Senat plant Personalentwicklung 2030 - Surfen auf der Pensionierungswelle

Mi 30.08.23 | 06:10 Uhr | Von Christoph Reinhardt
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Symbolbild: Frau sitzt vor einem PC (Quelle: IMAGO/Frank Roeder)
Bild: IMAGO/Frank Roeder

Die Stadt wächst, aber dem Senat geht das Personal aus. Mit einer neuen Personalstrategie will Schwarz-Rot Reserven mobilisieren, aber langfristig soll Berlin mit weniger Beschäftigten im öffentlichen Dienst auskommen. Von Christoph Reinhardt

Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hat zur Präsentation seines Personalentwicklungsprogramms nicht nur das frisch vom Senat beschlossene Papier mitgebracht, sondern auch eine schlechte Nachricht. Stand heute gebe es 7.600 unbesetzte Stellen, das haben die Statistiker dem für Personal zuständigen Finanzsenator mit auf den Weg gegeben.

Und auch das "PEP 30" genannte Papier beginnt erstmal mit einer personalpolitischen Horrorshow: Die Zahl der offenen Stellen, die "nicht mehr zeitnah adäquat ersetzt" werden könne, wachse. Wertvolles Erfahrungswissen gehe verloren. Die Belastung auf die die Verbliebenen steige, in deren Folge die Gesundheitsquote sinke.

"Großer Druck führt zu größeren Lösungen"

"Die Zeit zum Handeln ist jetzt", ist die Schlussfolgerung des CDU-Politikers Evers, der seit vier Monaten die Verantwortung für die seit Jahren anschwellende Personalkrise trägt. Die verfahrene Situation will er zum Momentum machen: "Ich glaube, dass große Druck auch zu größeren Lösungen führt – und der Druck war niemals größer als jetzt." Nach dem Ende der Sparen-bis-es-quietscht-Politik dauerte es noch mehrere Jahre, bis der ganz auf Personalabbau geeichte Berliner Senat einsah, dass die schon vor zehn Jahren ansteigende Pensionierungswelle nicht die Lösung des Haushaltsdefizits, sondern das Problem einer rasant wachsenden Stadt geworden war. Seit 2015 steigt die Zahl der Stellen erst ganz langsam, dann immer schneller wieder an. Allein in den fünf Jahren zwischen 2018 und 2023 holte das Land fast 14.000 zusätzliche Beschäftigte an Bord.

Aber der Scheitel der Pensionierungswelle ist noch immer nicht erreicht. Rund 40.000 der heute Beschäftigten werden in den nächsten zehn Jahren aus Altersgründen ausscheiden. Die Zahl der Bewerbenden aber stagniert statt zu steigen. Und auch wer einmal an Bord ist, bleibt nicht für ewig bei seinem Dienstherrn. "Jährliche Austritte von über 1.000 unbefristeten Beschäftigten" im besten Alter zwischen 30 und 40 Jahren, zählt die Personalstatistik, "ein alarmierendes Zeichen."

87 Prozent der Ausbildungsplätze im ersten Quartal besetzt

Und ausgerechnet in der strategisch wichtigen Ausbildung hakt es, hat die Jugend- und Auszubildendenvertretung des Landes (HJAV) erst in der vergangenen Woche mit einem Brandbrief öffentlich gemacht. Gerade mal 87 Prozent der Ausbildungsplätze konnten im ersten Quartal besetzt werden. Wer sich bewerbe, müsse im Schnitt vier Monate auf eine Zusage warten, beklagt die HJAV in ihrem Brandbrief – bei der Feuerwehr sogar acht Monate: "Wer kann es einer 18-Jährigen verübeln, dass sie nicht acht Monate auf eine Einstellungszusage bei der Berliner Feuerwehr warten möchte, das sind fast fünf Prozent ihrer bisherigen Lebenszeit."

Mit dem demografischen Wandel und der allgemein schwierigen Situation allein lasse sich die Misere nicht erklären, sagt der Finanzsenator. Um langwierige Stellenbesetzungen abzukürzen, will er das komplizierte Dienstrecht reformieren. Evers: "Ziel ist, das modernste und flexibelste Dienstrecht im Ländervergleich zu entwickeln." Eine Ansage auch in Richtung Gewerkschaften und Personalvertretungen, deren Beteiligungsrechte ebenfalls auf den Prüfstand sollen.

