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Audio: rbb24 Inforadio | 16.08.2023 | Manuel Biallas | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

"Regelungsmonster", "nicht umsetzbar"

Kritiker laufen Sturm gegen Lauterbachs Cannabis-Legalisierung

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Cannabis-Legalisierung auf den Weg gebracht. Karl Lauterbach sieht ein "Gesetz mit Augenmaß". Doch nicht nur Zoll, Kriminalbeamte und Richter laufen Sturm gegen das "Bürokratiemonster".

Die Bundesregierung hat den ersten Schritt zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland gemacht: Das Kabinett beschloss am Mittwoch in Berlin einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), wonach Erwachsenen der Besitz und Anbau von Cannabis in begrenztem Umfang erlaubt werden soll.

Cannabispläne im Kabinett

Kann die Legalisierung von Cannabis Schwarzmärkte eindämmen?

Die Legalisierung von Cannabis ist - zumindest teilweise - in Sichtweite. Die Brandenburger Grünen gehen davon aus, dass so weniger Gras auf dem Schwarzmarkt zur Verfügung stehen wird. Unter anderem Politiker aus der CDU bezweifeln das. Von Nico Hecht

Lauterbach sieht "Gesetz mit Augenmaß"

Lauterbach sprach von einem wichtigen Gesetz, das eine Wende in der deutschen Drogenpolitik herbeiführen werde. Der Konsum wachse, ohne dass die Politik darauf bisher eine Antwort gefunden habe. Die Drogenkriminalität nehme zu, und die Produkte auf dem Schwarzmarkt würden durch Beimischungen gefährlicher. Diesen Problemen wolle man mit einer "kontrollierten Legalisierung" begegnen, sagte der Minister und sprach von einem "Gesetz mit Augenmaß".

Dem Entwurf zufolge ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis künftig für über 18-Jährige legal. Zu Hause dürfen bis zu drei Pflanzen angebaut werden. In Anbau-Vereinen können sich Menschen zusammentun, um unter kontrollierten Bedingungen Cannabis zu produzieren. An Mitglieder dürfen bis zu 50 Gramm pro Monat abgegeben werden.

Für Jugendliche bleiben Besitz und Konsum verboten. Man werde den Kinder- und Jugendschutz ausdehnen und für mehr Aufklärung sorgen, sagte Lauterbach. Das Gehirn von unter 25-jährigen Menschen werde durch Cannabis-Konsum geschädigt. Er wolle dafür sorgen, dass sich dieses Wissen überall verbreite, versicherte der Minister.

Wie wirkt Cannabis?

Cannabis-Gesetz könnte Ende des Jahres in Kraft treten

Das Bundesgesundheitsministerium hofft, dass das Cannabis-Gesetz Ende des Jahres in Kraft treten kann. Bis dahin bleibt die Droge verboten, auch wenn der Besitz kleiner Mengen schon lange vielerorts gar nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Cannabis gehört auch für viele Jugendliche und junge Erwachsene in Berlin laut einer Studie bereits zum Alltag.

Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens hängt davon ab, wie schnell das Vorhaben nach der Sommerpause im Bundestag beraten und beschlossen wird. Auch der Bundesrat muss sich wie bei jedem Gesetz formal damit befassen, kann es aber nach Angaben von Lauterbach nicht stoppen, da es in der Länderkammer nicht zustimmungspflichtig sei.

CSU findet Gesetz "absolut verantwortungslos"

Gegner der Legalisierung befürchten eine "Normalisierung" der Droge und sinkende Hemmschwellen auch bei Jugendlichen. Das CSU-regierte Bayern etwa ist strikt gegen eine Legalisierung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezeichnete den Gesetzentwurf als "absolut verantwortungslos" und sprach am Mittwoch von einem "Anschlag auf den Jugend- und Gesundheitsschutz in Deutschland". Er warf der Ampel-Koalition vor: "Wohl nie zuvor hat sich eine Bundesregierung in so einer sensiblen Frage so dreist über die Warnungen nahezu aller Experten aus Medizin, Polizei und Justiz hinweggesetzt."

Brandenburg an der Havel

Tausende Cannabispflanzen in alter Lagerhalle entdeckt

GdP, Zoll und Richterbund fordern Überarbeitung des Gesetzes

Über den Gesetzentwurf wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg hatte die Bundesregierung aufgefordert, das Gesetz zu überarbeiten. Alexander Poitz vom GdP-Landesverband sagte dem rbb, die Regelungen seien nicht umsetzbar. Zuständigkeiten seien nicht klar geregelt. Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers sorge nicht - wie vorgesehen - für eine Entlastung der Polizei.

