Russische Spionage in Berlin - "Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Krieges"

Do 30.03.23 | 09:04 Uhr | Von David Hoffmann, Daniel Laufer und Markus Pohl
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Die russische Flagge weht auf der russischen Botschaft in Berlin-Mitte. (Quelle: dpa/Stephan Schulz)
Audio: ARD Kontraste | 30.03.2023 | Lena Petersen | Bild: dpa/Stephan Schulz

Die russische Botschaft ist ein Geheimdienststützpunkt mitten in Berlin. Von hier nehmen Agenten die deutsche Politik ins Visier. Der Verfassungsschutz glaubt, künftig werde die Spionage sogar noch ausgeweitet. Von D. Hoffmann, D. Laufer und M. Pohl

Wenn Erhard Grundl aus dem Fenster schaut, blickt er auf ein Gebäude so mächtig wie eine Festung. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen hat sein Büro auf der Straßenseite gegenüber der russischen Botschaft. "Das ist das Mittel der Spionageabwehr", sagt Grundl, als er die Jalousie seines Fensters zuzieht. Der Politiker fühlt sich beobachtet und hat dafür gute Gründe.

Die Botschaft mitten im Berliner Regierungsviertel ist eine der größten diplomatischen Vertretungen Russlands weltweit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält sie außerdem für einen bedeutenden Stützpunkt russischer Geheimdienste. "Dort sind jede Menge Diplomaten tätig, von denen wir wissen, das sind getarnte Agenten", sagt Präsident Thomas Haldenwang im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Experten schätzen, dass ein Drittel aller russischen Diplomaten in Wahrheit für Putins Geheimdienste arbeiten.

Der Inlandsnachrichtendienst befürchtet, Parlamentarier wie Erhard Grundl könnten abgehört werden und spricht eine ausdrückliche Warnung aus. "Wir können davon ausgehen, dass bei den zahlreichen Aufbauten, die man auf den Dächern der Botschaft sieht, Einrichtungen dabei sind, die dem Zweck dienen, Kommunikation aufzufangen", so Haldenwang.

Wie im Kalten Krieg

Die russischen Spionageaktivitäten in Deutschland haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. "Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Krieges", so Haldenwang. "Russland wird alle Methoden nutzen, um seinen Einfluss zu vergrößern, um Erkenntnisse zu gewinnen und um sich Produkte zu beschaffen, die es für seine Rüstung braucht." Insofern müsste es seine Aktivitäten ausweiten – auch hier in Deutschland. "Darauf müssen wir eingestellt sein", sagt Haldenwang.

Russische Agenten in Berlin-Mitte

Im Interview mit Kontraste zeichnet der Verfassungsschutzpräsident nach, wie die russischen Geheimdienste im Regierungsviertel Agenten einsetzen. "Man bahnt Kontakte an, man versucht, im politischen Raum Personen abzuschöpfen."

Wie eine solche Anbahnung funktioniert, hat der Außen- und Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter von der CDU vor einigen Jahren selbst erlebt. Eines Abends habe ihn vor dem Paul-Löbe-Haus ein Mann im blauen Sportanzug freundlich angesprochen und in ein Gespräch verwickelt. Schließlich habe ihm dieser Mann mit dem Namen Andrej Siwow offenbart, er sei Militärattaché der russischen Botschaft.

Der Verfassungsschutz sieht in solchen Kontaktaufnahmen ein typisches Vorgehen. Auch die Militärattachés betrieben das Geschäft der Agenten, die ihre Zielpersonen in Abhängigkeiten bewegen wollten. Es folgten Einladungen zu Kultur- und Sportveranstaltungen, der Kontakt werde intensiver. Eines Tages soll die Zielperson dann bereit sein, sich erkenntlich zu zeigen.

Übergabe in der Botschaft

Kiesewetter hat sich nicht einspannen lassen. In mindestens einem anderen Fall war der Militärattaché jedoch erfolgreich. Laut Sicherheitsbehörden soll Siwow im Auftrag des russischen Militärgeheimdienstes GRU tätig gewesen sein. Im November des vergangenen Jahres verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen seiner deutschen Kontakte wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für Russland. Der Reserveoffizier Ralph G. hatte dem GRU Informationen über die Bundeswehr geliefert. Die Übergaben fanden zum Teil direkt in der russischen Botschaft statt.

