Fragen und Antworten zur Reform - Tschüss Hartz IV, hallo Bürgergeld

Fr 25.11.22 | 11:35 Uhr
Wartebreich in der Arbeitsagentur Berlin Mitte. (Quelle: dpa/Thomas Trutschel)
Bild: dpa/Thomas Trutschel

Das Arbeitslosengeld II wird abgeschafft - dafür kommt das Bürgergeld zum Jahreswechsel. Was ändert sich? Und was müssen Hartz IV-Empfänger jetzt beachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Lange haben die Ampel-Parteien und die Union um eine Einigung beim Bürgergeld gerungen. Dann billigte der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat einen ausgehandelten Kompromiss. Damit kann die Reform des Hartz-IV-Systems an diesem Freitag beschlossen werden und wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten.

Wer bekommt Bürgergeld?

Das Bürgergeld kann bekommen, wer auch bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialgeld hatte. Das Arbeitslosengeld II ist umgangssprachlich besser unter Hartz IV bekannt. Wer bereits solche Leistungen bezieht, muss zum 01. Januar 2023 keine neuen Anträge stellen, der Umstieg erfolgt automatisch.

In Berlin erhalten rund 468.000 Menschen (Stand Oktober 2022) ALG II. Aller Voraussicht nach wird in dieser Größenordnung im Januar 2023 ein Übergang ins Bürgergeld erfolgen, erklärte die Senatsverwaltung für Integration und Arbeit rbb|24. In Brandenburg dürfte die Umstellung in etwa 110.000 Menschen betreffen.

Wie hoch ist das Bürgergeld?

Zum 1. Januar soll der monatliche Regelsatz für alleinstehende Erwachsene von 449 Euro um 53 Euro auf 502 Euro steigen. Wer jünger als 25 Jahre alt ist und bei den Eltern wohnt, bekommt 402 Euro, Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren kriegen künftig 420 Euro und für Kinder von sechs bis 14 Jahren gibt es 348 Euro. Bei Kindern unter sechs Jahren sind es 318 Euro.

Gibt es Hilfe bei den Wohnungskosten?

Ja. Mit dem Bürgergeld haben Bezieherinnen und Bezieher eine einjährige Übergangszeit, in der sie die Kosten für ihre Unterkunft und Heizung nicht selbst tragen müssen. Analog dazu führen die Jobcenter keine Prüfungen auf "Angemessenheit der Wohnung" durch. Wer also in einer besonders großen oder teuren Mietwohnung lebt, muss zunächst keine Sorge haben, dass die Wohnsituation zum Nachteil wird. Diese Regelung wird allerdings seit Beginn der Pandemie in der Praxis bereits angewandt. Geplant hatte die Ampel-Koalition eigentlich zwei Jahre Karenzzeit, die wurde auf Druck der Union aber verringert.

Welche Rolle spielt das sogenannte Schonvermögen?

Auch beim sogenannten Schonvermögen gibt es Änderungen. Gemeint ist damit Vermögen, das die Bezieherinnen und Bezieher nicht antasten müssen, wenn sie Leistungen bekommen. Entgegen der ursprünglichen Ampel-Pläne wird dieser Betrag von maximal 60.000 Euro auf 40.000 Euro verringert. Für jedes weitere Haushaltsmitglied sind es nun 15.000 Euro - geplant hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) 30.000 Euro. Liegt also Geld auf dem Sparkonto, muss es bis zu dieser Höhe nicht angetastet werden, auch wenn Sozialleistungen bezogen werden.

 

Darf auch beim Bürgergeld dazu verdient werden?

Ja. Anspruchsberechtigte dürfen ohnehin als Grundfreibetrag 100 Euro dazuverdienen. Dieser Betrag wird also nicht auf die Leistung vom Jobcenter angerechnet. Bei Hartz IV werden außerdem bei einem Bruttoverdienst von 100 bis 800 Euro 20 Prozent nicht zusätzlich angerechnet. Verdient also jemand 500 Euro im Monat, sind 100 Euro sowie weitere 80 Euro (20 Prozent von 400 Euro) anrechnungsfrei. Das Jobcenter überweist am Ende also einen Betrag, der um 320 Euro geringer ausfällt.

Ab 01.01.2023 soll aber mehr vom Einkommen übrig bleiben, wenn der Bruttoverdienst zwischen 520 und 1.000 Euro liegt. Die Freibeträge werden dann von 20 Prozent auf 30 Prozent angehoben. Freibeträge für Einkommen von Schülern, Studenten und Auszubildenden werden auf 520 Euro erhöht.

Gibt es Sanktionen beim Bürgergeld?

Ja, wobei der ursprüngliche Plan vorsah, dass anders als bei Hartz IV am Anfang des Bürgergeld-Bezugs eine halbjährige "Vertrauenszeit" steht. In ihr drohten Betroffenen nur eingeschränkt Leistungskürzungen durch die Arbeitsagenturen. Die Union sah jedoch dadurch das Prinzip des "Förderns und Forderns" untergraben.

Die Vertrauenszeit fällt nun weg. Sanktionen sollen umfassend vom ersten Tag an möglich sein, wenn Betroffene etwa eine zumutbare Stelle nicht antreten. Leistungen können dann beim ersten Mal um zehn Prozent gekürzt werden, bei einer weiteren Pflichtverletzung binnen eines Jahres um 20 Prozent, bei nochmaligem Verstoß um 30 Prozent. Im Vergleich zum Hartz-IV-System fallen die Kürzungen damit aber deutlich schwächer aus, wo es zu Kürzungen von 10 bis 60 Prozent und sogar einer kompletten Sperre kommen kann.

Ist das Bürgergeld nur eine weitere Version von Hartz IV?

Geht es nach der Ampel-Koalition und der Union, heißt die Antwort: nein. Die Parteien argumentieren, dass die Reform im Kern zu einer geänderten Vorgehensweise der Jobcenter gegenüber Arbeitslosen führen wird. Künftig sollen sie sich stärker darum kümmern, dass die Betroffenen in dauerhafte Arbeit statt in kurzfristige Hilfsjobs kommen. Diese Teile der Reform sollen zum 1. Juli in Kraft treten.

Was sagen Kritiker?

Besonders Sozialverbände und die Linke reagierten enttäuscht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärte, es bleibe beim tiefen Misstrauen gegen Arbeitslose. Linkenchefin Janine Wissler warf der Union einen "Wettbewerb der Schäbigkeiten" vor. Auch die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping fand deutliche Worte: "Das ist in allen Punkten eine Verschlechterung", sagte die Linke-Politikerin dem rbb. Die Union habe sich bei den Verhandlungen "wirklich von ihrer sozial kältesten Seite gezeigt".

Die Arbeitgeberverbände begrüßten dagegen den Kompromiss. Das bewährte Prinzip des Forderns und Förderns bleibe erhalten. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa zeigte sich am Donnerstag insgesamt erleichtert. Bezieher von Grundsicherung seien angesichts der rasant steigenden Preise dringend auf höhere Regelsätze angewiesen, erklärte die Chefin des katholischen Sozialverbandes.

Sendung: Inforadio, 25.11.2023, 11 Uhr

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