rbb exklusiv - Berliner Senat beendet Pilotprojekt zur Vermeidung von Zwangsräumungen

Do 05.10.23 | 22:02 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Demonstranten blockieren am 06.08.2019 den Eingang eines Hauses in der Dubliner Straße, um die Zwangsräumung einer WG zu verhindern. (Bild: rbb/Göbel)
Audio: rbb24 Inforadio | 05.10.2023 | Wolf Siebert | Bild: rbb/Jana Göbel

Mit der persönlichen Zustellung von Räumungsklagen wollte die ehemalige Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) die Zahl der Räumungen verringern. Die neue Justizsenatorin Felor Badenberg beendet das Projekt - es sei "nicht zielführend". Von Sebastian Schöbel

Die Berliner Justiz wird Räumungsklagen gegen Mieterinnen und Mieter in Berlin nun doch nicht persönlich zustellen. Das erklärte die Justizverwaltung in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken, die dem rbb vorliegt.

Ein solches Vorgehen stehe nicht in Einklang mit der Zivilprozessordnung und sei zudem "nicht zielführend", erklärte eine Sprecherin auf Nachfrage des rbb. Damit beendet die neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) ein Pilotprojekt ihrer Amtsvorgängerin Lena Kreck (Linke), die damit die Zahl der Zwangsräumungen verringern wollte.

Mit der persönlichen Klagezustellung sollten Betroffene, denen eine Zwangsräumung droht, die Möglichkeit einer zusätzlichen Beratung durch Justizbedienstete bekommen oder an Hilfsangebote vermittelt werden. Man wolle verhindern, so die Begründung, dass Menschen, die in Krisenlagen überfordert sind und möglicherweise die Dringlichkeit eines Gerichtsschreibens nicht richtig einschätzen, plötzlich vom Gerichtsvollzieher überrascht werden.

Sozialbehörden sollen enger eingebunden werden

Badenberg hatte bereits kurz nach ihrer Amtsübernahme angekündigt, das Pilotprojekt prüfen zu wollen. Es stehe möglicherweise im Widerspruch zu der Maßgabe, dass Zwangsräumungen beschleunigt durchzuführen sind, um die Mietausfälle und Risiken für Vermieter gering zu halten. "Mehrfache persönliche Zustellungsversuche durch Justizbedienstete würden zu einer Verzögerung des Verfahrens führen", so die Sprecherin der Justizverwaltung.

Man unterstütze aber grundsätzlich das Anliegen, die Zahl vermeidbarer Räumungen zu reduzieren. So prüfe man aktuell eine Bundesratsinitiative, wonach künftig Gerichte möglichst frühzeitig die Möglichkeiten einer gütlichen Beendigung des Rechtsstreits sondieren sollen. Dabei sollen auch die Sozialbehörden enger eingebunden werden, um Betroffenen möglichst früh zu helfen. "Selbst bei letztlich nicht vermeidbaren Räumungen können die sozialen Folgen gegebenenfalls durch Räumungsfristen gemildert werden", so die Justizverwaltung.

Archivbild: Felor Badenberg (parteilos), Justizsenatorin von Berlin kommt zu einer Pressekonferenz zum Abschluss der Justizministerkonferenz. (Quelle: dpa/M. Skolimowska)
Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg. | Bild: dpa/M. Skolimowska

Kritik von der Linken

Der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, kritisierte das Ende des Pilotprojektes und kündigte an, in den laufenden Haushaltsverhandlungen die Wiederaufnahme zu beantragen. "Wir müssen an allen Stellen des Verfahrens alles dafür tun, dass Menschen ihre Wohnung nicht verlieren."

Niklas Schenker, der wohnungspolitische Sprecher der Linksfraktion, fügte hinzu: "Es ist unverantwortlich, dass der Senat das Kündigungs- und Räumungsmoratorium bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen zum Ende des Jahres ersatzlos auslaufen lässt." Die Zahl der Räumungen sei noch immer hoch, so Schenker, und in Zeiten steigender Kosten würden auch die Mietschulden steigen - und damit die Räumungsneigung der Vermieter.