Bessere Bezahlung mit Stufenmodell

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt das neue Programm trotzdem, denkt aber vor allem an bessere Aufstiegschancen, günstige Dienstwohnungen und eine höhere Besoldung auf Bundesniveau. "Das vorgelegte Personalentwicklungsprogramm zeigt, dass der Berliner Senat die seit Jahren anwachsende Handlungsnotwendigkeit endlich erkannt hat und bereit ist gegenzusteuern, bevor Berlins Verwaltung komplett vor die Wand gefahren wird", sagt der GdP-Landesvorsitzende Stephan Weh. Für die Beamten sieht das "PEP 30" ein (erst noch zu entwickelndes) Stufenmodell vor, dass die Berliner auf das Bundesniveau anheben soll. Um die Gehälter der Angestellten zu erhöhen, muss Berlin den Umweg über die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) gehen.

Die Interessen dieser sogenannten Tarifbeschäftigen vertritt vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann teilt die wesentlichen Diagnosen des Personalentwicklungsprogramms. Es enthalte viele Elemente, die Gewerkschaften und Personalvertretungen seit Jahren fordern, "die begrüße ich außerordentlich". Aber insbesondere den Einsatz des Finanzsenators für höhere Gehälter will Kühnemann nicht nur auf dem Papier, sondern in der nächsten Tarifrunde sehen. Sie werde selbst dabei sein, wenn ab Oktober die öffentlichen Arbeitgeber mit den Gewerkschaften über Gehaltssteigerungen verhandeln. "Das Land Berlin ist in dieser Runde ein großer Player und wichtiger Arbeitgeber – ich bin gespannt, ob Berlin diese Forderungen des Finanzsenator auch einbringt."

Opposition bemängelt Umsetzungsproblem

Auch die Opposition will Taten sehen. Die Ankündigung von schnelleren Stellenbesetzungen sei "eine Selbstverständlichkeit", sagt die Sprecherin für Personal und Verwaltung der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Hendrikje Klein. "Man könnte da sehr schnell angreifen, indem man die Personalreferate in den Bezirken und in den Senatsverwaltungen stärkt." Dem Personalentwicklungsprogramm fehle vor allem ein Umsetzungsprogramm.

Die grüne Haushaltspolitikerin Julia Schneider hat inhaltlich nicht viel auszusetzen an dem neuen Papier, kann aber kaum Neuigkeiten entdecken. Sie stört sich vor allem an Evers' Darstellung, dass Berlin langfristig seinen öffentlichen Dienst aufgrund der demografischen Entwicklung mit weniger Personal als bisher planen und schon daher auf Digitalisierung setzen müsse. Diese "fatalistische Sicht" dürfe nicht der Anspruch des Senats sein und werde auch der Digitalisierung nicht gerecht. "Wahrscheinlich ist es richtig, dass wir nicht alle Stellen 1:1 nachbesetzen werden können. Die Anforderungen der Arbeitswelt werden anders und die besetzten Stellen auch." Dafür brauche es vor allem erstmal ein Ausbildungskonzept, das zwischen den Berliner Behörden abgestimmt sei.

Sendung: rbb24 Inforadio, 29.08.2023, 18 Uhr

Beitrag von Christoph Reinhardt

33 Kommentare

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  1. 33.

    Nein Bitte nicht! Mir hatten vor 5 Jahren 3 Schnuppertage bei den Bäderbetrieben im Prinzenbad gereicht. Dann lieber bei der Müllabfuhr.

  2. 32.

    Ja, hätten das alle getan, dann wären keine Neuwahlen.

  3. 31.

    "stehen sich die Beine in den Bauch"

    Das tue ich mir schon seit dem
    letzten Jahrtausend nicht mehr an. Briefwahl beantragen und fertig.

  4. 29.

    Warum nimmt man denn Anträge die falsch oder unvollständig sind überhaupt an, und was kostet denn der Spaß den Steuerzahler in Summe ? Zudem stellt sich eine weitere Frage, wieviel Menschen mit kleinem Einkommen dafür den Buckel krumm machen müssen, anstatt für sich selbst zu arbeiten ?? Dafür das so viele schlaue Leute, also Fachkräfte, am Werk sind, ist das Ergebnis mehr als nur ungenügend.

  5. 28.

    Fakt ist, das sind wir, die Steuerzahler die für ihre schwer verdienten Gelder so eine Schande ertragen müssen. Für diese Ergebnisse gehen die Bürger auch noch wählen, stehen sich die Beine in den Bauch, mit dem Ergebnis das Wahlen ungültig sind, und wieder Millionen Steuergelder durch den Kamin gehen. Scheinbar hat hier in dieser Stadt jeder der finanziell einiger maßen unabhängig ist Narrenfreiheit. Der dumme Arbeiter und die Touris werden die Zeche schon zahlen, und irgend wann werden wir für diese Gelder auch die Behörden wieder auf einen Stand bringen der dem 21. Jahrhundert gerecht wird.

  6. 24.

