Nach Vergiftung von Kreml-Kritiker Nawalny - Grüne Baerbock fordert sofortigen Abbruch von Nord Stream 2
Die Diskussion um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 wird schärfer. Nach der Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny müsse die Gasleitung schnell gestoppt werden, fordert Grünen-Co-Chefin Baerbock. Auch Ex-Bundeskanzler Schröder rückt stärker in den Fokus.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat wegen der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny den sofortigen Abbruch des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 gefordert. "Ich glaube, man muss da jetzt schnell reagieren", sagte sie am Montag im ZDF-Morgenmagazin. "Dieses Projekt konterkariert alle anderen Sanktionen." An einem Giftanschlag der russischen Regierung äußerte Baerbock keinen Zweifel: Es sei "fatal", auf die vom Kreml gestreuten "Nebelkerzen" im Fall Nawalny einzugehen.
Mit ihrer Kritik ist Baerbock nicht allein. FDP-Chef Christian Lindner sagte bereits vergangene Woche: "Ein Regime, das Giftmorde organisiert, das ist nicht ein Gegenüber für große Kooperationsprojekte, auch nicht für Pipeline-Projekte".
Nawalny wird seit dem 22. August in der Berliner Charité behandelt, nachdem er zwei Tage zuvor während eines Fluges in Russland zusammengebrochen war. Moskau weist jede Schuld am Gesundheitszustand des prominenten Kritikers von Staatschef Wladimir Putin zurück. Doch "die Fakten liegen auf dem Tisch, es war ein Giftanschlag", sagte Baerbock. Die Bundesregierung hatte vergangene Woche erklärt, der 44-jährige Nawalny sei mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden.
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Diskussion zur Zukunft von Nord Stream 2 voll in Fahrt
Auch innerhalb der Bundesregierung wachsen Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Projekts. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte gegenüber "Bild am Sonntag" gesagt: "Ich hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern." Maas wies allerdings auch darauf hin, dass ein Stopp wirtschaftliche Konsequenzen hätte, derer man sich bewusst sein müsse. "An Nord Stream 2 sind mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland."
Kontrovers wird über die Pipeline innerhalb von CDU und CSU diskutiert. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), fordert einen Stopp des Pipeline-Projekts. Mit Putin müsse man in einer Sprache sprechen, die er verstehe. "Die Sprache die er versteht, ist die Sprache des Geldes, des Gases und der Macht. Und Nord Stream ist alles zusammen." Andere Unions-Politiker lehnen genau das ab, andere fordern einen vorübergehenden Stillstand. Etwa Friedrich Merz (CDU), der einen zweijährigen Baustopp vorgeschlagen hat.
Die Linke-Außenexpertin Sevim Dagdelen warnte bei "Anne Will", mit einem Stopp des Projekts würde sich Deutschland "ins eigene Knie" schießen. Auch wäre dies eine direkte Wahlkampfhilfe für US-Präsident Donald Trump, der Nord Stream 2 unbedingt verhindern will.
Die AfD lehnt sowohl einen Stopp der Bauarbeiten als auch Sanktionen gegen Russland wegen der Vergiftung von Nawalny ab. "Beides sind getrennt voneinander zu betrachtende Vorgänge."
Woidke, Schwesig und Kretschmer gegen Baustopp
Auch Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der sowohl bei der Nord Stream AG als auch bei dem russischen Energiekonzern Rosneft den Vorsitz des Vorstands inne hat, wird immer näher ins Zentrum der Diskussion gerückt. Kritiker werfen ihm vor, Lobby-Arbeit für den Kreml zu betreiben. Politiker von Grünen und CDU haben Schröder aufgefordert, seinen Posten zu räumen.
Von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen - den drei Bundesländern, durch die Gas aus Nord Stream 2 nach Tschechien geleitet werden soll, wird ein Baustopp kurz vor Fertigstellung abgelehnt. Sowohl Dietmar Woidke und Manuela Schwesig (beide SPD) als auch Michael Kretschmer (CDU) haben dies bereits erklärt.
Von der Uckermark bis Elbe-Elster durch Brandenburg
Im vergangenen Jahr wurden in Brandenburg von Schönfeld in der Uckermark bis Großthiemig (Landkreis Elbe-Elster) die Rohre der Europäischen Gas-Anbindungsleitung, kurz Eugal, verlegt. Das ist eine 480 Kilometer lange Pipeline, die in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) an Nord Stream 2 angeschlossen werden soll. Von dort soll dann russisches Erdgas bis Tschechien weitergeleitet werden. Schon im Herbst sollen Nord Stream 2 und Eugal in Betrieb gehen - eigentlich.
Erdgas aus Russland wird momentan hauptsächlich auf drei Wegen nach Deutschland transportertiert: über die Pipeline Druschba, die durch die Ukraine verläuft und in Schwedt endet, die Jamal-Europa-Pipeline, die durch Belarus führt, sowie über Nord Stream 1. Diese umgeht die osteuropäischen Nicht-EU-Länder, Nord Stream 2 verläuft parallel zu ihr.
In der Debatte um mögliche Strafmaßnahmen gegen Russland im Zusammenhang mit dem Anschlag steht insbesondere die weitgehend fertiggestellte Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 im Fokus, durch die russisches Gas nach Deutschland geliefert werden soll. "Das ist natürlich ein Projekt, das man in letzter Sekunde stoppen würde", sagte Baerbock, "natürlich muss man dann Entschädigungen zahlen. Aber aus meiner Sicht führt da auch sicherheitspolitisch für Europa kein Weg vorbei."
Nord Stream 2 mache Deutschland wieder stärker von Russland abhängig und sei nicht nur ökologisch, sondern auch geostrategisch falsch, argumentierte die Grünen-Chefin. "Von Anfang an war diese Pipeline darauf angelegt, Europa zu spalten", sagte Baerbock. Davor hätten die Regierungsparteien CDU und SPD die Augen verschlossen, "weil ihnen die wirtschaftlichen Belange wichtiger waren". Nun gehe es allerdings darum, "klare Kante auch gegen das Kreml-Regime zu zeigen".
Sendung: Inforadio, 07.09.2020, 11:00 Uhr