Laut der parlamentarischen Anfrage der Linken wurden in Berlin seit April 2022 rund 5.800 Räumungsklagen wegen Zahlungsverzug zugestellt. Die mit Abstand meisten, knapp 1.300, gab es in Marzahn-Hellersdorf. Die wenigsten Räumungsklagen im gleichen Zeitraum hatte Steglitz-Zehlendorf, mit 218.

Sendung: rbb24, 06.10.2023, 16:00 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

50 Kommentare

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  1. 50.

    Weniger ist mehr. Es reicht, ich will weniger Gesetze. Leitplanken reichen aus.

  2. 48.

    "gegen die gesetzlichen Vorschriften der ZPO ". Ich gehe davon aus, dass auch die Vorgänger-Regierung sich der FDGO verpflichtet gefühlt hat. Es ist daher höchst verwunderlich, dass die m.E. rechtswidrigen Aktivitäten der ehemaligen Senatorin Kreck, als "Pilotprojekt" bezeichnet, so lange haben laufen können.

  3. 47.

    Das ist mitnichten "nicht zielführend" oder verfahrenswidrig. Die persönliche Zustellung und Bearbeitung des Falls bedeutet, dass sich sowohl die Vermietenden als auch die Gerichte darum kümmern müssen, die soziale Notlage abzumildern, auch im Falle einer Mieträumung. Was jetzt durchgesetzt wird, ist der einseitige - und damit verfassungswidrige - Wunsch von Besitzenden, Vermietenden und Co. Partikularinteressen Dritter hat die Justiz nicht zu berücksichtigen und schon gar nicht höherrangig zu erachten als das Recht auf Wohnen. In der Praxis bedeutet das eine Anhäufung anonymer Schnellverfahren, komplett ohne Rechtsschutz für Betroffene, die ohne korrekte Benachrichtigung auch keinen Widerspruch einlegen können. Die Leute sitzen trotz Gerichtsverfahren ohne Verhandlung auf der Straße - ganz analog zum libertären Strafbefehlsverfahren, das ebenso unrechtsstaatlich ist.

    In einem unregulierten Wohnungs- und Mietmarkt braucht es den besonderen Mieter*innenschutz.

  4. 46.

    Liebe Dagmar, dafür benötigt man etwas Fantasie. Wenn sie ein kleiner Vermieter sind, sollten ihre Mieter mehr als eine abstrakte Geldeinheit sein.
    Sie werden sich dann vor einer Räumungsklage ganz sicher mit ihrem Mieter persönlich auseinandersetzen. Und genau darum gehts. Während eine Heuschrecke einfach den Rechtsweg beschreiten wird.
    Ist doch eigentlich logisch oder? Das ist auch der Unterschied zwischen einer personengeführten Unternehmung oder irgendeinem Hedgefond.

  5. 45.

    Also, ich habe den Artikel aufmerksam gelesen, und es geht um Räumungsklagen im allgemeinen, im Artikel steht kein Wort über Großvermieter, auch nicht vom börsennotierten.
    Wenn ein Mieter einen Mietvertrag abschließt, und mit der dort vereinbahrten Miete mindestens 3 Monate im Rückstand ist, und diese Rückstände nicht zügig begleicht, dann hat jeder Vermieter das Recht eine Räumngsklage zu erwirken.
    Ob eine, von der Justiz. persönlich zustellte Räumungsklage zielführend sei, um die Anzahl der Räumnsklagen zu verringern, das war hier im Artikel die Frage.
    Eine erlassene Klage, wird hierzulande per Post zugestellt, und nicht durch das Personal der Justiz, die ist ausgelastet genug, und hat keine Zeit für Hausbesuche von Beklagten.

    Für Beratungen gibt es Interessenverbände

  6. 44.

    "Frau Badenberg ist parteilos. " Aber nicht unabhängig. Haben sie etwa geglaubt das zahlt wer einfach so 820.000 € als "Spende"?

