Israelis in Berlin - "Es fühlt sich an, als würde die Welt aus den Fugen geraten"

Do 12.10.23 | 19:29 Uhr
Maya Wolffberg, Mitglied des Vereins "ZusammenBerlin" bei einem Besuch anlässlich der Terroranschläge vom 09.10.2023 am 12.10.2023 in Berlin (Quelle: rbb).
Video: rbb|24 | 12.10.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: rbb

Ohnmacht, Trauer, gleichzeitig der unbändige Wille, zu helfen: So beschreiben Israelis in Berlin ihre Gefühlslage, wenige Tage nach den Terrorangriffen der Hamas auf ihr Heimatland. Im Verein "Zusammen.Berlin" versuchen sie, den Horror zu verarbeiten.

Maya Wolffberg

"Ich wachte am Samstag auf und schaute auf mein Telefon und sah hunderte von Nachrichten und verstand sofort, dass etwas passiert ist. Ich rief meinen Papa an. Ich habe Familie im Süden und er sagte, sie haben Terroristen neben ihrem Haus. Mein Onkel ging auf die Suche nach einer Waffe und sie dachten: Es ist vollkommen verrückt. Ich konnte meinen Vater am Telefon hören, aber gleichzeitig konnte ich nicht verstehen, was er sagt. Dann bin ich schon los, wir haben hier ein Gruppentreffen veranstaltet.

Die meisten Menschen zuhause haben Angst um ihr Leben. Sie haben Angst, dass ihre Sicherheiten komplett verschwunden sind. Es hilft auch nicht, dass sie nicht wissen, was jetzt passieren wird, wohin dieser Krieg geht und was mit ihrer Familie und ihren Freunden passiert.

Ich spüre eine große Hoffnungslosigkeit und ich habe das Gefühl, dass die Menschen wirklich verloren sind. Mein Großvater hat den Holocaust in Berlin überlebt - und jetzt die Angriffe im Süden. Es fühlt sich an, als würde die Welt aus den Fugen geraten. Ich schätze, es fühlt sich an wie ein Alptraum, der lebendig wird. (weint)

Hintergrund

Das Logo des Vereins "ZusammenBerlin" bei einem Besuch anlässlich der Terroranschläge vom 09.10.2023 am 12.10.2023 in Berlin (Quelle: rbb).
rbb

Austausch und Beratung - "Zusammen.Berlin"

Der Verein versteht sich als Zusammenschluss der israelischen Community in Berlin. Den eigenen Angaben zufolge wollen die Mitglieder einen sicheren Hafen für Jüdinnen und Juden der Stadt anbieten, einen Raum für Gespräche, Austausch - und im Moment auch besonders Trost. Die Vereinsräume liegen versteckt in einem Hinterhaus - notgedrungen bewacht von einer Sicherheitsfirma.

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Ich kann immer noch nicht sagen, dass ich mich zu 100 Prozent sicher fühle, weil es einfach auch so ist, dass man als Israeli sein ganzes Post-Trauma dabei hat. Aber ich habe das Gefühl, dass uns Deutschland unterstützt. Ich bin auch froh, dass viele der anti-israelischen Demonstrationen abgesagt und nicht genehmigt werden.

Ich kann nicht sagen, dass es mir nicht durch den Kopf gegangen ist, zurückzugehen - denn man will sofort bei seiner Familie und seinen Freunden sein und sie unterstützen. Aber ich weiß auch, dass ich hier für meine Gemeinschaft da sein muss. Wir versuchen unser Bestes, führen offene Gespräche mit Psychologen und Sozialarbeitern, die hierher kommen. Wir haben auch die hebräische Hilfs-Hotline "Matan", die Israelis anrufen können.

Berlin ist für mich meine zweite Heimat. Bis ich mich hier engagiert habe, wusste ich nicht einmal, was mir in meinem Leben als israelische Einwanderin fehlt. Das versuchen wir auch unseren Mitgliedern hier zu bieten: ein Gefühl der Zugehörigkeit, ein Ort, wo sie sich sicher fühlen, israelisch, jüdisch, so sein können, wie auch immer sie sein wollen."

Sharon Jägermann, Mitglied des Vereins "ZusammenBerlin" bei einem Besuch anlässlich der Terroranschläge vom 09.10.2023 am 12.10.2023 in Berlin (Quelle: rbb).
| Bild: rbb

Sharon Jägermann

"Wir haben hier unseren eigenen Psychologen und andere Leute, die helfen können. Wir haben heute zum zweiten Mal ein Treffen unserer Mitglieder mit Psychologen gehabt, um gemeinsam den Schmerz zu teilen und zu versuchen zu verstehen, was passiert ist. Die Ausmaße dieses Ereignisses können Sie in gewisser Weise mit dem 11. September vergleichen. Aber es ist zehnmal größer, wenn Sie die Todesopfer in Verhältnis zur Bevölkerung nehmen. Unsere Generation, lange nach dem Holocaust, sieht nun, wie dort Familien, Männer, Frauen, Kinder, Babys, Soldaten, abgeschlachtet wurden. Dinge, von denen wir uns niemals in unserem Leben vorstellen konnten, sie zu erleben. Deshalb sind die Menschen hier im Gespräch mit einem Spezialisten, der weiß, wie man mit solchen Ereignissen umgeht - und das auf hebräisch.

Dieses Ereignis wird natürlich eine Vergeltung durch unser Land mit sich bringen, weil wir viele Ermordete und nach Gaza Entführte zu beklagen haben. Deshalb war es unsere Pflicht, für unsere Räume hier in Berlin Sicherheitsleute einzustellen - damit sich alle, die herkommen, sicher fühlen können. Die Angst ist da, von unterschiedlichen Gruppen in Berlin angegriffen zu werden. Leider haben wir auch die Fröhlichkeit mancher Gruppen in Neukölln gesehen, als Reaktion auf die Massaker. Also haben wir die Verpflichtung, unsere Gemeinschaft zu schützen, rund um die Uhr.

