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Quelle: imago images/Müller-Stauffenberg

Geschlechtervielfalt

"Die ganze Sportstruktur ist rein binär organisiert"

Die Aufteilung in Männer und Frauen prägt den Sport bis heute. Doch zunehmend beschäftigen sich Verbände, Vereine und Politik mit Fragen der Geschlechtervielfalt. Wie können trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen einbezogen werden? Von Anton Fahl

Es ist auf den Tag genau zwei Jahre her, dass Laurel Hubbard Geschichte schrieb. Am 2. August 2021 wurde die neuseeländische Gewichtheberin in Tokyo zur ersten offen lebenden trans Frau, die je an Olympischen Spielen teilnahm. Ein Meilenstein für mehr Diversität im Sport.

Hierzulande schreiben sich etwa Fußball-Bundesligisten die Werte Vielfalt und Fortschritt auf die Fahne. Doch wie offen für Geschlechtervielfalt ist die Sportwelt im Jahr 2023 wirklich?

"Insgesamt sind trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen im Sport noch nicht annähernd so eingebunden, wie sie es sein müssten", sagt Benjamin Csonka, Beauftragter für Vielfalt und Gleichstellung beim Landessportbund Berlin. "Im Gegensatz zu vielen anderen Städten und Bundesländern sind wir in Berlin allerdings einige Schritte voraus. Unter anderem, wenn man sich den Berliner Fußball-Verband anschaut, der das Thema in seiner Spielordnung aufgegriffen hat und die Teilhabe ermöglicht. Dennoch stehen wir insgesamt am Anfang dieser Entwicklung."

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Anpassung des Spielrechts als positives Zeichen

Damit verweist Csonka auf einen Beschluss des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) aus dem Jahr 2019, der zum 1. Juli 2020 in Kraft getreten ist und das "Spielrecht trans- und intergeschlechtlicher Menschen" regelt [berliner-fussball.de]. Seitdem lautet die Devise des BFV: "Ist im Personenstandseintrag kein Geschlecht angegeben, die Angabe 'divers' oder eine andere Bezeichnung des Geschlechts als die Bezeichnungen 'weiblich' oder 'männlich' eingetragen, so kann die Person selbstständig entscheiden, ob die Spielberechtigung für die Frauen- bzw. Mädchenmannschaft oder für die Herren- bzw. Jungenmannschaft erteilt werden soll."

Zur Saison 2022/23 übernahm auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) diese Regelung für den Amateur- und Jugendbereich sowie im Futsal, einer Hallenvariante des Fußballs. Die Erfahrungen des BFV hätten gezeigt, dass die Wettbewerbsintegrität dadurch "nicht gefährdet" werde, hieß es seitens des DFB [sportschau.de].

Ein Schritt, den Csonka als positives Zeichen deutet, "dass nicht nur der Dachverband, als der der Landessportbund agiert, sondern auch erste Fachverbände sich dem Thema bereits gewidmet haben." Für ihn ist klar: "Die ganze Sportstruktur ist eine Hürde – weil sie rein binär organisiert und binär in den Köpfen ist. Da müssen wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ran."

Für mehr Inklusion und Geschlechtervielfalt im Sport kämpft auch Conny-Hendrik Schälicke, als Vorstand des Vereins 'Seitenwechsel – Sportverein für FrauenLesbenTrans*Inter* und Mädchen', der vor 35 Jahren von Schälicke mitgegründet wurde. "Wir haben von Anfang an das Thema Antidiskriminierung auf der Tagesordnung. Es geht für uns immer darum, Räume für benachteiligte Gruppen zu schaffen und dazu beizutragen, dass sich die Gesellschaft verändert. Wir machen Sportangebote, vernetzen uns bezirklich und versuchen, in den entsprechenden Arbeitskreisen im Landessportbund unsere Themen einzubringen", sagt Schälicke, selbst als trans Person lebend.

"Seit über zehn Jahren haben wir beim Landessportbund dafür geworben, dass eine dritte Geschlechtskategorie eingeführt wird, die heute als Eintrag 'divers' bekannt ist, sagt Schälicke weiter. "Wir wussten damals noch nicht, dass es so etwas geben wird, aber wir wussten, dass es die Menschen gibt und dass es für sie eine Benennung und Sichtbarkeit geben muss. Für diese Sichtbarkeit arbeiten wir auf verschiedensten Ebenen."

