"Praxis in Not" - Viele Arztpraxen in Berlin und Brandenburg zwischen den Jahren geschlossen

Mi 27.12.23 | 09:49 Uhr
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Symbolbild: Eine Ärztin untersucht den Patienten. (Quelle: dpa/Christin Klose)
Video: rbb24 Abendschau | 27.12.2023 | Thomas Rostek | Bild: dpa/Christin Klose

Ein bundesweiter Ärzteprotest sorgt vielerorts für geschlossenen Praxen. Viele Patientinnen und Patienten müssen sich wohl bis nach Neujahr gedulden - Notfälle ausgenommen. Kritik kommt vom Bundesgesundheitsminister.

  • Vom 27. bis 29. Dezember bleiben viele Arztpraxen in Berlin und Brandenburg geschlossen
  • Urlaubsbedingte Schließungen und die Protestaktion "Praxis in Not"
  • Vom Virchowbund initiierte Aktion soll auf prekäre Lage der Medizinischen Fachangestellten (MFA) aufmerksam machen

In Berlin und Brandenburg könnten nach Weihnachten bis ins neue Jahr zahlreiche Arztpraxen geschlossen bleiben. Zusätzlich zu urlaubsbedingten Schließungen hat der Virchowbund zur bundesweiten Protestaktion "Praxis in Not" aufgerufen. Er ist der Interessenverband von etwa 144.000 niedergelassenen und ambulanten Haus- und Fachärzten. Nach eigenen Angaben rechnet er damit, dass sich etwa 70 Prozent der Praxen an dem Protest beteiligen könnten.

Der Vorsitzende des Virchowbunds, Dirk Heinrich, riet Patientinnen und Patienten vom Arztbesuch ab. Insgesamt unterstützen mehr als 20 Verbände die Aktion. Die Ärzte waren dazu aufgerufen worden, ihre Patienten vorab zu informieren, ob sie ihre Praxis schließen. Mit der Protestaktion will sich der Virchowbund für die Medizinischen Fachangestellten einsetzen.

Arztpraxen, die sich beteiligen sollten im Vorfeld auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst verweisen und eine Vertretung für dringende Notfälle nennen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert die Protestaktion. Ihr Vorstand Eugen Brysch sagte, die geschlossenen Praxen würden vor allem alte und schwache Menschen treffen.

Lauterbach: kein Verständnis für Proteste über Feiertage

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Vorfeld den Zeitpunkt kritisiert. Er habe zwar Verständnis für die Proteste, aber nicht dafür, dass über die Feiertage gestreikt werde, sagte Lauterbach am Donnerstag dem rbb. Jetzt wo jeder Zehnte krank sei, die Praxen voll seien und die Menschen die Versorgung bräuchten, dürften die Praxen nicht schließen.

"Wir müssen eine Reform machen. Das ist über viele Jahre nicht gelaufen. Wir haben zu viel Bürokratie in den Praxen. Daran wird jetzt gearbeitet." Als Beispiele nannte Lauterbach die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung, die geplante Einführung elektronischer Rezepte sowie die Abschaffung sogenannter Budgets für Hausärzte. Er will sich im Januar mit Ärzte-Vertretern zu einem Krisengipfel treffen, um über die Überlastung und die Bürokratie zu sprechen.

Im Fokus des Protests: Medizinische Fachangestellte

Die Aktion "Praxis in Not" wird regelmäßig vom Virchowbund initiiert, zum Protest gegen die Gesundheitspolitik der jeweiligen Bundesregierung. Dieses Mal konzentriert sich die Kritik auf den Umgang mit Medizinischen Fachangestellten (MFA).

Ein Arzt oder eine Ärztin sei noch keine Praxis, so der Virchowbund. Am Laufen gehalten werde die nur mit Hilfe ihrer MFA. Sie nähmen nicht nur Termine an und gingen ans Telefon. Sie mäßen Blut, setzten Spritzen, legten Wundverbände an. Und wenn es sein müsse, wischten sie auch mal Erbrochenes auf, führt Dirk Heinrich als Beispiel an, um zu verdeutlichen, dass die Arbeit mit Patientinnen und Patienten fair entlohnt werden müsse.

