Widerstand gegen Razzia - Neuköllner Stadträtin Nagel entgeht Abwahlantrag knapp

Fr 16.12.22 | 17:17 Uhr | Von Roberto Jurkschat
Die Neuköllner Bezirksstadträtin für Ordnung, Sarah Nagel (Linke). (Quelle: imago images)
Bild: imago images

Weil sie dem Ordnungsamt untersagte, an einer Razzia teilzunehmen, geriet Stadträtin Nagel in Streit mit SPD-Bezirksbürgermeister Hikel. Ein Dringlichkeitsantrag zur Abwahl der Ordnungsamtschefin verfehlte die nötige Mehrheit knapp. Von Roberto Jurkschat

  • Ein Dringlichkeitsantrag zur Abwahl der Neuköllner Ordnungsstadträtin Sarah Nagel (Linke) hat die nötige Zweidrittelmehrheit knapp verfehlt
  • Die Ordnungsamtschefin hatte Mitarbeitern untersagt, an einer Razzia in Neukölln teilzunehmen
  • Bezirksbürgermeister Hikel erklärte rbb|24, es werde im Bezirk weiterhin Verbundeinsätze geben

Ein Dringlichkeitsantrag der FDP-Fraktion zur Abwahl der Neuköllner Ordnungsstadträtin Sarah Nagel (Linke) verfehlte am Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) die nötige Zweidrittelmehrheit knapp.

Von den 48 Anwesenden stimmten 29 für den Antrag; nötig gewesen wären 33 Stimmen, um eine mögliche Abwahl der Stadträtin auf die Tagesordnung zu bringen. Neben Politikern von FDP und AfD stimmten die Anwesenden von SPD und Grünen für den Antrag - Enthaltungen kamen von der CDU, Nein-Stimmen von den Linken. Damit entschied die BVV knapp gegen die Dringlichkeit des Abwahlantrags der FDP.

Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) erklärte rbb|24 am Donnerstag, es werde in Neukölln auch weiterhin Verbundeinsätze geben, bei denen das Ordnungsamt mit den zuständigen Stellen des Landeskriminalamtes, der Steuerfahndung und dem Zoll zusammenarbeite. "Ordnungswidrigkeiten und Straftaten werden auch weiterhin von allen zuständigen Behörden sanktioniert."

Razzia ohne Ordnungsamt

In der vergangenen Woche hatte Nagel die Unterstützung ihres Ordnungsamtes bei einer Razzia in einem Restaurant im Britz abgelehnt. Anlass waren Beobachtungen ihrer eigenen Mitarbeiter, die zuvor bei einer Gewerbekontrolle Auffälligkeiten festgestellt hatten: Die Beamten wurden laut einem Bezirkssprecher nicht in "bestimmte Bereiche" des Restaurants vorgelassen, zudem sollen Personen in Küchenkleidung aus dem Nobelrestaurant geflohen sein. Die Ordnungsamtsmitarbeiter hatten wegen des Verdachts der Schwarzarbeit im Bezirksamt deshalb den Verbundeinsatz angeregt.

Daraufhin hatte die zuständige Koordinationsstelle des Bezirks unter Hikel die Polizei um Amtshilfe gebeten. Doch zu einer Kooperation des Ordnungsamtes mit den Behörden kam es nicht, weil die Stadträtin die Teilnahme ihrer Mitarbeiter ablehnte.

Bei der Razzia, die am Samstag schließlich ohne Beteiligung des Ordnungsamtes stattfand, wurden zwei Personen festgenommen, es wurden Verstöße wegen Schwarzarbeit und unsauberer Kassenführung festgestellt.

HWR-Studie sieht Gewerbeaußendienst kritisch

Im Gespräch mit rbb|24 erklärte Nagel am Dienstag, der Hauptgrund für ihre Entscheidung seien Ergebnisse einer Studie der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) über Gewerbeaußendienst in Berlin gewesen. Tatsächlich kommt die Studie, die die Senatsverwaltung für Wirtschaft in Auftrag gegeben hatte, in einigen Teilen zu einem kritischen Urteil, insbesondere was die rechtlichen Voraussetzungen der Gewerbekontrollen angeht, die von der Polizei am Ende häufig zur Informationsgewinnung genutzt werden würden.

Linke-Stadträtin Nagel betonte im Gespräch mit rbb|24, es sei ihr wichtig gewesen, dass der Rechtsrahmen der Gewerbeüberwachung nicht überschritten werde. "Die Diskussion über Stigmatisierung und strukturelle Diskriminierung durch solche Verbundeinsätze spielt aber auch eine Rolle."

Allerdings heißt es in der Studie, die rbb|24 vorliegt, auch, dass die Praxis der Verbundeinsätze immer noch "überwiegend positiv bewertet" werden, da auf diese Weise ein Mindestmaß an Überwachungstätigkeit gewährleistet ist und alle Beteiligten trotz Personalknappheit etwas davon haben. Die Verbundeinsätze würden jedoch etwa unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und der Aufrechterhaltung einer flächendeckenden und hohen Überwachungsdichte kritisch betrachtet.

Hikel: "Rassismusvorwurf ist schwer erträglich"

Der Bezirksvorstand der Neuköllner Linken stellte sich am Donnerstag hinter die Stadträtin: Sie aktuelle Praxis der Verbundeinsätze befeuere Rassismus, weil sich die Einsätze "nahezu ausschließlich gegen migrantisches Gewerbe" richten und dabei Teile der Neuköllner Bevölkerung aufgrund ihres Familiennamens "unter Generalverdacht gestellt werden".

Bezirksbürgermeister Hikel bezeichnete den Rassismusvorwurf gegenüber rbb|24 als "schwer erträglich - und unsinnig". "Der absolute Großteil der Gewerbetreibenden in Neukölln arbeitet hart und ehrlich, egal ob migrantisch oder nicht. Davon abgesehen gibt es kaum woanders so viele migrantische Betriebe wie in Neukölln", so Hikel. Er erfahre zudem viel Unterstützung für die Kontrollen des Ordnungsamtes. "Nur wenn die schwarzen Schafe identifiziert werden, kann die große Mehrheit in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen, ohne unter Generalverdacht gestellt zu werden."

Korrekturhinweis:

In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es, in der BVV Neukölln sei über einen Abwahlantrag gegen die Bezirksstadträtin abgestimmt worden. Das ist nicht korrekt. Es wurde auf der BVV-Sitzung über die Dringlichkeit des Antrags abgestimmt, nicht über die Abwahl. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.12.2022, 22:00 Uhr

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