50 Tage bis zu den Special Olympics - Wie inklusiv sind Berlins Sportstätten?

Fr 28.04.23 | 06:29 Uhr | Von Marc Schwitzky
Zwei Rennrollstuhlfahrer konkurrieren miteinander (Foto: IMAGO / Beautiful Sports)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.04.2023 | Marc Schwitzky | Bild: IMAGO / Beautiful Sports

Am 17. Juni beginnen die Special Olympics World Games in Berlin. Für die Stadt ist es eine Chance, sich als inklusive Sportmetropole zu präsentieren. Ein Blick auf Berlins Sportstätten zeigt allerdings, dass es noch ein langer Weg zu echter Inklusion ist. Von Marc Schwitzky

Das DFB-Pokal-Finale, das ISTAF, die Basketball-EM im vergangenen Jahr, der Berlin- Marathon, zahlreiche Mannschaften in den ersten Profi-Ligen vielerlei Sportarten, über 700.000 Sporttreibende in rund 2.500 Vereinen – es lässt sich mit Leichtigkeit aufzeigen, dass Berlin auch in Sachen Sport eine echte Metropole ist.

In exakt 50 Tagen kann sich die Stadt eine weitere große Sportveranstaltung auf die Fahne schreiben: Vom 17. bis 25. Juni finden die Special Olympics World Games statt – erstmals in Berlin, erstmals in Deutschland. 7.000 Athlet:innen, 26 Sportarten, 190 Delegationen, 20.000 freiwillige Helfende – ein wahres Großereignis, das als Scheinwerfer Licht auf die Inklusionsentwicklung Berlins wirft.

Wie steht es 2023 im Blickwinkel der Inklusion um Berlins Sportstätten? Welche nachhaltigen Pläne hat die Stadt? Und inwieweit können die Special Olympics ein wichtiger Impuls sein? Eine Bestandsaufnahme.

"Noch sehr viel Luft nach oben"

2009 trat in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Seitdem ist auch der organisierte Sport aufgefordert, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am Sport uneingeschränkt zu ermöglichen. "Dafür, dass das 14 Jahre her ist, würde ich sagen, dass es in der Umsetzung noch sehr viel Luft nach oben gibt", sagt Tim Tschauder. Er ist Inklusionsmanager des Landessportbunds Berlin – eine 2021 geschaffene Schnittstelle zur nachhaltigen Förderung inklusiver Strukturen.

Tschauder erklärt: "Die Schwierigkeit liegt darin, dass die UN-Konvention nicht einklagbar ist. Deutschland verpflichtet sich zwar dazu, aber wenn jemand das nicht tut, kann er/sie nicht anhand der Konvention verklagt werden. Aber es ist ja nicht so, als ob es nicht andere Gesetze gäbe." Zu nennen sind hierbei auszugsweise das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sowie das Bundesteilhabegesetz (BHG).

Trotz der breiten Gesetzesgrundlage und der ratifizierten UN-Konvention kann die Berliner Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport auf rbb-Anfrage nicht eindeutig beantworten, wie viele inklusive Sportstätten es mittlerweile in der Stadt gibt, "da Inklusion in der konkreten baulichen Ausgestaltung unterschiedlich gestaltet werden kann". Eine ungefähre Einschätzung gibt es auch nicht.

Das Problem mit der DIN 18040

Wirklich inklusiv dürfte bislang wohl keine einzige Berliner Sportstätte sein, geht es nach dem Landessportbund Berlin. "Es gibt bei der Barrierefreiheit von Sportstätten ein ganz großes Problem", so Tim Tschauder. Die 2010 eingeführte DIN 18040 ist die Norm für barrierefreies Bauen in Deutschland und damit der zentrale Maßstab für Architekten und Bauherren bei der Errichtung neuer Sportstätten. Diese taugt laut Tschauder jedoch nichts: "Es werden in Anführungszeichen barrierefreie Sportstätten gebaut, die sind aber kein bisschen barrierefrei. Diese DIN ist zu alt, zu schwach - sie berücksichtigt ganz viele Aspekte einfach nicht."

Ein eindrückliches Beispiel sei die neu errichtete Typensporthalle für Inklusion in Spandau. Sie ist die erste ihrer Art und wurde von Tschauder mitsamt Expert:innen begutachtet. "In der gesamten Halle gibt es nichts, was einer blinden Person für die Orientierung hilft: keine Handleitplanken an den Wänden, keine Brailleschrift an Türen oder dem Fahrstuhl, keine Riffellinien auf dem Boden. Das ist laut DIN allerdings barrierefrei", kritisiert er. "Als wir damals mit unserem Netzwerk aus unterschiedlichsten Bereichen des inklusiven Sports damals durch jene Halle gelaufen sind, hatten wir am Ende eine 13-seitige Mängelliste." Laut Senat würden die Anmerkungen nun umgesetzt werden.

"Niemand hat das Geld, alle Berliner Sportstätten auf Vordermann zu bringen"

Tschauder könne verstehen, dass Bauplanungen bei ihren Vorhaben auf die unzureichende DIN-Norm verweisen. "Deshalb ist es unser ganz starkes Anliegen, dass unser Kriterienkatalog von Anfang an mit einbezogen wird." Im Juni 2021 war der "Kriterienkatalog für zukünftige inklusiv nutzbare Sportbereiche" des Netzwerk Sport & Inklusion Berlin veröffentlicht worden, demnächst folgt eine aktualisierte, deutlich detailliertere Version. "Wenn man von Anfang an barrierefrei baut, ist das erheblich günstiger als es im Nachgang nachrüsten zu müssen", argumentiert Tschauder.

