Hockey-Nationalspieler Martin Häner - Im olympischen Dilemma

Do 23.04.20 | 10:27 Uhr | Von Johannes Mohren
Martin Häner im Trikot der deutschen Hockey-Nationalmannschft. / imago images/Hartenfelser
Bild: imago images/Hartenfelser

Für Martin Häner sollten die Olympischen Spiele 2020 krönender Abschluss der Hockey-Karriere werden. Dafür nahm der Berliner viel in Kauf, trainierte neben seinem Job als Assistenz-Arzt, sah sein Kind kaum. Nun steckt er im Dilemma. Von Johannes Mohren

Kaputte Kreuzbänder bekommt Dr. Martin Häner derzeit kaum auf den OP-Tisch - und das, obwohl sie sein medizinisches Spezialgebiet sind. "Die zählen ja als geplante Operationen, die man nicht sofort versorgen muss", sagt der 31-Jährige. Das Programm sei "aktuell schon sehr reduziert". Drei bis vier OP-Säle füllt die Orthopädie und Unfallchirurgie des Martin-Luther-Krankenhauses in Berlin-Schmargendorf normalerweise - die Abteilung, in der Häner als Assistenz-Arzt arbeitet. Nun werden lediglich noch die absoluten Notfälle in einem operiert.

Die Experten für Verletzungen des Bewegungsapparates wurden mit der inneren Medizin vertraut gemacht. Sie helfen in der Notaufnahme und Erstversorgung von Patienten mit Corona-Verdacht. Das mache aus rationaler Sicht Sinn, sagt Häner, "aber es ist natürlich nicht das, was man sich gewünscht hat."

Überhaupt sind seine Pläne über den Haufen geworfen. Die Krise trifft ihn doppelt - denn sein sportliches Spezialgebiet ist Hockey. 2012 gewann er mit der Nationalmannschaft Gold bei den Olympischen Spielen in London. Der Ziel für den Sommer war klar: Dieser Triumph sollte in Tokio nochmal wiederholt werden.

"Weiß noch nicht, wie es weitergeht"

Das war auch Häners großer Traum. Und es wäre gleichzeitig sein perfekter Abschied gewesen. Die ganze Lebensplanung hatte er darauf ausgerichtet, noch einmal bei den Olympischen Spielen dabeizusein, um dann - nach vielen Jahren in der Nationalmannschaft und mehr als 250 Länderspielen - seine internationale Karriere zu beenden. Sein Vor-Corona-Alltag war vollgepackt: Oft verließ er früh um 7 Uhr das Haus in Richtung Krankenhaus und kam manchmal erst nach 22 Uhr vom Training zurück. Rund 100 Tage im Jahr war er zudem auf Reisen. Seinen einjährigen Sohn sah er "extrem wenig".

Es war der 24. März - der Tag, an dem das sportliche Großereignis auf den Sommer 2021 verschoben wurde - der nun für die große olympische Dilemma bei Häner sorgt. Auch gut vier Wochen danach befindet es sich noch im Findungsprozess. Er sagt: "Ich bin ehrlich gesagt nicht so weit, sagen zu können, wie es weitergeht." Und das, obwohl die Nachricht schon Ende März nicht überraschend kam - gerade für den Assistenz-Arzt Dr. Häner. "Es gab noch so einen ganz kleinen Funken Hoffnung, dass es doch stattfinden kann. Aber eigentlich war es mir schon bewusst, dass irgendwann die Absage kommen wird." Leichter macht es diese Vorahnung nicht.

Assistenz-Arzt, Hockey-Spieler, Vater

Häner weiß, dass er mit seiner Situation nicht alleine ist. Dass es - ganz im Gegenteil - eine Zeit ist, in der bei vielen feste Pläne ins Wanken gebracht werden. Dass die Dilemmas bei anderen zwar vielleicht nicht olympisch sind, aber deshalb keineswegs kleiner. "Es betrifft nicht nur mich im Sport. Es gibt viele Menschen, die Lebensveränderungen haben und womöglich noch schlimmer betroffen sind, weil es um existenzielle Probleme geht", sagt der 31-Jährige.

Er selbst muss nun entscheiden, ob er noch ein Jahr dranhängt. Und dabei als Assistenz-Arzt, als Sportler und vor allem auch als junger Familienvater gegeneinander abwägen, was nur schwer abzuwägen ist. Im Wissen, dass es eine Entscheidung ohne Opfer wohl nicht geben wird. Immerhin: Ein paar Signale gibt es bereits. Vom Arbeitgeber, bei dem Häner wegen der Trainingszeiten nur in der Frühschicht eingeteilt ist: Er würde das ein weiteres Jahr mittragen. Und vom Hockey-Bundestrainer Kais al Saadi: Dieser hätte den Berliner sehr gerne noch dabei.