In einigen Fällen gingen Zielpersonen russischer Agenten sogar jahrelang davon aus, es mit einem Diplomaten zu tun haben, sagt Maik Pawlowsky, der beim Verfassungsschutz die Spionageabwehr leitet. "Wenn der Nachrichtendienstoffizier aber als geheim eingestufte Interna haben will, bleibt ihm irgendwann nichts anderes übrig, als die Karten auf den Tisch zu legen." An diesem Punkt, an dem sich der russische Kontaktmann als Agent zu erkennen gibt, sei es für die Zielperson häufig zu spät: Sie habe sich durch den engen Austausch längst angreifbar gemacht.

Schwächung nur vorübergehend

Der damalige Militärattaché Siwow hat Deutschland längst verlassen. Laut Verfassungsschützer Pawlowsky genießen viele der russischen Agenten wegen ihres Diplomatenstatus strafrechtliche Immunität. "Sie können in Deutschland spionieren, aber der Staat kann diese Personen nicht strafrechtlich verfolgen. Wenn man sie auf frischer Tat ertappt, besteht nur die Möglichkeit, sie des Landes zu verweisen."

Im April 2022 erklärte die Bundesregierung 40 russische Diplomaten zu unerwünschten Personen und forderte sie auf, Deutschland zu verlassen. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Ausweisungen Russlands Geheimdienste zumindest vorübergehend geschwächt haben, rechnet aber mit Anpassungen. "Sie werden ihre Methoden verändern – weg von den an den Botschaften stationierten Agenten, hin zu mehr reisenden, illegalen Agenten", sagt Haldenwang. Also Spione mit Tarnidentitäten, die noch schwieriger aufzuspüren sind als diejenigen, deren Spur in die russische Botschaft führt.

Der Film "Im Visier des Kreml – Russische Spionage gegen Deutschland" ist schon jetzt in der ARD-Mediathek zu finden und wird am Donnerstag, den 30. März um 21:45 Uhr im Ersten ausgestrahlt.

Sendung: ARD Kontraste, 30.03.2023, 21:45 Uhr

Beitrag von David Hoffmann, Daniel Laufer und Markus Pohl

52 Kommentare

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  1. 52.

    Wir waren als Familie mit 3 Kindern mal im Urlaub in einem Erholungs- und Schulungsheim ( zu DDR-Zeiten ) an dem groß über dem Eingang prangte: Wir sind die Sieger der Geschichte.

  2. 51.

    " das ständig und immer laufende Weltschach nicht (mehr) sehen wollten." Geopolitik ist ein in D seit 45 verpöntes Gebiet und wird sehr Stiefmütterlich behandelt (eher sogar abschätzig).

  3. 50.

    Nein, alles hat seine Zeit, auch der Wandel durch Handel. Es bewahrheitet sich ja nur, dass die Weltpolitik unvermeidbaren offenbar systemimmanenten Schwankungen (Zyklen) ausgesetzt ist. Wobei systemimmanent impliziert, dass man sich im Ausgleichsinteresse hätte noch so sehr anstrengen können, der militärische Konflikt wäre unvermeidbar.
    Zerplatzt ist also damit nur die Illusion, der Wandel durch Handel zu einem dauerhaften, ewig währenden Frieden zwischen den Völkern führen würde, weil wir besoffen vom Wohstand das ständig und immer laufende Weltschach nicht (mehr) sehen wollten.

  4. 49.

    Nein, "lustig" ist was uns hier die bekannten Putintrolle vermitteln wollen. Darüber steht im Artikel nämlich kein Wort.

    Hier ist nämlich von Russland die Rede und nicht von den "Five Eyes". Aber für whataboutism war die bekannte Fraktion schon immer gut.

  5. 48.

    In der Tat ist die russische Kultur offensichtlich stärker als andere von ausgesprochenen Achterbahnfahrten geprägt: Himmelhohe Anerkennung, eine gottesgleiche Verehrung spezifischer Führerfiguren, dann wieder Umstürze und Schlächtereien übelsten Ausmaßes. Selber glaube ich dabei nicht unbedingt an eine planmäßige, über längere Zeit existierende Linie.

