An der Tanke in Brandenburg - "Ich habe Angst, in den Krieg ziehen zu müssen"
Fast jeder kommt mal an der Tanke vorbei. Zwei rbb|24-Reporter sprechen Leute an der Zapfsäule in Brandenburg an und fragen, was sie umtreibt. Heute: eine Ex-Soldatin, die den Zusammenhalt in ihrem Dorf vermisst.
rbb|24 will mit den Gesprächsprotokollen, die "An der Tanke" entstanden sind, Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben die Meinungen der Gesprächspartner wieder.
Mir geht es im Moment super. Ich kann nicht klagen. Was die Krisen in der Welt angeht, die verdränge ich oft einfach. Ich sage mir immer: Irgendwie geht es vorwärts. So lebe ich schon seit Jahren und bin damit eigentlich immer ganz gut gefahren.
Klar, ist es traurig, was alles so passiert - ob Corona, die Wirtschaftskrise, Israel, alles Mögliche - das ist Wahnsinn. Aber man muss ja weiter leben. Meine Familie, mein Freund - die geben mir Kraft. Und: Bekannte, Verwandte, Freundschaften. Dass man zusammenhält und dass man sich Zeit schenkt, Aufmerksamkeit schenkt und miteinander redet.
Ihre Antworten sind zunächst sehr kurz. Je länger sie redet, desto mehr kommt hoch - erst vorsichtig, dann lauter und schneller.
Ich komme nun aus der früheren DDR. Wenn ich jetzt mal alles so Revue passieren lasse, was jetzt ist und was früher war, fand ich es früher schöner. Der Zusammenhalt war größer. Im Dorf - ich bin vor allem bei meiner Omi großgeworden - da konntest du die Türen auflassen. Da kannte jeder jeden. Jeder hat auf jeden aufgepasst.
Da, wo ich jetzt wohne, habe ich auch Glück. Wir kennen uns alle, wir verstehen uns alle. Aber es gibt ja auch Häuser, Mietwohnungen, wo ganz viele Parteien sind, die sich überhaupt nicht verstehen. Jeder stichelt jeden irgendwo an in der Gesellschaft oder in den Straßen alleine schon. Da fand ich doch, dass es in der DDR mehr Zusammenhalt als jetzt gab.
Als sie von ihren Kindern spricht, wird ihre Stimme sanfter und ruhiger. Sie lässt nun mehr Pausen zwischen den Antworten. Ihre Miene wird jetzt ernster.
Du kannst ja nicht mal mehr dein Kind alleine zur Disko loslassen. Wer weiß, wer um die Ecke steht, sage ich mal. Wir sind früher zu Fuß nach Schönermark zur Disko gegangen - und zurück auch wieder, und uns ist nichts passiert. Du hast keine Angst gehabt, nach draußen zu gehen.
Die meisten Kinder können jetzt auch nichts mehr machen. Wenn ich an meine denke - wir wollten eine Bude, ein Baumhaus bauen. Wir haben da bei uns so einen Rodelberg - das sagen wir immer dazu - da kann man im Winter schön rodeln. Die Jugendlichen haben alte Fahrradreifen in die Bäume gehangen und wollten für die Kinder Spielmöglichkeiten bauen - mussten sie aber alle wieder abbauen. Darf man alles nicht mehr. Ist jetzt alles verboten. Das ist traurig so etwas.
Ich würde mir wirklich mehr Sicherheit wünschen für die Kinder. Und dass die Kinder ein glückliches Leben haben. So was, was wir hatten. Das war wirklich einmalig. Dorfkinder haben vielleicht jetzt auch noch ein schönes Leben, aber wenn sie in der Stadt groß werden, wirklich nicht mehr.
Schnell kommt das Gespräch auf die vielen Krisen unserer Zeit. Dass Deutschland nun wieder "kriegstüchtig" werden soll, macht ihr Sorgen. Vor der nächsten Antwort atmet sie tief ein.
Schlimm! Manchmal kann ich nur fünf Minuten Nachrichten schauen und muss wegschalten. Ich war früher selbst bei der Bundeswehr, habe aber aufgehört, weil ich einen Sohn bekommen habe und in den Kosovo sollte. Mir war dann bewusst: Ich müsste auch auf Kinder schießen, wenn die mit einer Waffe vor mir stehen. Das konnte ich nicht mehr mit mir vereinbaren, also bin ich ausgetreten aus der Bundeswehr. Einer meiner Kameraden ist damals verstorben im Kosovo. Der ist über eine Mine gefahren.
Ich fand es gut, als die Bundeswehr noch einberufen hat. Jeder konnte selbst entscheiden, ob er zur Bundeswehr möchte oder nicht. Und die Zivildienstleistenden - sind wir mal ehrlich - die fehlen überall.
Um in den Krieg ziehen zu wollen, dafür muss man wirklich patent sein. Ich war ja auch Wehrsoldatin, aber in den Krieg ziehen, das könnte ich jetzt nicht. Ich habe meine Kinder. Ich bin extra dafür rausgegangen. Ich habe wirklich Angst, in den Krieg ziehen zu müssen. Die Angst ist irgendwo immer da.
Die 49-Jährige hält nur kurz hier an der Tanke, um sich etwas zu trinken zu holen. "Wenn es nicht zu teuer ist", ergänzt sie. Normalerweise leistet sie sich das nicht. Sie scheint stolz zu sein auf ihre Sparsamkeit.
Ich bin da wirklich penibel und drehe jeden Cent um, muss ich sagen. Also, zum Sparen kommt man nicht mehr. Ich habe heute gesagt: Du fährst jetzt hier ran, holst dir noch was zu trinken, weil ich vergessen hatte, was mitzunehmen. Dann mach ich auch mal Abstriche für mich und sage mir: Du musst dir auch mal was gönnen. Aber ansonsten stecke ich viel halt in die Kinder rein und denk an mich selber manchmal gar nicht.
Von der Politik fühle ich mich im Moment gar nicht vertreten. Eigentlich finde ich es traurig, dass man nicht auf die Straße geht und kämpft für seine Ziele. Wenn alle dabei mitmachen würden, auf die Straße zu gehen, ich glaube, dann würde ich auch mitziehen. Anderswo gehen die Leute ja auch auf die Straße. Das würde hier nie passieren, weil sie alle Angst haben.
Damals sind alle auf die Straße gegangen wegen Corona. Da wurden wir - denke ich mal - bestimmt auch verarscht. Egal. Jetzt wird es abgetan als Erkältung. Irgendwie auch ein bisschen komisch. Aber jetzt wünsche ich mir schon, dass man wirklich irgendwas macht gegen die Regierung. Aber es passiert irgendwie nichts.
Das Gespräch führte Jonas Wintermantel, rbb|24