rbb-Podcast "Feld, Wald & Krise" - Folge 7 - Schlitzt die Deiche! Reparaturtipps für Flüsse

Fr 09.09.22 | 17:54 Uhr
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Nach der Umweltkatastrophe an der Oder lohnt es sich, genauer auf die Rolle von Flüssen in der Klimakrise zu schauen. Sie könnten biologische Vielfalt sichern, Wasser in der Landschaft halten und für natürlichen Hochwasserschutz sorgen.

Warmes Niedrigwasser in Staustufen und eine massive Salzeinleitung sorgten Anfang August dafür, dass sich eine giftige Brackwasseralge am Oberlauf der Oder explosionsartig vermehren konnte. Die sogenannte Goldalge greift das Weichgewebe von Fischen und Muscheln an. Die Folge war ein bislang einzigartiges Massensterben dieser Tiere an der Oder. So die Analyse des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, einer Forschungseinrichtung, die seit Jahrzehnten die Oder wissenschaftlich beobachtet.

Im August starben an der Oder massenhaft Fische
Im August starben an der Oder massenhaft Fische | Bild: rbb Presse & Information

Widerstandskraft der Oder ist geschwächt

Helfer sammelten mehr als 300 Tonnen toter Fische von der Wasseroberfläche, ein noch größerer Teil liegt vermutlich auf der Flusssohle und im Ufersaum. Inzwischen haben sich die chemischen Werte der Oder normalisiert. Die ersten Fische sind wieder unterwegs. Das Ökosystem der Oder scheint sich zu erholen. Doch viele Schäden, die im Nahrungsnetz und in den Fortpflanzungsketten der Organismen entstanden, sind in ihren Wirkungen noch gar nicht einzuschätzen. Die Widerstandskraft der Oder ist geschwächt.

So seien beispielsweise die Gefahren durch plötzliche Algenblüten massiv gestiegen, sagt Dr. Christian Wolter, Gewässerökologe am IGB. Ursache sei das massenhafte Sterben von Muscheln. "Für uns ist es jetzt sehr spannend, ob andere Organismen mit einer ähnlichen Effizienz die Rolle der Muscheln als Fraßfeinde der Algen einnehmen können."

Zur Erklärung: Muscheln gelten als wichtige Wasserfilter. Muscheln sind in ihrer Fortpflanzung aber auf gesunde Fischbestände angewiesen. Deren Larven docken an die Körper von Fischen an und werden von ihnen im Fluss verteilt. Die Ausbreitung der Muscheln läuft also dem Wiederaufbau der Fischbestände hinterher.

Eingesetzter Jungstör an der Oder
Eingesetzter Jungstör an der Oder | Bild: dpa/Patrick Pleul

Strukturvielfalt als Rezept

Stellt sich die Frage, wo nach Ansicht der Wissenschaftler ein "Reparaturprogramm" für die Oder ansetzen müsste. Die Forscher setzen dabei weniger auf etwaige Besatzmaßnahmen. Am wichtigsten sei es, dem Fluss eine natürliche Struktur zu geben, sagt Wolters IGB-Kollege Dr. Jörn Geßner.

"Wir brauchen eine Strukturvielfalt im Fluss". Zum Beispiel durch angebundene Nebengewässer, aus denen dann wieder Arten einwandern können, die durch die Vergiftung in der Oder verschwunden sind. Zu dieser Strukturvielfalt gehören Flachwasserzonen, tiefe Kolke, Unterwasserdünen und an das Wasser angebundene Schilfzonen. In diesen unterschiedlichen Lebensräumen finden verschiedene Fische ihre jeweiligen Ruhezonen und Laichplätze.

Buhnenbau am polnischen Oderufer
Buhnenbau am polnischen Oderufer | Bild: Patrick Pleul/dpa

Oderausbau sorgt für Entwässerung

Doch der aktuell laufende Oderausbau sorgt gerade für eine gegenteilige Entwicklung. In einem deutsch-polnischen Verkehrsabkommen war 2015 geregelt worden, dass auf der Grenzoder die meiste Zeit im Jahr eine Fahrtiefe von 1,80 Meter erreicht werden soll. Während auf deutscher Seite die Planungen noch in einem frühen Stadium stecken, werden auf polnischer Seite seit dem Frühjahr Hunderte Buhnen erweitert oder neu gebaut. Das sind Steinschüttungen, die stachelförmig in den Fluss ragen und den Hauptstrom in der Mitte halten sollen. Umweltschützer, aber auch der Brandenburger Umweltminister hatten vergeblich gegen die Arbeiten protestiert und fordern nach wie vor einen Stopp. Ihre Befürchtung: Die Oder wird tiefer, sie fließt schneller ab, der Wasserspiegel sinkt. Das würde dann die umgebende Landschaft noch stärker entwässern.