Mit den Praxisschließungen zwischen den Jahren werden Ärztinnen und Ärzte aufgefordert, sich mit ihnen zu solidarisieren. Die letzte fand am 2. Oktober statt, einem Brückentag. 70 Prozent der Berliner Praxen hätten sich damals an einer Schließung beteiligt, zwischen den Jahren dürften ähnlich viele mitmachen, schätzt Heinrich.

Kritik: Jeder 5. Patient für lau versorgt

Die Kritik des Virchowbunds: Den MFA ist bis heute kein staatlicher Corona-Bonus ausgezahlt worden, anders als Pflegenden und Klinikpersonal.

Den eigentlichen Skandal sieht Heinrich allerdings bei der generell unterschiedlichen Bezahlung von MFA, Pflegenden und Sozialversicherungsfachangestellten. Bei allen würde es sich um dreijährige Lehrberufe im Gesundheitswesen handeln, doch MFA würden seit Jahren schlechter bezahlt. "Wir bezahlen unsere Verwaltung besser als diejenigen, die tatsächlich mit Patienten arbeiten."

Bisher hätten Ärztinnen und Ärzte diese Defizite in vielen Fällen selbst ausgeglichen, sagt Heinrich weiter. Aber auch sie könnten inzwischen Gehaltserhöhungen und andere Boni wie Prämien und Inflationsausgleiche kaum noch zahlen. Denn sie selbst würden darunter leiden, dass 20 Prozent ihrer Arbeit von den Krankenkassen nicht honoriert werd.

"Wenn fünf Patienten kommen, dann wird einer nicht gezahlt. Sie können auch sagen, die letzten zwei Wochen im Quartal arbeiten sie ohne Geld", sagt Heinrich. "Das heißt, sie müssen das Geld für ihre medizinischen Fachangestellten für den Betrieb der Praxen von zu Hause noch mitbringen. Das würde in jeder anderen Branche zu massivsten Streiks führen."

Wir bezahlen unsere Verwaltung besser als diejenigen, die tatsächlich mit Patienten arbeiten.

Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbunds

Spitzenverband der Krankenkassen widerspricht Kritik

Mit den Praxisschließungen soll auf diese Schieflage aufmerksam gemacht werden. Offiziell handelt es sich um keinen Streik, sondern wird offiziell als Urlaub gelabelt. Doch Heinrich hofft, wie er sagt, mit der Protestaktion "Praxis in Not" diesmal größeren Druck auf das Bundesgesundheitsministerium auszuüben. "Wenn die Politik nicht reagiert, wird der Streik im nächsten Jahr eben mal eine ganze Woche gehen."

Der Spitzenverband der Krankenkassen GKV kann den Vorwurf des Virchowbunds nach eigener Aussage nicht verstehen. "Die Zukunft der ambulanten Versorgung sehen wir nicht so düster wie die Vertretungen der Ärztinnen und Ärzte - im Gegenteil", heißt es in einer Stellungnahme an den rbb.

So habe man sich erst im September auf ein Honorarplus von 1,6 Milliarden Euro insgesamt verständigt, die aus den Krankenkassenbeiträgen der Versicherten bezahlt werden müssten. "Faktoren wie steigende Praxiskosten oder die Inflation fließen regelmäßig in die Honorarverhandlungen ein."

Bei den Verhandlungen im September hätten sich beide Seiten auch darauf geeinigt, dass die Lohnentwicklung der MFA bei der nächsten Verhandlung 2024 stärker berücksichtigt wird, sagt GKV-Sprecher Helge Dickau dem rbb.

Virchowbund erwartet volle Praxen im neuen Jahr

So lange will der Virchowbund nicht warten. Die Schließungen versteht er nach eigenen Angaben auch als eine Art Belohnung für die MFA: Wer nicht mehr Geld bekommt, bekommt dann wenigstens frei.

"Im neuen Jahr wird es dann sehr voll sein in den Praxen, durch zu hohe und lange Wartezeiten. Aber das Ganze hat ja den Zweck, die Situation für die Praxen zu verbessern, damit auch für die Patienten", so der Virchowbund-Vorsitzende.

Wohin zwischen den Jahren?

Wer nicht auf einen Praxistermin im neuen Jahr warten kann, sollte zwischen den Jahren - und auch am Wochenende - die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts anrufen - die 116117, online unter 116117.de erreichbar.