    Die Sowjetunion war nahezu die gesamte Zeit ein lebender Leichnam; der Aufbruch, der es regional hier und da war, währten in der Tat nur kurz und wurde dann von den Tschekisten niedergeschlagen. Es blieb ein Land, das mit Militärgewalt zusammengehalten wurde.

    Alle Beteiligten der eh. SU müssen die Knute Russlands fürchten, weil Russland sich mit der SU identisch sieht. Der springende Punkt ist deshalb für mich, 1. diese Identität gedanklich aufzusprengen, 2. den Russen innerh. der Ukraine und allen anderen eh. SU-Gebieten definitive Minderheitsrechte zuzugestehen.

  6. 47.

    Obwohl ich mit meiner Meinung sicherlich zur Minderheit gehöre, behaupte ich, kein Land hätte die Ukraine in drei Tagen überrannt und sie hätten das Land auch nie befrieden können.
    Ganz einfach weil die Ukrainer frei sein wollen. Dieser Umstand wird, trotz genügender historischer Beispiele, gerne auch heute noch ignoriert.
    Das ist noch mal was anderes, wenn man eine bestehende Diktatur überfällt, also ein System in dem die Menschen sowieso schon unfrei sind und es im Prinzip ablehnen.
    Die Ukraine war zum Zeitpunkt des Überfalls schon unterwegs in Richtung Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie.

  7. 46.

    Also Geheimdienste infiltrieren nicht nur fremde Länder sondern wehren auch eigene Infiltrationen ab.
    Das heißt jede Botschaft besitzt im Innern garantiert eine abhörsichere Zelle, davon sollten sie mal ausgehen. Und natürlich Spielregeln und Prozeduren wie man sich kommunikativ verhält.

    Abhören werden die Geheimdienste insbesondere die NSA die Russen ganz sicher, aber an unsauberen Stellen.

  8. 45.

    Schon lustig was uns hier vermittelt werden soll.
    Das ABC jeder geheimdienstlichen Tätigkeit (Kontaktanbahnung und Informationsabschöpfung) wird hier quasi zur russischen Erfindung erklärt.

  9. 44.

    Ich den Bericht im Fernsehen gesehen.
    Als Insider war er allgemein und für den gemacht der von der Arbeit der Aufklärung wenig bis nix weis.
    Warum der Referatsleiter sich angedient hat wird nicht dargelegt. Weiß man sicher nicht. Die 2x 100,-€ Spende an die AfD, soll das bezeichnend für die Tat sein ??
    Waren es ideologische Gründe oder Geldnot ? Weil Ausgaben für Hobbys? Das sind interessante Fragen die nicht beantwortet wurden.
    Im übrigen hatte die Aufklärung der DDR auch hochrangige Mitarbeiter als Spione. Beim BND und auch den Leiter der Spionageabwehr beim BFV. Letzter brauchte Geld.
    Aber diese Arbeit macht jeder Dienst. Wer sich da wundert ist weltfremd. Für die Journalisten, die vom Dienst keine Ahnung hatten, war es sicher interessant aber sonst wurden nur Allgemeinheiten dargestellt. Ok, mehr ging auch nicht da das Problem zu sensibel war und ist

  10. 43.

    Zitat: "Was bezweckt wohl der Verfasser des Artikels? Ich vermute mal, Stimmung gegen die bösen, bösen Russen machen!"

    Ähem, im Artikel geht es nicht um die Russen im allgemeinen, sondern um Botschaftsangehörige, die zu einem nicht geringen Teil dem Geheimdienst zuzuordnen sind. Und anders als Putins Narrativ vom verkommenen Westen, der angebl. Russland vernichten will und in dem Pädophilie etc. gesellschaftlich akzeptiert ist, wird hier weitaus differenzierter auf Russland geblickt, als es umgekehrt der Fall ist, Erich.

  11. 42.