Ich denke, es gibt eine große Wut in Israel, weil jeder gesehen hat: Wir wurden von diesem Angriff überrascht. Das ist etwas, was wir uns nicht einmal vorstellen konnten, und jetzt versuchen wir, die Scherben aufzusammeln und zu sehen, wie wir von diesem Punkt an weitermachen.

Sharon Jägermann

Wir bekommen hier gerade so viele Anrufe am Tag. Wir arbeiten eng mit der israelischen Botschaft zusammen. Wir versuchen, Flüge zu organisieren. Aber die Flüge sind voll, weil jetzt alle zurück wollen. Es gibt auch eine große Nachfrage von Menschen, die nach Israel zurückkehren möchten, um in irgendeiner Form zu helfen - sei es in der Armee, um sich den Streitkräften anzuschließen. Oder: in der Bevölkerung, um Lebensmittel zu sammeln, eigentlich alles.

Normalerweise sind die Menschen in unserem Land in solchen schlimmen Zeiten völlig vereint. Sie arbeiten zusammen, um die Ordnung wiederherzustellen und in gewisser Weise auch, um zum Leben zurückzukehren. Denn das ist unsere Natur. So manche Katastrophe liegt in unserer Geschichte - und man weiß immer, wie man sich erneuert und versucht, sich daraus aufzubauen."

Daniel Dunkelman, Mitglied des Vereins "ZusammenBerlin" bei einem Besuch anlässlich der Terroranschläge vom 09.10.2023 am 12.10.2023 in Berlin (Quelle: rbb).
| Bild: rbb

Daniel Dunkelman

"Die Räume hier sind so etwas wie mein sicherer Hafen, seit alles passiert ist. Wir Israelis haben ein sehr, sehr großes Gemeinschaftsgefühl und wenn etwas passiert, neigen wir immer dazu, zusammenzuhalten, besonders in dieser Zeit. So etwas haben wir noch nie erlebt.

Ich bin im Grunde hier, weil ich einfach nicht zu Hause bleiben und nichts tun konnte. Ich schaue im Netz, was gerade in Israel an Spendengütern gebraucht wird und versuche herauszufinden, wer solche Dinge als Spenden anbietet - um das zusammenzubringen. Ich will meinen kleinen Beitrag leisten und meinem Land und meinen Leuten helfen, obwohl ich schon zweieinhalb Jahre hier lebe und Berlin mir so viel gibt. Aber meine Freunde und Familie sind in Israel. Gott sei Dank geht es ihnen gut.

All die Geschichten, die Zahlen, die wir seit Samstag aus Israel erfahren - es ist buchstäblich so, als hätte mir jemand die Eingeweide aus dem Körper gezogen und alles, was wir haben, ist wie ein riesiges schwarzes Loch. Meines ist sogar relativ klein, weil ich niemanden verloren habe. Aber ich habe Freunde, die eingezogen wurden, andere, die in Krankenhäusern arbeiten und Freunde haben, deren Familien betroffen sind. Sie haben immer noch nicht alle Leichen identifiziert. Es ist einfach so überwältigend und so unfassbar. Wir ertrinken einfach. Ich habe mir ein paar Tage von der Arbeit frei genommen, weil ich einfach nicht konnte. Also bin ich hier, als Teil der Art und Weise, wie wir diese entsetzliche Erfahrung verarbeiten.

Etwas, das mich das Leben in Israel gelehrt hat, ist die Fähigkeit, mich selbst zuerst zu schützen.

Daniel Dunkelman

Es ist so schwer, nicht für meine Freunde und meine Familie da zu sein und wir wissen auch nicht, was mit meinen Eltern passieren wird. Ich habe einen Neffen, der vier Jahre alt ist, und eine Nichte, die sechs Monate alt ist, und es ist so schwer, einfach nicht dorthin zu gehen und sie zu umarmen. Und wenn eine Sirene ertönt, sie in den Schutzraum zu bringen.

In den letzten Monaten gab es viele Streitigkeiten in Israel und wir hatten das Gefühl, dass die Einheit des Landes und der Gesellschaft nicht mehr existierte. Unter sehr schrecklichen Umständen haben wir jetzt das Gefühl: Unsere Einheit ist zurück. Wir wissen nicht, was passieren wird und es scheint, als ob wir Wochen oder sogar Monate vor uns haben, die sehr, sehr schwer für unser Land werden. Wir wissen nicht, ob nicht etwas mit der Hisbollah aus dem Libanon passieren wird. Wir wissen nicht, ob etwas aus Syrien kommt, wir wissen nicht, ob etwas aus dem Westjordanland passiert.

Ich empfinde auch eine überwältigende Unterstützung durch das deutsche Volk. Ich wusste, dass ich Rückendeckung habe, wenn es irgendwelche Probleme gibt, als der Bürgermeister von Berlin auf einer der größten Solidaritätsdemonstrationen in Europa eine Rede hielt, nach dem, was an diesem Samstag passiert ist. Wir tun also was wir können, um uns zu schützen und er trifft zusätzliche Maßnahmen.

Aber etwas, das mich das Leben in Israel gelehrt hat, ist die Fähigkeit, mich selbst zuerst zu schützen. Vielleicht spreche ich auf der Straße nicht hebräisch, wie ich es sonst tue, weil mancherorts eine pro-palästinensische Stimmung herrscht. Aber ich werde meine Lebensweise nicht ändern. Ich sollte keine Angst davor haben, wer ich bin und woher ich komme."

Sendung: rbb24 Abendschau, 12.10.2023, 19:30 Uhr

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