Die binären, ja, konservativen Strukturen, die im Sport nach wie vor dominant sind, bezeichnet auch Csonka als "nicht mehr zeitgemäß. Wir leben in einer Zeit, in der wir wissen, dass es nicht nur zwei binäre Geschlechter gibt", sagt er. Diese Einsicht würde im Sport allerdings "erst so langsam" ankommen. Es sei "die Frage, wie sich dieses teilweise hunderte Jahre lang gewachsene binäre System" aktuellen Entwicklungen anpassen könne.

Nach monatelangen Diskussionen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) habe der Landessportbund Berlin inzwischen zumindest die dritte und vierte Geschlechtsoption im Meldewesen etabliert. "Wir hoffen, dass das im Laufe der nächsten zwölf Monate in allen Systemen so stattfindet, sodass zumindest eine Grundlage gegeben ist."

Senatsverwaltung ruft 'Arbeitsgemeinschaft LSBTIQ+ im Berliner Sport' ins Leben

Die Diversität der Daten und Zahlen ist bislang nämlich überschaubar, wie Csonka befindet: "In den meisten Vereinen, die die Mitglieder melden, besteht noch überhaupt nicht die Option, sich abseits der Kategorien männlich oder weiblich anzumelden. Deswegen bilden die aktuellen Zahlen die Realität überhaupt nicht ab."

"Der Sport soll so viel tun und so viele Leute teilhaben lassen und vieles von dem auffangen, was die Gesellschaft an anderen Stellen nicht hinkriegt. Dafür fehlen aber häufig finanzielle und personelle Kapazitäten", so Csonka weiter. "Aus dem Sport heraus kann schon viel erreicht werden, es muss aber seitens der Politik die entsprechende Unterstützung kommen."

Und tatsächlich tut sich etwas: Seit Anfang 2023 koordiniert die Senatsverwaltung für Inneres und Sport die 'Arbeitsgemeinschaft LSBTIQ+ im Berliner Sport', die vier Mal pro Jahr zusammenkommen soll. Aktuell wirken in der Arbeitsgemeinschaft neben Landessportbund, BFV und 'Seitenwechsel – Sportverein für FrauenLesbenTrans*Inter* und Mädchen' auch der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg und die Vereine 'Vorspiel SSL', 'Berlin Bruisers', 'Berliner Regenbogenforellen' und 'Hockey is Diversity' mit.

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Auf rbb|24-Anfrage teilte die Pressestelle der Senatsverwaltung für Inneres und Sport mit: "Menschen aus der LSBTIQ+ Community haben nach wie vor nicht die gleichen Teilhabechancen im Sport, unter anderem wegen weiterhin weit verbreiteter Vorurteile und Vorbehalte. Die sexuelle Orientierung wird deshalb von vielen Sportlerinnen und Sportlern geheim gehalten, da sie negative Reaktionen befürchten müssen. Ebenso werden Trans* und Inter*Personen teilweise von Sportwettbewerben ausgeschlossen, da sie sich nicht in die in praktisch allen Sportarten vorhandene Aufteilung in weiblich und männlich zuordnen können."

Und weiter: "Die AG hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, mit ihrer Arbeit Bereiche des Berliner Sports zu erreichen, in denen Hürden für LSBTIQ+ bestehen, und dort auf ein diskriminierungsfreies und offenes Umfeld hinzuwirken. So soll unter anderem die Charta für geschlechtliche Vielfalt bei mehr Vereinen bekannt gemacht werden [charta.seitenwechsel-berlin.de]. Ein weiteres Ziel der AG ist die bessere Vernetzung sowohl innerhalb der queeren Sport-Community als auch mit anderen Strukturen im Sport."

Unterschiedliche physiologische Voraussetzungen als Streitpunkt

Maßnahmen, die Schälicke begrüßt: "Wichtig ist, dass sich möglichst viele Fachverbände mit diesen Fragen beschäftigen. Es heißt ja immer: 'Der Fisch stinkt vom Kopf.' In dieser Hinsicht muss er zwar nicht gleich stinken, ist aber vielleicht erstmal ahnungslos, hat sich mit diesen Fragen noch nicht beschäftigt und sollte sie nicht als Randphänomene abtun."

Ein besonders viel diskutierter Streitpunkt, wann immer über mehr Geschlechtervielfalt im Sport debattiert wird, sind die unterschiedlichen physiologischen Voraussetzungen, die trans und Cis-Frauen mitbringen. "Gerade in puncto Kraft ist die derzeitige Datenlage relativ klar: Trans Frauen behalten hier im Durchschnitt einen signifikanten Wettbewerbsvorteil gegenüber biologischen Frauen", sagt Dr. Jonas Zacher, der als Sportmediziner und Diplomsportwissenschaftler am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln tätig ist.