  7. 43.

    Grundrechte kann man nicht "verwirken". Deswegen heißen sie ja auch so. In ihrer Deutung ist wohl auch die Würde des Menschen antastbar, wenn ein Mensch seine Würde "verwirkt" hat

  8. 42.

    Erstens gehts, wie ja selbst kommentieren, nicht um das vermietete Mehrfamilienhaus sondern um die großen Vermieter.
    Zweitens ist ja die Dauer der Räumungsklage bei der hier anvisierten Zielgruppe am kürzesten, denn die gehen nicht durch alle Instanzen.
    Und genau darum ging’s ja der alten Senatorin. Von den börsennotierten Vermietungsheuschrecken geht ganz sicher keiner Pleite, da können sie mal ganz beruhigt sein. Die haben genug Kapital solche Zeiträume über der Mietskaution hinaus zu überbrücken.

  9. 41.

    Es gibt aber Unterschiede in einer Renditeerwartung und die Verzinsung ist hier bekanntlich die Kaltmiete.
    Wieviel bekommen sie für eine langfristige risikolose Anlage mit monatlicher Zinsgutschrift denn beispielsweise bei der Bank? Und wie hoch ist dagegen der Zinsfuss bei den Wohnungsbau-Investoren??
    Dazwischen liegen Welten und genau hier könnte der Staat regulierend eingreifen.
    Selbst Gröner bezeichnet die gesetzlich möglichen Modernisierungsrenditen von 8% als reinen Wucher!

  10. 40.

    Vielleicht wie bei Buchbinder Wanninger hat dann der Gerichtsvollzieher gesagt, "Na dann ist die Sache für mich erledigt".

  11. 39.

    Spandau liegt nicht an sondern hinter der Havel.

    Schön für Sie, dass Sie einen anständigen Vermieter haben.
    In meinem Freundes und Bekanntenkreis haben manche leider nicht so viel Glück und nennen Heimstaden, Vonovia und Deutsche Wohnen ihre Vermieter. Da läuft das ein wenig anders. Entweder werden die Häuser gar nicht gewartet und werden somit langsam aber sicher marode. Oder es werden jedes Jahr bis zu 20% mehr Miete verlangt.
    Die Problematik einer gesetzlichen Regelung ist ja dass sie für alle Mie

  12. 38.

    "Der Staat ist keine Nanny, die alles übernehmen kann."

    Nein? Komisch woanders ist das kein Problem aber die 820.000 € müssen sich ja amortisieren.

  13. 37.

    Auch ich teile Morenas Einschätzungen und Sichtweisen, die ich weder einseitig noch unreflektiert finde, ganz im Gegnteil. Und da wir wir Menschen verschieden sind mögen manche gerne über diese engen vorgegebenen Horizonte hinausdenken. Wenn Sie allerdings einfach die Regierungsmeinung dazu zitieren mit der aktuellen moralistischen Grundhaltung darin euphemistisch verpackt ist das eben eine andere opportune Meinung.
    Aus einem gesellschaftlich bedingten Problem, auf das wir Einzelne gar keinen Einfuß haben, wird eine moralische Angelegenheit gemacht. Das verfehlt jegliche Analyse der Ursachen und Bedingungen die über Jahrzehnte hinweg nun zu genau diesen für viele existentiellen Problemen geführt haben. Auf meine alten Tage droht mir die verzweifelte Suche nach einer Wohnung weil ehemalige Sozialwohnungen hier im Milieuschutzgebiet nun so oft weiterverkauft wurden bis der aktuelle Eigentümer nun in Einzeleigentum aufsplittet mit freundlicher Unterstützung der Gesetzesmacher.



  14. 36.

    Habe ich nicht mein "Grundrecht" verwirkt, wenn ich die Miete nicht zahle?
    Es gibt viel Unterstützung und Beratung in unserem Land.
    Ich muss mich jedoch selber kümmern, oder?

  15. 35.

