Interview | Neue Corona-Varianten - "Das Virus wird jahrelang bleiben und sich ständig verändern"
Corona war fast vergessen, nun nehmen die Erkrankungen wieder zu. Gleichzeitig gibt es seit Montag einen Impfstoff, der besser gegen neue Virusvarianten schützen soll. Die Mikrobiologin Heidrun Peltroche rät bestimmten Menschen, sich impfen zu lassen.
rbb|24: Frau Peltroche, über Corona wurde im Sommer kaum noch gesprochen, seit einigen Wochen steigen deutschlandweit die Infektionszahlen wieder leicht an. Was erwartet uns nach ihrer Einschätzung im Herbst?
Heidrun Peltroche: Tatsache ist, dass jeder zweite Bundesbürger Corona hatte. Wir haben eine ganz gute Durchimpfung erreicht. Tatsache ist aber auch, dass der Impfstoff nicht das geboten hat, was wir uns gewünscht hätten, nämlich dass er wirklich vor einer Infektion schützt. Somit werden sich Menschen wieder infizieren, weil der Immunschutz nachlässt.
Man kann jetzt nur aufrufen, sich seine Basis-Immunität zu besorgen. Das heißt, dass man dreimal immunisiert gewesen sein muss. Eins davon kann eine Infektion gewesen sein. Das Virus ist selbstverständlich noch da. Das wird auch jahrelang so bleiben und das Virus wird sich ständig verändern. Man muss jetzt nicht panisch werden. Wir müssen uns einfach klar sein, dass wir durch die Maßnahmen, die wir haben - die Impfung und den Atemschutz - diese Verbreitung abschwächen und dafür sorgen, dass nicht so viele Menschen ins Krankenhaus kommen, schwer krank werden oder sogar daran sterben.
Wären Sie für eine generelle Wiedereinfrührung der Maskenpflicht?
Ich glaube, dass die meisten Bundesbürger Corona-Profis geworden sind und jeder weiß, wann es geschickt ist, eine Maske zu tragen oder nicht. Hier im Krankenhaus machen wir das bei jeder Atemwegsinfektion, wenn das Personal Symptome hat. Ich glaube, so ähnlich sollte man sich auch in der breiten Bevölkerung verhalten, wenn man weiß, dass man wieder in geschlossene Räume geht und dann noch an Veranstaltungen teilnimmt. Atemschutz ist eine sehr wirksame Maßnahme. Aber generell sehe ich das im Moment nicht.
Lässt sich die Rolle des Coronavirus überhaupt einschätzen, wenn nicht mehr getestet wird?
In anderen Ländern wird noch viel mehr getestet. Dänemark hat eine exzellente Abwasserüberwachung, in Amerika wird auch noch mehr getestet. Ich selber bedauere, dass es bei uns nicht mehr so im Vordergrund steht. Ich wüsste schon gerne, welche Viren auch hier im Krankenhaus die kleinen Ausbrüche verursacht haben, die wir schon hatten. Aber ehrlicherweise muss man sich auch überlegen, was man an finanziellen Mitteln in die Hand nehmen muss, um das alles zu tun und welchen Gewinn man davon hat.
Ich denke, man sollte diese Variantenidentifizierung Profiinstituten überlassen, die dann auch Stichproben machen. Ich finde auch das Abwassermonitoring gar nicht so schlecht - aber in dem Ausmaß müssen wir nicht testen. Das heißt, wir werden immer ein bisschen im Blindflug sein.
Seit Montag gibt es einen neuen, angepassten Impfstoff in den Apotheken, und damit in den Arztpraxen. Deckt er alle neuen Virusvarianten ab?
Diese neuen Impfstoffe sind angepasste Impfstoffe an spezielle Omikron-Varianten. Das ist wie der Lauf zwischen Hase und Igel. Wir denken immer, wir könnten das Rennen gewinnen. Das werden wir nicht gewinnen. Die Evolution ist da doch ein bisschen schneller. Wir werden immer Impfstoffe haben, die ein bisschen hinterherhinken, wenn man in der Impfstoffherstellung nicht andere Wege findet und wir weiterhin auf die variablen Teile des Virus schauen.
Dieser neue XBB.1.5 ist ein Impfstoff gegen eine Corona-Variante, die quasi auch eine Variante aus zwei Varianten ist, die sich in Zellen getroffen haben und dann gegenseitig genetisches Material ausgetauscht haben. Der leistet natürlich etwas. Der leistet, dass wir nicht schwer erkranken, dass wir nicht ins Krankenhaus müssen und wird auch sicherlich die Sterblichkeit absolut bei älteren Menschen verringern.
Aber es ist leider doch nicht so gezielt, wie wir uns das wünschen. Hier rede ich gerade von der Antikörperproduktion, die man braucht, um wirklich die Infektion zu verhindern. Aber es gibt auch noch die zelluläre Immunabwehr. Es lohnt sich immer, sie ein bisschen auf Trab zu halten, zu stimulieren, damit die bei einer Infektion schnell anspringt. Antikörper verschwinden, aber die zelluläre Immunabwehr lernt. Die lernt auch durch Impfstoff, lernt durch Infektion. Die lernt auch, weil sie manchmal beim Lernen Fehler macht. Diese Fehler sind gut, weil sie dazu führen, dass die zelluläre Abwehr sogar auf was vorbereitet ist, was es vielleicht noch gar nicht gibt.