Rücktrittsgedanken schon nach der WM

Bleibt also die dritte Variable, die gleichzeitig die wichtigste und die komplizierteste ist. "Die Familie ist der ausschlaggebende Punkt", sagt Häner. Er weiß, was er ihr mit seiner Dreifach-Belastung in der Vergangenheit bereits aufgebürdet hat. Schon nach der Weltmeisterschaft Ende 2018 stand das Ende seiner Karriere in der Nationalmannschaft im Raum. Damals machte der 31-Jährige noch einmal weiter. Immer in dem Wissen: Es sind nur eineinhalb Jahre - und nach den Olympischen Spielen ist im Spätsommer 2020 endgültig Schluss. 

"Es war klar, dass ich das nicht ewig machen kann. Gerade jetzt auch noch mit Kind. Ein Jahr ging das vielleicht, aber viel länger ist es für einen persönlich, aber auch für die Familie nicht wirklich ratsam", sagt der Berliner. Wenn man mit Häner spricht, spürt man seine Nachdenklichkeit. Das Ringen in ihm. "Gerade jetzt, wo ich mal nicht so viel weg bin, merke ich auch, wie sehr mir mein Kind sonst fehlt und wie schön es ist, wenn man da ist", sagt er - und: "Ein Jahr ist in der Entwicklung eines kleinen Kindes eben doch sehr viel." 

Hockey-Bundesliga pausiert bis mindestens Ende Juli

Aktuell trainiert Häner erst einmal weiter. Zumindest so gut es eben geht. Mit seiner Vereinsmannschaft darf er nicht aufs Feld. Der Berliner HC ist in der Zwangspause - und die Hockey-Bundesliga ohnehin bis Ende Juli unterbrochen. "Da kann man natürlich nicht extrem viel machen", sagt Häner. Wer hört, was er trotzdem noch tut, kann erahnen, wie der eigentliche Alltag aussieht. Zwei Mal Hockey- und zwei Mal Krafttraining stehen aktuell unter der Woche auf dem Programm, am Wochenende geht es laufen. "So mache ich trotzdem jeden Tag etwas, aber sehe mein Kind noch, bevor es ins Bett geht", sagt er. 

Ganz alleine muss er derweil nicht ackern. Gemeinsame Übungseinheiten mit den Athleten des Olympiakaders sind erlaubt. So sind es in Berlin mit Häner, Martin Zwicker und Charlotte Stapenhorst, das sich zusammen fithalten, sprich: Hockey-Training zu dritt - und ohne Körperkontakt. "Für das, was man eigentlich braucht, um auf dem Top-Niveau zu spielen, müsste man zumindest in ein bisschen größeren Gruppen trainieren. Das fehlt auf jeden Fall. Und es ist als Vorbereitung natürlich nicht das Optimum - auch wenn die Olympischen Spiele jetzt erst im nächsten Jahr sind."

Nicht noch ein Jahr "umsonst verschwenden"

Mit seiner endgültigen Entscheidung will er noch warten. Einen genauen Zeitpunkt habe er sich nicht gesetzt. Es sei noch sehr vage - einfach, weil gerade alles sehr vage sei. Inklusive des Termins für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr. "Ganz realistisch gesehen, kann ich mir - sollte es bis dahin keinen Impfstoff geben - auch nicht vorstellen, dass sie stattfinden können. Da habe ich zumindest noch Fragezeichen", sagt Häner. Es ist auch der Mediziner, der da aus aus dem Hockey-Olympiasieger spricht.

Es macht seine Situation nicht einfacher. Weil selbst, wenn er sich noch zwölf Monate durch die Dreifach-Belastung kämpfen sollte, der Traum von Tokio nicht garantiert ist. "Das sind Themen, mit denen ich mich beschäftige: jetzt weiterzumachen und dann womöglich in der gleichen Position zu stehen, weil die Spiele wieder verschoben werden. Ich möchte nicht ein Jahr umsonst verschwenden", sagt der Berliner. Und so wird er wohl vorerst noch ein bisschen suchen müssen - nach einem Ausweg aus seinem ziemlich verzwickten olympischen Dilemma.

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Beitrag von Johannes Mohren

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