Uckermark - Verschüttete Erinnerung an ein Naziverbrechen soll geborgen werden

Di 30.11.21 | 19:57 Uhr
Bürgermeister Peter Gerhardt und Historikerin Sarah Grandke lesen in der Dorfchronik. (Quelle: Peter Huth/rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 30.11.2021 | Peter Huth und Nico Hecht | Bild: Peter Huth/rbb

Fast 80 Jahre nachdem ein polnischer Zwangsarbeiter auf Geheiß der Gestapo in Hohengüstow bei Prenzlau gehängt wurde, nur weil er ein intimes Verhältnis zu einer Dorfeinwohnerin hatte, soll jetzt eine Gedenktafel an das Verbrechen erinnern. Von Peter Huth

Am 10. Dezember 1942 wurde in Hohengüstow am Dorfsee bei Prenzlau (Uckermark) ein polnischer Zwangsarbeiter auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gehängt. Er soll sexuellen Kontakt zu einer Deutschen - einer 17-Jährigen - gehabt haben, die schwanger wurde. Die Hinrichtung erfolgte als Abschreckung für andere Zwangsarbeiter. Das Mädchen wurde verschleppt. Im Dorf gibt es seit damals kaum Hinweise auf dieses Nazi-Verbrechen. Es scheint, als wenn fast alle Belege getilgt wurden.

Das möchte Sarah Grandke, die ihre Kindheit und Jugend in Hohengüstow verbracht hat, ändern. Die Historikerin möchte, dass im Dorf die verschüttete Erinnerung an das Verbrechen zurück ins Bewusstsein zurückkehrt, möchte am Hinrichtungsort am Dorfsee eine Gedenktafel aufstellen. Auf Spurensuche hatte Grandke den Bürgermeister von Uckerfelde - Peter Gerhardt - gebeten, die Dorfchronik zu durchforsten.

Blick in die Dorfchronik von Hohengüstow. Aufgeschlagen ist der Eintrag vom 10.12.1942. (Quelle: Peter Huth/rbb)
Blick in die Dorfchronik von Hohengüstow. Aufgeschlagen ist der Eintrag vom 10.12.1942. | Bild: Peter Huth/rbb

Dorfchronik führt Eintragung zum 10. Dezember 1942

Dort wurde Gerhardt fündig. Die Dorfchronik, die seit 1887 geführt wird, beschrieb die Vorfälle vom 10. Dezember 1942 in wenigen Sätzen. Es wurde von der Hinrichtung am See und der Abschiebung des Mädchens in ein Konzentrationslager berichtet. Andere Zwangsarbeiter wurden aus der ganzen Gegend zusammengetrieben und mussten die Hinrichtung mit ansehen.

"Ich war schon schockiert und das vor allem deswegen, weil die ganzen Jahre nicht ein Mensch in Hohengüstow darüber gesprochen hat", so Gerhardt. Als wenn darüber ein Schleier gelegt worden sei, es ein Geheimnis war, von welchen bestimmt viele gewusst hätten. "Man hat einfach nicht darüber gesprochen und das fand ich irgendwie traurig."

Cousine der jungen Frau erinnert sich

Eine, die sich an den Tag der Hinrichtung erinnern kann, ist Johanna Grawunder. Sie ist 89 und die Cousine der mittlerweile verstorbenen Irma B. Grauwunder konnte durch das Fenster die Zwangsarbeiter beobachten, die aus den Dörfern zum Hinrichtungsplatz getrieben wurden. "Wir als Kinder durften ja nicht zur Straße gehen. Ich weiß das noch ganz genau. Wir haben aus dem Fenster geguckt. Und da haben wir gesehen, wie sie alle da runtergetrieben haben. Und da haben sie alle mitmüssen, zugucken wie der aufgehangen wird."

17-Jährige verschwand zunächst in Polizeigefängnis

Nach den Angaben der Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück mussten die deutschen Partnerinnen der Polen während der NS-Zeit massive öffentliche Demütigungen erleiden. Ihre Haare wurden geschoren. Sie wurden mit Schild und Blaskapelle durch den Ort getrieben.

Sarah Grnadke im Gespräch mit Johanna Grawunder. (Quelle: Peter Huth/rbb)
Sarah Grnadke im Gespräch mit Johanna Grawunder. | Bild: Peter Huth/rbb

Das musste Irma B. nicht erdulden. Sie verschwand. Vermutlich wurde sie ins Polizeigefängnis nach Potsdam gebracht, weil es sich um eine politisches Delikt handelte. Belege darüber gebe es nicht. Bekannt ist nur, dass die Gestapo in Potsdam einige Zellen belegen konnte, do Grandke. "Zur Entbindung durfte sie nach Hause. Da waren sie ja froh, dass sie das Kind behalten konnten", erinnerte sich Cousine Johanna.

Kurz nach dem 18. Geburtstag wurde Irma B. in KZ verschleppt

Fünf Tage nach ihrem 18. Geburtstag musste Irma B. ins Frauen-KZ Ravensbrück. Das im November 1942 geborene Kind wuchs bei den Großeltern auf. In Ravensbrück gab es laut Mahn- und Gedenkstätte circa 3.500 deutschsprachige Frauen, die Kontakt zu sogenannten Fremdvölkischen hatten und deshalb als politische Gefangene inhaftiert waren.

"Das ist tatsächlich sehr interessant, weil man feststellen kann, dass sie eher als sogenannte Bettpolitische oder Ähnliches diskreditiert wurden. Und natürlich haben sich die Frauen dann auch geschämt. Und sehr häufig waren sie sicherlich auch mit Schuldgefühlen belastet, weil es ja auch mit an ihnen lag, dass viele Männer erhängt oder ermordet wurden", sagte Grandke.

Entscheidung über Gedenktafel im Februar

"Als Bürgermeister der Gemeinde habe ich ein Interesse daran, dass wir das Weiterverfolgen und vielleicht auch zum Abschluss bringen mit einer kleinen Gedenktafel", sagte Gerhardt. Im Februar soll das Thema auf einer Gemeinderatssitzung besprochen werden. Zuvor soll Sarah Grandke ihren Forschungsstand im Gemeinderat vortragen.

Irma B. wurde von Ravensbrück zu Kriegsende ins KZ Dachau verschleppt. Sie ist dann zunächst nach Hohengüstow zurückgekehrt und hat ihrer Cousine Johanna stets versichert, dass der gehängte Zwangsarbeiter gar nicht der Vater des Kindes gewesen sei. Später habe sie mit ihrer Tochter Hohengüstow wieder verlassen.

Sendung: Brandenburg aktuell, 30.11.2021, 19:30 Uhr

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