Für jenen Wettbewerbsvorteil sei insbesondere die unterschiedliche Konzentration des Hormons Testosteron in der Entwicklung ausschlaggebend, so Zacher weiter. Testosteron sei "die primäre Ursache, die biologischen Männern den Größen-, Kraft- und Schnelligkeitsvorteil gegenüber biologischen Frauen verschafft. Nach durchlaufener Pubertät bleiben diese Vorteile auch bei medikamentöser Reduktion des Testosteronspiegels in der Regel zumindest in Teilen erhalten – dies zeigen Studien von ein bis drei Jahren Verlaufsbeobachtung bei trans Frauen. Somit kann aus sportmedizinischer Sicht der Vorteil des biologisch männlichen Geschlechts durch festgelegte Testosteronspiegel in den meisten Fällen wahrscheinlich nicht ausreichend ausgeglichen werden."

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Eine dritte, 'offene' Wettkampfklasse für trans, inter und nicht-binäre Personen?

Gleichzeitig weist Zacher jedoch darauf hin, dass die Relevanz dieses Vorteils stark von der jeweiligen Sportart abhängig sein dürfte. Die Annahme liegt nahe, dass diese physiologischen Vorteile beispielsweise bei kraft- und schnellkraftabhängigen Sportarten stärker ins Gewicht fallen als im Kontext von technisch geprägten oder Ausdauersportarten.

Dennoch wird an diesen wissenschaftlichen Forschungsstand gerne die große, wenn auch etwas zugespitzte, Frage angeknüpft, ob Fairness – im Sinne vergleichbarer körperlicher Voraussetzungen – und Inklusion im Sport miteinander vereinbar sind.

Eine Frage, die, auch Csonka zufolge, nicht einfach zu beantworten ist. "Die Teilhabe am Sport ist absolut notwendig und muss gewährleistet werden. Wie diese Teilhabe am Ende aussehen kann – um auch die Fragen der Gerechtigkeit und Chancengleichheit nicht ad acta zu legen, sondern mitzudenken – ist ein Prozess, den wir jetzt gestartet haben. Es ist wichtig, alle Seiten zu hören und einzubinden. Es sollte unser Ziel sein, dass alle gemeinsam Sport treiben können."

Gerade im Breitensport sollte die Entwicklung zu mehr gemischten Teams und Angeboten gehen, meint Schälicke. Von einer dritten, 'offenen' Wettkampfklasse für trans, inter und nicht-binäre Personen hält Schälicke dagegen nicht viel. Stattdessen sollte die Zuordnung in eine Kategorie in Übereinstimmung mit der eigenen Geschlechtsidentität erfolgen. Es sei nichts anderes als "ein Menschenrechtsverstoß, Personen entgegen ihrer Geschlechtsidentität in eine dritte Klasse abzuschieben und als 'nicht richtige' Frauen zu stigmatisieren." Zumal Schälicke auf die Folgen einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie, der sich trans-weibliche Personen unterziehen, verweist. Die Einnahme von Östrogenen – weiblichen Sexualhormonen – würde etwa mit einem erheblichen Leistungsabfall einhergehen. Dadurch sei, zumindest im Breitensport, eine Vergleichbarkeit gewährleistet. Aber: "Im Leistungssport muss sich die Studiensituation verbessern. Es braucht noch viel mehr Forschung."

Die zunehmende Öffnung des Sports für mehr Inklusion, Vielfalt und Akzeptanz bezeichnet Schälicke als einen Prozess, "den ich als positiv wahrnehme." Nichtsdestotrotz berichtet Schälicke von Diskriminierungen und trans-feindlichen Erfahrungen – gerade auch im Sport-Kontext. "Es ist wichtig, eine kritische Masse zu finden, die offen für Akzeptanz ist. Es gibt Menschen, die wir nicht mehr abholen können. Wir sehen vermehrt Angriffe von rechts."

Auch Csonka zufolge ist es essenziell, "in die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit zu gehen. Für die meisten Menschen, die sich mit diesem Thema noch nie beschäftigt haben, ist es erstmal fremd und sie haben Angst vor dem Fremden, was ein typisches Phänomen der Diskriminierung ist."

Doch ebenso möchte Csonka klarstellen: "Den Cis-Frauen soll der Frauen-Sport nicht weggenommen werden. Aber trans Frauen sind nun mal auch Frauen - und wir müssen eine Lösung finden, den Sport gemeinsam zu denken."

Beitrag von Anton Fahl

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