Wer sollte sich jetzt impfen lassen?
Ich halte es für wichtig, dass Immungesunde ihre Basis-Immunität haben. Bei gesunden Säuglingen, Kleinkindern und Schülern gibt es eigentlich gar keine Impfempfehlung mehr von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut. Aber wenn Menschen Erkrankungen haben, Grunderkrankungen in den Atemwegen, Herzen, Kreislauf, eine Tumorerkrankung, Trisomie 21 oder wenn man Medikamente nimmt, die das Immunsystem runterdrücken, sollte man sich impfen lassen.
Dann gibt es noch die beruflichen Indikationen. Bei jemandem, der im Gesundheitswesen oder in Pflegewohnheimen arbeitet und ständig Kontakt hat, bietet es sich an, sich impfen zu lassen und mal zu schauen, wann das letzte Ereignis war. Diese Auffrischungsimpfungen sollte man frühestens sechs Monate, spätestens zwölf Monate nach dem letzten Ereignis machen.
Die letzten Impfungen sind bei den meisten schon eine Weile her. Gibt es noch so etwas wie eine Herdenimmunität?
Die Herde ist immer schwierig zu definieren. Es gibt eine Form von Immunstimulierung in der Bevölkerung, so will ich es mal nennen. Das hat letztendlich auch diese Pandemie gestoppt. Herdenimmunität wäre etwas ganz anderes. Das würde heißen, dass keiner mehr krank wird. Aber es werden viele krank werden. Und es gibt ja auch noch andere Atemwegsinfektions-Erreger. Das ist auch erstmal der "normale" Gang, das ist zu erwarten.
Wieviel Überraschungen uns das Virus noch bietet, das ist die spannende Frage. Denn bei den vorhandenen Varianten sind die Krankheitsverläufe nicht so schwer. Sie treffen so ein bisschen auf unseren vorhandenen Immunschutz. Was das Virus aber noch zu bieten hat, ob noch Varianten entstehen, die wieder schwerwiegender krank machen und deren Immunflucht noch höher ist, kann, glaube ich, keiner so wirklich vorhersagen.
Wie schätzen Sie Corona aktuell ein? Reiht es sich inzwischen in die Liste der "normalen" Krankheiten ein?
Wir haben im Winter immer Atemwegsinfektionssaison gehabt. Wir haben viele Viren gehabt. Auch bei Influenza ist der Impfstoff nicht das, was man sich wünschen würde. Die Verhinderung einer Erkrankung leistete auch der nicht. Aber er leistet genug, damit wir nicht massive Ausbrüche in der Bevölkerung bekommen und die Leute nicht schwer krank werden. Wir haben jetzt auch noch einen RSV-Impfstoff bekommen, also für das Respiratorische Synzytial-Virus. Da wird also etwas passieren.
Die Erwartungshaltung darf nur nicht falsch sein. Wenn die Leute sagen: Die Impfung dient meinem Selbstschutz und Selbstschutz bedeutet für mich, ich darf nicht krank werden, ist es eine falsche Erwartungshaltung. Der Selbstschutz liegt in dem weniger Abschätzbaren und vielleicht auch schwer Messbareren, dass es nicht so schlimm wird.
Dass es nicht so schlimm ist und möglicherweise auch nicht so schlimm wird, merken wir alle. Viele Menschen haben jetzt schon wieder eine Infektion mit einer Omikron-Variante. Manche sind krank, aber das geht relativ schnell vorbei - kommt schnell, geht schnell vorbei, anders als früher, als die Inkubationszeit 14 Tage war. Wenn man schon vorimmunisiert ist, liegt die Inkubationszeit bei zwei bis maximal vier Tagen. Dann ist es auch wieder gut, wenn es vorbei ist.
Wie sollten wir uns denn jetzt verhalten, wenn auch nur der Verdacht einer Infektion besteht?
Im Krankenhaus bieten wir weiterhin Antigen-Schnelltests an. Die Frage, die man sich ehrlicherweise stellen muss, ist: Ist es denn jetzt so wichtig zu wissen, welcher Atemwegsinfektions-Erreger das ist? Wichtig ist es sicherlich bei Ausbrüchen im Krankenhaus, vielleicht im Pflegeheim. Aber ich glaube nicht, dass der Einzelne, der sich infiziert, dringend nach der Diagnostik suchen muss, solange es ihm gut geht.
Er sollte vor allen Dingen daran denken, dass er mit Atemschutz andere nicht infiziert. Also diese, ich würde schon sagen, übertriebene oder fast übertriebene Diagnostik, die wir in Zeiten von Corona erlebt haben, ist eigentlich obsolet. Das wird man so nicht mehr machen.
Frau Peltroche, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Florian Ludwig für Antenne Brandenburg. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung.
Sendung: Antenne Brandenburg, 18.09.2023, 14:10 Uhr