    Es wundert mich nicht, dass überall immer mehr abgehört und ausspioniert wird. Eine absolute Sicherheit davor, wird es in der heutigen Zeit kaum geben. Deshalb ist es um so wichtiger, sensible Daten und die dazugehörigen Infrastrukturen präventiv zu schützen. Wer aber glaubt, dass nur Russland spioniert, ist naiv u. auf dem Irrweg. Da gibt es noch weitere Big Global- Player, die nicht immer nur von der jeweiligen Staatsführung unterstützt werden. Immer daran denken: Big Brother is watching you!

  12. 41.

    Ich schrieb: "im Prinzip eine Insel". Das ist etwas anderes als das Formale, auf was Sie abheben.

  13. 40.

    "Wir haben durch unsere Gier nach dem russischen Markt die Aufrüstung Russlands mitfinanziert."

    Wenn dem so wäre, hätte Russland tatsächlich nach drei Tagen gewonnen. Es ist eher so, dass Russland all die Jahre massiv überschätzt wurde. Von den offiziell 60 Mrd. Dollar jährlich für die Armee sieht man aktuell nicht viel. Die armen Teufel, die im Herbst mobilisiert wurden, hatten ja nicht einmal etwas anzuziehen und mussten sich in Armyshops selbst einkleiden, weil alles aus den Depot geklaut und verhökert wurde oder erst gar nicht vorhanden war. Russland ist ein big Fake und von Atomdrohungen machen sich nur die Deutschen ins Hemd.

  14. 39.

    Da sind wir gleich wieder beim Thema Guantanamo, Informationen durch US amerikanische Geheimdienste erpressen - unter Folter....allgemein bekannt

    ...dafür bekam Obama den Friedensnobelpreis....

  15. 38.

    Ich denke, dass sich Botschaften, was den Hort als Spionagezentren angeht, vom Ausmaß her unterscheiden. Das lässt sich in die eine Richtung (der Verharmlosung, weil es ja irgendwie alle machen) oder in die andere Richtung (dass es unterhalb eines spezifischen Ausmaßes überhaupt kein Problem sei) auflösen.

  16. 37.

    Das internationale russische Spionagenetzwerk müsste allen Foristi bekannt sein, um sachlich und objektiv urteilen zu können. Es liest sich grauenvoll, wenn jemand diese Tatsache verharmlosen will. Fehlt da das Hintergrundwissen oder ist das eine politische Einstellung?

  17. 36.

    Wissen sie wer eigentlich unsere Industrie am meisten ausspioniert.
    Oh, das ist unser bester Freund die USA. Facebook, Twitter, Microsoft, Apple, alles US Firmen mit riesigen Datenspeichern. Tja so sind Sie eben.
    Amerika First das gilt heute mehr denn je. Heute sind es die Russen morgen die Chinesen alles Böse Agenten tja Hollywood lädt Grüßen.

  18. 35.

    Da die Britten uns täglich mehrfach mitteilen,was Putin gerade denkt,könnte ich mir vorstellen,dass sie vielleicht die Russen auch abhören.Vielleicht geschieht das sogar in Berlin,da sind die Botschaften von Rußland,USA und Großbritannien ja in unmittelbarer Nachbarschaft.Und die Abgrenzung "unserer Freunde" vom allgemeinen Stadtleben gibt sich nichts zur russischen Botschaft.

  19. 34.

    Das bringt Licht im Dunkeln. Haldenwang meldet sich im Artikel persönlich zu Wort u. erklärt, die fiesen Methoden des russischen Geheimdienstes. Nur die Russischen? Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern, alle weltweit agierenden Geheimdienste benutzen diese Herangehensweise. Das ist nicht NEU. Was bezweckt wohl der Verfasser des Artikels?
    Ich vermute mal, Stimmung gegen die bösen, bösen Russen machen!

  20. 33.

    Ihre aufgeworfene Frage ist einfach zu beantworten. Agententätigkeiten müssen zwangsläufig gegen das in den jeweiligen Ländern geltende Recht verstoßen.
    Es ist also IMMER ein strafrechtlicher und meist zivilerechtlicher Srraftatbestand, damit handelt es sich IMMER um die Bösen um in ihrer Perspektive zu bleiben.
    Deswegen heißen diese Organisationen auch (Geheim)dienste.

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