Poitz kritisierte außerdem, dass der Schwarzmarkt nicht eingedämmt werde. Die kriminellen Strukturen würden sich auf die neuen Regelungen einstellen und versuchen, daraus Profit zu schlagen. Darauf sei die Polizei weder personell noch strukturell vorbereitet. In einer früheren Stellungnahme hatte die GdP auch Befürchtungen geäußert, dass die Verkehrssicherheit leiden würde. Es sei bislang völlig offen, wie mit Kraftfahrern im Straßenverkehr umgegangen werden soll, die unter Cannabis-Einfluss stehen, hieß es.

Die Deutsche Zollgewerkschaft sprach von einem "Bürokratiemonster mit vielen ungeklärten Fragen". Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Richterbund, der eine Flut von neuen Streitfragen und langwierigen Gerichtsverfahren befürchtet.

Cannabis, Kokain und Fentanyl

Suchtberatung warnt vor wachsendem Drogenkonsum bei Jugendlichen

Czyborra warnt vor Gefahren

Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) hingegen sprach von einem sinnvollen und notwendigen Vorgehen, warnte aber zugleich vor den Gefahren. "Der Konsum von Cannabis ist gesundheitsschädlich und birgt ein Suchtgefährdungspotenzial", so die SPD-Politikerin. Das Verbot von Haschisch und Marihuana habe den Konsum nicht verhindert. Trotz Verbots hätten sich die Drogen in den letzten Jahren immer weiter verbreitet - besonders in Berlin.

"Eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene hingegen sichert die Qualität und dient sowohl Gesundheitsschutz als auch Verbraucherschutz", so Czyborra. Ein starker legaler Markt könne den illegalen Markt verdrängen.

Kriminalbeamte sehen "Regelungsmonster"

Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ist ebenfalls grundsätzlich für eine Entkriminalisierung, sieht in dem Gesetzentwurf aber ein "Regelungsmonster", das den Schwarzmarkt nicht zurückdrängen wird. Er rechnet damit, dass weiter illegales Cannabis in großen Mengen auf dem Schwarzmarkt verkauft werden wird, "und zwar zu besseren Preisen, möglicherweise in einer höheren Konzentrationsgehaltsstufe des THCs", sagte Peglow dem rbb. "Wir können alles erwarten, aber nicht, dass der Schwarzmarkt plötzlich dazu übergeht, Schafe zu züchten und andere Business-Cases aufmacht."

Darüber hinaus sieht Peglow ein weiteres Problem: Der Gesetzentwurf umfasse 163 Seiten, keine Behörde in Deutschland könne die vielen Regeln auch nur annähernd überwachen und kontrollieren.

Befragung über Konsumverhalten

Cannabis gehört für viele junge Berliner zum Alltag

Viele Jugendliche und junge Erwachsene in Berlin haben Erfahrungen mit dem Konsum von Cannabis. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, die Pandemie hat das Problem offenbar verstärkt.

Mehr Beratung nötig,

Die Suchtberatung Notdienst Berlin merkt eigenen Angaben zufolge schon jetzt, dass es im Laufe der Legalisierungsdebatte mehr Bedarf für Beratungen gibt. Die Zahlen seien in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen - weil zum Beispiel die Unsicherheiten groß seien, wie ein guter, ein gesunder Umgang mit Cannabis überhaupt aussehen kann. Durch die Legalisierung rechnet Rüdiger Schmolke vom Notdienst Berlin damit, "dass es verstärkte Nachfrage nach Beratung gibt. Auch von Familien. Von Jugendlichen. Weil es niedrigschwelliger wird, weil es enttabuisiert wird in die Beratungsstelle zu kommen."

Die Brandenburger Landesärztekammer verweist auf einen anderen Aspekt. In Ländern wie den USA, Kanada und Portugal, in denen Cannabis bereits straffrei ist, sei der Cannabiskonsum nach der Legalisierung um circa 30 Prozent gestiegen und habe 25 Prozent mehr psychische Störungen hervorgerufen, so die Kammer.

Weiterer Gesetzentwurf für Handel mit Cannabis

Cannabisgeschäfte oder sogenannte Coffee Shops wie in den Niederlanden sind vorerst in Deutschland nicht vorgesehen. Anders als zunächst geplant, wird es vorläufig keine Geschäfte geben, in denen Cannabis verkauft wird. Für den kommerziellen Handel will Gesundheitsminister Lauterbach einen zweiten Gesetzentwurf vorlegen.

Den Eckpunkten zufolge, die er bereits vorgestellt hat, soll der Verkauf von Cannabis in Apotheken oder staatlich lizenzierten Geschäften an Erwachsene zunächst in Modellregionen erprobt werden - und zwar für fünf Jahre. Hintergrund sind EU-rechtliche Vorschriften. Der noch folgende Gesetzentwurf soll der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt werden. Ursprünglich wollte die Ampel-Koalition den kontrollierten Verkauf von Cannabis bundesweit freigeben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.08.2023, 18:00 Uhr

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