    Es ist schon sehr interessant die Beiträge zu lesen, insbesondere über die Schuldigen, wenn es um die Höhe der Miete geht.
    Das Gropiushaus wurde nach den WFB 1971 gefördert, bereits 1976 waren es die WFB 1972, wie bei fast allen zwischen 1969 und 1971 geförderten Mietobjekten. Die IBB hat nach 32 Jahren Förderung im 1. Förderweg, ab dem 1. Januar 2008 eine Kaltmiete von 9,63 €/m2 genehmigt, bei vergleichbaren Objekten waren es um 4 €. Tatsächlich haben dann alle Verantwortlichen zugesehen.

  16. 34.

    Die Frage bleibt doch, wieso Mieter derart hohe Mietschulden anhäufen, dass zu Kündigung führt. Es gibt eine Unmenge von Beratungsstellen, die dem Mietschuldner beraten und Hilfestellung geben. Diesen Weg muss der Mieter alleine gehen und das auch vor der "persönlichen Zustellung" der Räumungsklage. Bis es aber bis zur Räumung kommt, vergeht eine gewisse Zeit,,begleitet von viel Briefverkehr. Wer diese Signale nicht wahrnimmt, bzw. ignoriert muss schlussendlich geräumt werden, denn da wurden offensichtlich andere Prioritäten gesetzt. Ich kann das Ende dieses Projektes verstehen, verstehe es aber nicht, warum dieser Artikel reißerich als "rbb-exklusiv" aufgemacht wird, der dann nur eine bedeutungslose Mitteilung für die überwiedende Mehrheit der Mietzahler ist. Sicherlich aber mit dem Hintergrund, dass der neue Senat "Die Prioritäten sind damit klar und menschenverachtend" hindeutet. Ja, das Projejt, aus Berlin ein rot-grünes Wolkenkuckucksheim zu machen, ist eben gescheitert.

  17. 33.

    Wohnen ist ein Grundrecht:

    "(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden Menschen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an."

    Diese Rückwärtsorientierung verschlechter die Situation für Wohnende, die außerhalb der Mietwohnung keinen Wohnraum zur Verfügung haben und es gibt auch nicht genügend vom Land/Staat gestellte Unterkünfte um das abzufangen. Also gehen wir wieder einen Schritt weg von den Menschenrechten mit diesem Vorgang.

  18. 32.

    "Der private, der börsen-fond-rendite-anlagegetriebene Immobilienmarkt ist seit vielen Jahrzehnten nicht in der Lage angemessen bezahlbaren Mietwohnraum zu produzieren." Wozu auch, das ist nicht seine Aufgabe. Der private Markt stellt Wohnungen als Ware zur Verfügung und hat dafür das Recht, daraus Gewinne zu generieren. Wenn der Staat die Bedingungen soweit einschränkt, dass keine positive Renditeerwartung mehr gegeben ist, dann investieren Private nicht mehr. Ganz einfach, denn niemand hat etwas zu verschenken. Für Menschen, die sich Wohnen zu Marktpreisen nicht leisten können, ist der Staat zuständig. Entweder er baut selbst im sozialen Wohnungsbau oder er zahlt Wohngeld (was übrigens die gerechteste Form der Förderung ist). Der Staat hat aber die eigenen Bauvorhaben selbst Richtung Null gefahren, weil es eben verdammt viel Geld kostet, welches nie wieder über die niedrigen Mieten reinkommt.

  19. 31.

    Was soll daran menschenverachtend sein? Der Staat hat eine Schadenminderungspflicht und Vermieter sind in der Mehrheit nun mal nicht kapitalstark genug, monatelange Mietausfälle kompensieren zu können. Warum soll ein Vermieter ruiniert werden, nur weil sein Mieter nicht zahlt. Es dauert ohnehin bereits 12 bis 18 Monate, bis der Vermieter überhaupt mal einen Räumungstitel erwirkt hat. Den finanziellen Schaden kann man dann recht leicht überschlagen.

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