann das nicht verstehen und vermisst seine Eltern täglich.

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Ich bin Yassin, 21 Jahre alt, komme aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens, und seit 2015 lebe ich allein in Berlin. Jedes Wochenende gehe ich spazieren oder joggen im Park, um mich von meiner Einsamkeit abzulenken.

Ich war 15, als ich alleine nach Deutschland flüchtete und wurde nach der Ankunft einem Gymnasium in Wannsee zugeteilt. Dort habe ich das Deutsche Sprachdiplom (B1-B2) und die 9. Klasse absolviert. Danach ging es auf ein Oberstufenzentrum in Steglitz, dort habe ich den MSA mit stolzen 1,4 abgeschlossen.

Letztes Jahr habe ich mein Abitur erlangt. Als Kind hatte ich den Traum, einmal Pilot zu werden, deshalb studiere ich zurzeit Maschinenbau an der TU Berlin, um diesem Traum näher zu kommen. Doch ohne familiäre Unterstützung ist es für mich nicht einfach, in einem fremden Land meinen Traum zu verwirklichen.

Der Anfang in Berlin hier war schwierig. Es war eine große Verantwortung, ohne Eltern zu sein und ohne Verwandtschaft. Es war belastend. Ich habe meine Familie in vielen Situationen vermisst, als ich krank war, als ich verletzt wurde, als ich mein MSA und Abitur abgeschlossen habe. Als ich glücklich war und als ich traurig war, habe ich sie vermisst, als ich nicht kochen konnte, als ich viel Papierkram zu tun hatte, habe ich sie vermisst. Wer war der Einzige, der nach dem Empfang des Abiturzeugnisses nicht zu seinen Eltern gehen konnte?

Ich kann bis heute nicht verstehen, warum ich zwar subsidiären Schutz erhielt, aber mein Asylantrag abgelehnt wurde. Andere Geflüchtete wurden als Asylberechtigte anerkannt und durften ihre Familien aus dem Krieg nach Deutschland nachziehen lassen. Manche von ihnen kommen aus dem gleichen Stadtteil wie ich - wir haben dasselbe Wasser getrunken. Wir alle sind aus Todesfurcht geflohen; sind dem Tod knapp entkommen. Weil ich nur subsidiären Schutz erhielt, konnte ich meine Eltern nicht nachholen, obwohl sie von der syrischen Regierung verfolgt wurden und ich große Angst um sie habe.

Seit sieben Jahren verbringe ich jedes Fest allein, jeden Tag, jede Krankheit und jede Prüfung. Ich fühle mich wie eine Waise mit lebenden Eltern – ohne Schutz und Beistand. Ich habe oft weinend in meinem Zimmer gesessen und an schönere Zeiten gedacht, als ich in den Armen meines Vaters lag.

Ich habe versucht, die Lücke mit Freunden zu füllen. Aber jeder noch so gute Freund muss irgendwann nach Hause gehen, zu seinen Eltern. Was mir dann bleibt, ist die Einsamkeit meiner Wohnung.

Ich habe mich über die Entscheidung des Europäische Gerichtshofs von 2018 gefreut, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete ihre Familien in die EU nachholen dürfen, selbst wenn sie mittlerweile volljährig sind. Ich bin ja auch mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen. Aber ich bin mir nicht 100 prozentig sicher, ob das auch für mich als subsidiär Schutzberechtigten zutrifft. Deswegen will ich mich nächste Woche bei einem Rechtsanwalt beraten lassen.

Ich hoffe sehr, dass meine Eltern nach Deutschland nachziehen können.

Gesprächsprotokoll: Mohammed Alsheikh

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