In Notfällen sind auf der Webseite der Kassenärztlichen Vereinigung kv-berlin.de die elf Notdienstpraxen der Stadt aufgelistet. Nur in lebensgefährlichen Fällen gilt die 112 - die wirklich nur im lebensbedrohlichen Notfall gewählt werden sollte.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.12.2023, 6 Uhr

43 Kommentare

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  1. 43.

    Es ist achon erstaunlich, was hier für Kommentare über Ärzte abgegeben werden. Der Opa dem eine OP verweigert wird, ohne zu wissen warum. Es gibt da viele Gründe. Und Chris: wieviel Unsinn darf man verbreiten. Alle sind doof, können nichts, nur dein eigenes Spiegelbild wird wohl deinen Ansprüchen gerecht. Die Praxen sind überlaufen, weil nur wenige in der Lage sind auf ihren Körper zu achten und sich selbst zu kurieren. Zivilisationskrankheiten sind auf dem Vormarsch, aber alle jammern.

  2. 41.

    Unsere Grundschule möchte keine Kinder mit Schnupfen in der Schule haben.

  3. 39.

    Und alt sein darf man erst recht nicht. Mein Vater ist 90 und hat einen Leistenbruch. Für eine OP ist er laut Arzt zu alt. Super. Hausärzte die für ihr Patienten arbeiten und nicht nur für Geld, tja....die wenigsten.

  4. 38.

    1. Zwischen Weihnachten und Neujahr sind die Praxen immer zu. Man fühlt keinen Unterschied. Die Aktion verpufft weitestgehend unbemerkt. 2. Alle Ausweichangebote sind immer auf Kassenpatienten ausgelegt. Was machen Privatversicherte zwischen den Feiertagen??? Hängen die in der Rettungsstelle ab? Immerhin sind gefühlt die Hälfte der Berliner Lehrer, Staatsbeamte, Polizisten und Feuerwehrleute, die privat mit Beihilfe versichert sind....

  5. 37.

    Leider muss ich Dir zu Teilen Recht geben.
    Ich habe gerade Antibiotika in zweifacher Art verschrieben bekommen.
    Ohne das Stuhl-, Blut,- oder Urinproben genommen wurden.
    Wie will man da wissen ob man an einem Bakterium o. aber an einem Virus erkrankt ist?

  6. 36.

    Warum dürfen Kinder mit Schnupfen nicht in die Schule? Ist Blödsinn. Eh Sie sich aufregen, habe selbst Kinder. Und sie gehen in die Schule trotz Schnupfen. Kommt Fieber hinzu, ist es ein ganz anderer Fall.

  7. 35.

    Ich freue mich für die Mfa das sie frei haben und die Ärtze tun doch sowieso nichts mehr,verschreiben Tabletten ohne Untersuchung und zeigen maximal 4 stunden am Tag ihre Bereitschaft ihren Patienten vielleicht zu helfen. Aber sie hören nicht hin und die meisten haben ihren Beruf verfehlt. Es ist ein wunder wenn man heute noch einen guten Hausarzt findet. Also von mir aus können die meisten Ärzte für immer streiken.....richtige Ärzte braucht das Land die mit Leib und Seele dabei sind

  8. 34.

    MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) gab es in der DDR unter dem Namen Poliklinik. Die Polikliniken waren wochentags von morgens bis abends geöffnet. Ich glaube sogar samstags bis mittags. Es waren eigentlich alle Fachrichtungen vertreten. Die Einrichtung konnte auch ohne Termin aufgesucht werden. Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass jetzt so getan wird, als wäre das eine neu erfundene Sache.

  9. 33.

    Es geht ja darum, dass dem Arbeitgeber eine Krankschreibung vorgelegt werden muss und nur aus diesem Grund gehe ich bei einem Infektt zum Arzt.

  10. 32.

    Die Kinder dürfen mit Schnupfen nicht in die Schule und müssen deshalb zum Kindearzt um eine Krankschreibung zu bekommen.

  11. 31.

    Selten solch einen Quatsch gelesen. Immer alles auf die Regierung schieben. In den Finger geschnitten, weil abgerutscht, Regierung ist Schuld. Vielleicht mal den eigenen Kopf anstrengen, mal sn die frische Luft gehen, Bewegung, ein Buch lesen mal Handy ausschalten. Meine Tipps, ich bin nicht von der Regierung.

  12. 30.