Geld ist in der Stadt Berlin ohnehin ein heikles Thema. Auf einen Schlag gleich mehrere inklusive Sportstätten aus dem Boden zu stampfen, ist laut Tschauder nicht möglich. "Es ist oft alte Bausubstanz, wo sich nicht mehr viel machen lässt und man sich selbst zu helfen wissen muss. Niemand hat das Geld, alle Berliner Sportstätten auf Vordermann zu bringen." Deshalb sei man sehr um die Neubauten und Sanierungen bemüht. "Die stehen dann ja 30, 40, 50 Jahre. Natürlich wünschen wir uns, dass sämtliche Sportanlagen inklusiv wären, aber das ist eine ganz schöne Mammutaufgabe."

Allein der Umbau des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks zur vollständig inklusiv nutzbaren Sportanlage wird laut der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport voraussichtlich 240 Millionen Euro kosten. Darüber hinaus entstehen "derzeit an vielen Standorten neue Sporthallen, welche grundsätzlich mindestens schwellenarm sind."

Koalitionsvertrag sieht zukünftig zwei inklusive Sportstätten pro Bezirk vor

Sowohl der letzte als auch der neue Koalitionsvertrag der Berliner Regierung sehen vor, dass es zukünftig mindestens zwei vollständig inklusive Sportstätten pro Bezirk geben soll. Die Höhe des dafür benötigten Budgets ist nicht bekannt. Tschauder zufolge ist dieses Ziel zumindest mittel- bis langfristig realistisch. Seit Februar 2022 arbeiten mehrere Senatsverwaltungen und Expert:innen aus unter anderem Architektur und Bauplanung an einem Bedarfsprogramm, welches auch den LSP-Kriterienkatalog berücksichtigen wird. Sobald jenes Programm auf den Weg gebracht wird, können die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag aktiv angegangen werden.

"Der Koalitionsvertrag ist erst einmal eine klare Ansage", sagt Tschauder. "Das heißt aber noch lange nicht, dass Sachen umgesetzt werden, da es ein sehr langer Prozess ist." Grund dafür sei auch, dass es mit dem Berliner Senat und den einzelnen Bezirksverwaltungen gleich mehrere Ansprechpartner gibt. "In der Berliner Bürokratie gibt es zu viele Köche. Daher ist es schon nötig, dass wir immer dranbleiben", merkt er an.

Warum weiße Schilder ein Problem sein können

Die Organisation der Special Olympics World Games zeigt selbst, wie eine produktive Zusammenarbeit mit Betroffenen zu stärkerer Inklusion führen kann. "Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, auch eine Kommunikation von Athleten für Athleten zu führen. Uns ist wichtig, die Athleten stark einzubinden", erklärt Anne Hohmann, seit 2020 Direktorin für Marketing und Kommunikation der Spiele. Hohmann ist zusätzlich für die Wegeführung und Beschilderung der Special Olympics verantwortlich. In diesem Bereich ginge es vor allem um niedrigschwellige Verständlichkeit, leichte Sprache und zurückhaltende Gestaltung.

Wie leicht hundertprozentige Barrierefreiheit dabei verfehlt werden kann, erklärt Hohmann anhand eines Beispiels. "Wir hatten eine Wegeführung auf dunklem Lila mit weißer Schrift geschrieben, weil der Kontrast sehr hoch ist. Wir haben dann die Rückmeldung bekommen, dass Menschen mit geistiger Einschränkung Probleme haben können, auf dunklem Grund zu lesen und man sich eine helle Grundfarbe in der Wegeführung wünscht", so Hohmann. Das habe zunächst Bedenken ausgelöst, weil weiße Schilder bei Sonnenschein kaum zu erkennen sind und es an Veranstaltungsorten viele weiße Wände gibt, mit denen die Schilder visuell verschmelzen. "Am Ende haben wir eine Wegeführung entwickelt, bei dem das Kernelement – die Schrift – auf weißem Grund steht, wir rundherum aber mit vielen Farben arbeiten, sodass man die Schilder auf weißen Wänden erkennt." Ein gelungener Kompromiss.

Die Special Olympics als Impulsgeber?

Es sind Beispiele wie diese, die zeigen, dass ein Weltereignis wie die Special Olympics große, geballte Aufmerksamkeit für das Thema Inklusion schaffen kann. Die neue Berliner Regierung erhofft sich laut Koalitionsvertrag einen "nachhaltigen Effekt der Weltspiele". Auch Special-Mitorganisatorin Hohmann wünscht sich, dass durch die Veranstaltung Barrierefreiheit in den Köpfen bleibt. "Ich hoffe, dass solche Impulse in der Sportstadt Berlin aufgenommen werden. In Bezug auf die Wegeführung wollen wir ein gutes Vorbild sein und Fachwissen schaffen, womöglich auch Icons hinterlassen, die für weitere Veranstaltungen nützlich sind."

"Warum ist Inklusion wichtig? Kommt zu den Special Olympics, dort kriegt ihr die Antwort", erklärt Tschauder. "Dort stellt man fest, wie wichtig Sport ist - für alle Menschen, speziell aber für die mit Behinderungen. Es macht gesund und schafft Selbstbewusstsein. Dass wir weniger Menschen mit Behinderung im Sport sehen, liegt nicht daran, dass sie keinen machen, sondern eben an Barrieren."

Barrieren, die in Berlin zukünftig immer weiter abgebaut werden sollen. Womöglich tragen die in 50 Tagen stattfindenden Special Olympics World Games bereits einen Teil dazu bei.

Sendung: rbb24, 28.04.2023, 18 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

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