Oderexperte Christian Wolter
Oderexperte Christian Wolter | Bild: rbb

Tiefenerosion in der Elbe

Ein Blick auf die Elbe scheint diese Befürchtungen zu bestätigen. Im Mittellauf der Elbe sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Buhnen erneuert worden. Maria Lindow vom BUND-Auenzentrum Burg Lenzen berichtet, dass sie zwar die Fahrrinne in der Mitte halten, aber gleichzeitig eine Tiefenerosion befördern. "Studien gehen von 0,5 bis 1 Zentimeter pro Jahr aus. Das führt dazu, dass die Elbe schlechter an ihre Auen angebunden ist und sie seltener überflutet."

Angesichts stark schwankender Wasserstände und sommerlicher Dürreperioden sei die Mittelelbe für die Schifffahrt ungeeignet. Auch die Nachfrage lasse nach: "1991 wurden noch 1,8 Mio. Tonnen Güter transportiert, 2020 nur noch 160.000 – ein Rückgang um 90 Prozent," sagt Maria Lindow. Ihr Wunsch: Den Unterhalt einstellen und die Elbe wieder stärker an ihre Auen anschließen.

Erfolgreicher Deichrückbau

Dieser Effekt wirkt offenbar einer anderen Veränderung entgegen. In der Nähe von Lenzen entstanden ab 2005 rund sechs Kilometer neuer Deich, weit im Hinterland. Der alte Deich am Ufer der Elbe wurde an fünf Stellen geschlitzt. Rund 420 ha neue Überschwemmungsfläche sind so zwischen den Wällen entstanden – von der Größe her eine bis dato einmalige Deichrückverlegung in Deutschland. Die Fläche wurde vom Bund für Umwelt und Naturschutz zum Auwald mit halboffener Weidelandschaft umgebaut, sie soll Hochwasser abmildern. Maria Lindow bilanziert: "Bei dem großen Hochwasser 2013 hatten wir hier eine Absenkung des Pegels um 45 cm." Auch ökologisch habe die Fläche gewonnen: "Die Zahl der Arten und Individuen, egal ob bei Amphibien, Vögeln, Fischen, ist praktisch explodiert."

Flussgebiete mit Schwammfunktion

Für den IGB-Forscher Jörn Geßner liegt es auf der Hand, dass der Grundwasserspiegel direkt mit dem Wasserstand des Flusses zusammenhängt. "Wenn der Fluss in den vertieften Bereichen austrocknet, sinkt automatisch der Grundwasserspiegel, weil das Wasser immer zum tiefsten Punkt hinläuft."

Umgekehrt könne man sich so die Schwammfunktion einer Flusslandschaft vorstellen, wenn auf diese Eintiefungen verzichtet und das Wasser in der Landschaft gehalten wird. Das hätte dann auch eine kühlende Funktion.

Das Beispiel von der Elbe aber auch der Nationalpark Unteres Odertal zeigen, wie gut zudem natürlicher Hochwasserschutz funktionieren kann, wenn dem Fluss mehr Raum gegeben wird.

Den Flüssen mehr Raum

Der Gewässerökologe Christian Wolter fordert deshalb ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit dem Fluss. Ließe man einen flacheren Fluss zu, könnte dieser schneller und häufiger über seine Ufer treten und würde der Landschaftsentwässerung viel besser entgegenwirken. Die Deiche müssten, wie in der Prignitz, geschlitzt werden. "Das ist natürlich nicht hochwasserneutral im Sinne unserer Bedürfnisse nach Sicherheit". Daher schlägt er vor, besonders hochwassergefährdete Siedlungsgebiete separat mit Deichen zu schützen.

Allerdings werden die Fluss-Ausbauten an der Oder derzeit selbst mit dem Hochwasserschutz begründet. Die angestrebte Fahrtiefe soll vor allem Eisbrechern zugutekommen. Die sollen besser an Eisbarrieren herankommen, hinter denen sich Hochwässer aufstauen könnten. Kritiker halten diese Begründung für einen konstruierten Vorwand, um die Oder für die Binnenschifffahrt auszubauen.

1 Kommentar

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  1. 1.

    Wer schreibt sowas und warum?

    Wenn es zu wenig Regen gibt, nutzt auch ein Deichrückbau nichts.

    Und: Buhnen verlangsamen den Abfluss und sollen so für einen tieferen Wasserstand in der Fahrrinne sorgen. Nebenbei haben die Fische in den Buhnenfeldern einen von der Strömung geschützten Lebensraum.

    Wer den totalen Urwald überall möchte, der muss dann vorher noch die Leute aus ihren Siedlungen am Fluss vertreiben.

    Sonst wird’s nix mit dem „Nazurparadies.“

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