    Entbürokratisierung nicht nur bei Arztpraxen, sondern in der Wirtschaft allgemein ist dringend erforderlich. Das "Digitale MVZ" mit zentraler Informationsbereitstellung für alle Ärzte muss zeitnah kommen. Auch müssen Digitalisierung und KI, wo immer möglich, umgehend und schnell nicht nur in der Medizin voran getrieben werden. Mit telemedizinischen Angeboten kann eine flächendeckende Gesundheitsversorgung auch im ländlichen Bereich gewährleistet werden. Im medizinischen Bereich müssen durch zentrale Datenspeicherung und Bündelung medizinischer Angebote in MVZ Doppelbehandlungen vermieden werden. Es sollte durch die Gesellschaft ein Grad der medizinischen Grundversorgung diskutiert und definiert werden. Z.B. Behandlungen nach Böller- und Sportunfällen gehören nicht zur gesellschaftlichen Grundversorgung, diese müssen privat bezahlt oder abgesichert werden. Notaufnahmen sind keine Arztpraxen!

  13. 29.

    Das ist aber jetzt nichts neues das Arztpraxen in dem Zeitraum geschlossen bleiben. Hilf dir selbst oder geh in die Rettungsstelle, war schon immer so in dieser Zeit.

  14. 28.

    Immer mehr hausärztliche Kollegen stellen auf Terminbetrieb um. Habe ich auch gemacht und es nie bereut

    Anders geht's heute kaum noch. Viele Patienten kommen wegen jedem Sch.... zu Arzt, obwohl es die gute alte Hausapotheke auch tut. Ich sehe immer öfter, dass die Selbstbehandlung kleiner Wehwehchen heute aus der Mode kommt. Gilt auch für Kinder. Niemand muss wegen einem Schnupfen mit dem Kind zum Kinderarzt. Es gibt genug wirksame Hausmittel. Funktionierte früher auch.

  15. 27.

    Ist denn das „unnormal“? Terminbehandlung an Brückentagen kenne ich überhaupt nicht, ein Drittel der Praxen für Akutfälle verfügbar ist noch zu beanstanden (nochdazu wo sich sich viele Praxen da recht ordentlich um die Information ihrer Patienten gekümmert haben). Und Notfallpraxen etc. - genauso unmöglich wie immer!
    Weiterhin dürften ja wohl viele die bürokratiebedingten Schließungen der Praxen an jedem (!) Quartalsende kennen.
    Macht hier jemand einfach nur Stimmung? Passt gerade?

  16. 26.

    Allgemeinmediziner sind die ersten ärztlichen Anlaufstationen, wenn einer krank ist. Nicht jeder läuft gleich zu einem speziellen Facharzt, dessen Termine lange ausgebucht sind. Hausärzte sind vielfältig ausgebildet, müssen über viele medizinische Fachbereiche gewisse Grundkenntnisse verfügen. Der Fortschritt im ärztlichen Bereich endet nicht, bleibt nicht ewig auf einer Behandlungsstufe. Also wird auch ein Hausarzt, ein Allgemeinmediziner sich weiterbilden und das macht er nicht an den Feiertagen und am Sonntag, wo manche Patienten meinen der Arzt macht schon wieder Urlaub oder er hat einen freien Tag. Ein Hausarzt der bald in Rente geht, macht verständlich keine Fortbildung mehr mit.


  17. 25.

    Tja, Ärzte wollen halt auch nicht mehr arbeiten. In unserer Praxis gibt es 3 Ärztinnen, aber im Schnitt ist immer nur eine da. Alle anderen sind im Urlaub oder haben gerade an diesem Tag frei. Termine gibt es so gut wie gar nicht und wehe man kommt, weil man sich erkältet fühlt. Meine frühere Ärztin hat alleine mehr geschafft. Leider ist sie jetzt in Rente. Verdient hat sie es sich, aber die"arbeitsmoral" der jetzigen Ärztinnen ist nur nervig.

  18. 24.

    „ Er habe zwar Verständnis für die Proteste, aber nicht dafür, dass über die Feiertage gestreikt werde, sagte Lauterbach am Donnerstag dem rbb. Jetzt wo jeder Zehnte krank sei, die Praxen voll seien und die Menschen die Versorgung bräuchten, dürften die Praxen nicht schließen.“
    Das gleiche Argument (nur ohne Feiertage) wäre gekommen wenn es im Januar oder Februar oder…. gewesen wäre.

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