    Nicht nur die Pensionierungwelle ist das Problem.Die Bundesministerien und die Stellen in den Senatsverwaltungen sind besser bezahlt als die Bezirksverwaltungen. Daher kommt zusätzlich eine hohe Fluktuation in den Bezirken.Hier aber ist das Personal besonders wichtig,weil die Bezirke für die Bürgerinnen und Bürger Dienstleistungen erbringen. Die Belastung ist hoch besonders in den Sozialämtern.Hier hängen Existenzen dran. Ein wichtiger Job mit leider viel zu geringer Bezahlung.

  7. 23.

    Die Arbeit im Öffentlichen Dienst ist kein Zuckerschlecken. Man wird von der Arbeit regelrecht erschlagen, Dauervertretung macht einen fertig. Die Überstunden stapeln sich und die Rückstände werden nicht weniger. Danke sagt keiner.

  8. 22.

    Sie sprechen das aus für die in den Ruhestand Gegangenen, was diese auch ertragen mussten. Ab 2010 ging es den Bach runter. Jetzt muß der hinterbliebene Rest doppelt arbeiten. Die Azubis, die ich kennengelernt habe, sind z.t zu nichts fähig, ausser mit ihrem Handy auf dem Schreibtisch. Auf geht's zu neuen Mitarbeitern.

  9. 21.

    An all die Neider der Beamten und Arbeitnehmer im öD. Eure Chance jetzt einzusteigen und richtig richtig viel Geld zu verdienen

  10. 20.

    Finanzamt kann ich bestätigen. Hinzu kommt, dass man in Berlin soweit geht, dass man mit 5 Punkten übernommen wird. Dein FA hört sich nach Neukölln an?!

  11. 19.

    Mache mit 40 zweite Ausbildung in der Finanzverwaltung in einem Finanzamt. Was ich da erlebe ist eine Frechheit. Die Azubis werden von völlig überlasteten Sachbearbeitern betreut. Wenn Fragen gestellt werden bekommt man schlechte Bewertungen weil man zu viel fragt. Da der Ausbilder ins Büro und mault alle an man hätte erst 15 Prozent seiner Arbeit. Ergebnis: die Hälfte will nach der Ausbildung weg. Einige sind psychisch am Ende. So gewinnt man keine motivierten Mitarbeiter. Das System ist kaputt

  12. 18.

    Wollen sie uns hier alle für verrückt erklären? Das alle Unterlagen vollständig sind muss man wohl niemanden erklären, selbst wenn er aus dem 4. Schuljahr entlassen wurde!
    Die Bearbeitungszeit umfasst den Zeitraum vom Eingang des Antrages bis zur Erteilung des Bescheides. Die aktuellen Bearbeitungszeiten betragen für Erstfeststellungen 135 Tage und für Neufeststellungen 163 Tage.

  13. 17.

    Das kann man aber so pauschal nicht sagen. Antrag vollständig ausgefüllt, alle Arztberichte beigelegt war der vorläufige Bescheid nach 6 Wochen im Briefkasten. Der Schwerbehindertenausweis selbst nochmal 3 oder 4 Wochen später.

  14. 16.

    Ja, und die kann von 2-6 Monaten heißen!! Aber in vielen Fällen ist es dann schon nach 4 Monaten passiert. Damit sind sie zufrieden? Dann wünsche ich Ihnen eine Dringlichkeit als Schwerbehinderter. Vielleicht wachen sie dann allmählich auf.

  15. 15.

    Wir haben halt eine Verwaltung die findet das Mitarbeiter gerne mal 6-24 Monate auf antworten warten und das auch noch normal findet. Das sollte man sich auf die Erwerbszeit lieber nicht runterbrachten. Jede Veränderung dauert 10 Jahre und da wird es selbst für die projektmitarbeitenden desillusionierend

  16. 14.

    Endlich Rentner kann ich nur nach 35 Jahren im öffentlichen Dienst sagen, nie wieder würde ich mir das antun wollen. Trotz zunehmender Arbeit waren die Jahre bis ca. 2010 angenehm zu arbeiten und die Kollegen in Ordnung. Ab da, zunehmend sinnlose Bürokratie, die Führungskräfte, irgendwann verdoppelt und verdreifacht, zunehmend unwissender und anmaßender, die tägliche Arbeit, vorher von 5-6 Kollegen musste mit 2 Mitarbeitern gemacht werden. Kein Wunder das in dieser Stadt fast alles schief läuft, was auch schief laufen kann. Bürokratie, Starrsinn und völlig überzogene Anzahl von Vorgesetzten, ohne richtigen Verantwortungsbereich und damit relativ nutzlos bremsen alles aus.

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