Timo Baumgartl nach seiner Krebserkrankung - Mit viel Offenheit und neuer Perspektive zurück in den Alltag und auf den Platz

Sa 06.08.22 | 13:50 Uhr
Timo Baumgartl in diesem Sommer an der Alten Försterei (Bild: IMAGO / Matthias Koch)
Audio: rbb24 Inforadio | 06.08.2022 | Thomas Bareiß | Bild: IMAGO / Matthias Koch

Im Mai wurde bei Union Berlins Timo Baumgartl Hodenkrebs diagnostiziert. Drei Monate, eine Operation sowie Chemotherapie später ist er zurück auf dem Trainingsplatz - mit einer neuen Gelassenheit und ohne Angst, über seine Erkrankung zu sprechen.

Mit einem breiten Grinsen und in die Höhe gestreckten Daumen guckt Timo Baumgartl in die Kamera. Der 26-Jährige sitzt auf dem Rasen des Köpenicker Trainingsgeländes von Union Berlin. Das entscheidende Detail und der Grund für Baumgartls Freude: die Trainingskleidung, die er trägt, und die weißen Fußballschuhe, die er sich zu bindet. In Kombination mit dem ausgestreckten Daumen zeigen sie, dass Timo Baumgartl nach seiner Tumor-Behandlung auf dem Weg zurück in den Fußballalltag ist.

Mit Offenheit zum Vorbild

Anfang Mai wurde bei Timo Baumgartl im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung ein Hoden-Tumor diagnostiziert. Es folgten die Gewissheit, dass es sich um Hodenkrebs handelt, eine Operation und schließlich mehrere Zyklen der Chemotherapie. Rund drei Monate nach seiner Diagnose ist Baumgartl nun zurück auf dem Trainingsplatz. Mit dem Südwestrundfunk (SWR) hat er sich über den Weg von der Diagnose bis zur sportlichen Rückkehr unterhalten.

Baumgartl spricht mit dem SWR, aber auch ganz allgemein sehr offen über seine Krebserkrankung. Etwa, wenn er davon berichtet, wie er an einem freien Tag nach einem Arztbesuch seine Freundin Julia anrief und ihr sagte: "Da ist irgendwas. Sie müssen das nachkontrollieren." Einen Tag später bekam Unions Verteidiger die Krebsdiagnose. "Das sind Momente, in denen es wichtig ist, Gefühle zu zeigen", sagt Baumgartl, der berichtet, genau das gemacht und viel geweint zu haben.

Es ist eine Aussage, die ins Bild passt. Baumgartl sagt über sich selbst, dass er keine Scheu hat, auch anderen Leuten gegenüber seine Emotionen zu zeigen. So sei auch die Frage, wie er kommunikativ mit der Diagnose umgehen wolle, früh beantwortet gewesen. "Mir war relativ schnell klar, dass ich damit offen umgehen möchte", sagt Baumgartl und ergänzt: "Ich denke, dass ich als öffentliche Person eine Vorbildfunktion habe. Ich wollte andere ermutigen, zur Vorsorge zu gehen."

Hilfreicher Austausch

Mit dieser Herangehensweise war Baumgartl auch für Marco Richter und Sébastien Haller ein Vorbild. Auch bei dem Herthaner und dem Dortmunder Stürmer wurde jüngst Hodenkrebs diagnostiziert. Während bei Richter eine Operation ohne Chemotherapie als Behandlung ausreichte, muss sich Haller – wie Baumgartl – beidem unterziehen. "Marco kenne ich aus der Nationalmannschaft und habe ohnehin Kontakt zu ihm", sagt Baumgartl über den Austausch untereinander und erzählt: "Mit Sébastian habe ich viel darüber geredet, was man in der Chemo machen kann, damit sie gut verläuft." Auch für Baumgartl selbst war der Austausch mit anderen Betroffenen ein Schlüssel während der Behandlung. "Da wird einem Mut zugesprochen", sagt er.

Dennoch bleibt der Faktor Furcht, der mit einer Krebserkrankung und -diagnose fast naturgemäß einhergeht. Mit dem Thema Tod sah Baumgartl sich genauso konfrontiert wie mit Wahrnehmung des eigenen Körpers allgemein. "Ich bin 26, Leistungssportler und hatte nie körperliche Probleme oder Symptome. Ich fühlte mich unangreifbar", erzählt Baumgartl. Die Krebsdiagnose habe das geändert, das Gefühl der Unverletzbarkeit bröckeln lassen. "Mir gingen düstere Gedanken durch den Kopf", sagt Baumgartl.

Positive Schritte zurück

Dennoch berichtet der gebürtige Böblinger auch von Humor in den vergangenen Monaten, spricht über Ein-Hoden-Witze nach seiner OP ("Es heißt jetzt: 'Du gehst mir aufs Ei.'") und berichtet von dem früh beruhigend wirkenden Wissen, "dass Hodenkrebs in fast allen Stadien zu knapp 100 Prozent heilbar ist." Hinzukommt, dass Männer normalerweise auch mit einem verbliebenen Hoden Kinder bekommen können und sich für den Fall der Fälle auch Spermien einfrieren lassen können. "Das ist eine Option, die wir auch wahrgenommen haben", erzählt Baumgartl.

Die Rückkehr auf den Trainingsplatz ist nun der nächste Schritt auf Baumgartls Weg in Richtung Alltag und Normalität. Zeit lassen wolle er sich auf diesem, sagt er: "Es ist letztlich erst mal wichtig, wieder einen Alltag zu haben. Meine Freundin und ich freuen uns auf das ganz Normale, aufs Staubsaugen, Aufräumen oder Wasserkisten tragen." Dass Krankheiten bzw. tiefgreifende Diagnosen häufig Perspektiven verändern, ist bekannt. Timo Baumgartl stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, berichtet von einer neuen Gelassenheit. "Ich denke oft: Worüber habe ich mich eigentlich in den letzten 26 Jahren aufgeregt?", sagt er und ergänzt: "Wenn ich eine Chemotherapie geschafft habe, dann muss ich mir keinen Kopf mehr machen, wenn mir in einem Spiel mal ein Fehler unterlaufen ist."

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.08.2022, 17:15 Uhr

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