Teilzeitarbeit aus Unternehmenssicht - "Du kriegst sonst die Leute nicht"

Do 20.04.23 | 11:19 Uhr | Von Jens Butterwegge
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Vater mit Kind im Homeoffice (Bild: dpa/Christin Klose)
Bild: dpa/Christin Klose

Immer mehr Menschen wollen in Teilzeit arbeiten. Ohne flexible Arbeitszeitmodelle finden Unternehmen kaum noch genug Personal. Verbände sehen das kritisch, für die Unternehmen kann es aber auch Vorteile mit sich bringen. Von Jens Butterwegge

Der Anteil der Menschen, die in Berlin und Brandenburg einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachgehen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Das zeigen Daten der Arbeitsagentur, die rbb|24 ausgewertet hat.

Für die großen Unternehmen in Berlin und Brandenburg gehört Teilzeitarbeit längst zur Normalität. Die Deutsche Bahn (DB) etwa schreibt seit Ende 2020 alle neuen Stellen immer auch in Teilzeit aus, sofern das betrieblich möglich ist, wie eine Sprecherin des Unternehmens sagt.

Für Führungskräfte bietet die DB demnach auch Jobsharing an. Dabei teilen sich zwei Führungskräfte eine Stelle. Dieses Angebot richte sich laut Deutscher Bahn an diejenigen, die weniger als 70 Prozent arbeiten möchten, aber dennoch bereit sind, Führungsverantwortung zu übernehmen.

Arbeitnehmer verlangen Flexibilität

Die Zukunft-Umwelt-Gesellschaft (ZUG), eine hunderprozentige Tochter des Bundesumweltministeriums, stellt Beschäftigte grundsätzlich nur in Vollzeit an und bietet ihnen dann die Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu wechseln. Damit hätten die Arbeitnehmer immer die Möglichkeit, in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zurückzukehren, sagt ZUG-Teamkoordinator Personalentwicklung Holger Sassenberg. Das Unternehmen habe inzwischen eine Teilzeitquote von 46 Prozent. Es stelle deshalb inzwischen vorsorglich mehr Leute ein, als Vollzeitstellen vorhanden sind. Um auf dem umkämpften Arbeitnehmermarkt bestehen zu können, sei das nötig. "Du kriegst sonst die Leute nicht", sagt Sassenberg.

Auch der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin berichten Unternehmen, dass sie ohne attraktive und flexible Teilzeitmodelle überhaupt keine Leute mehr finden würden, wie Pressesprecherin Claudia Engfeld sagt.

Dazu passt, dass auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder das Klinikunternehmen Vivantes ganz aktiv mit flexibler Arbeitszeitgestaltung um Mitarbeiter werben. Bei Vivantes seien rund 40 Prozent der Mitarbeitenden in Teilzeit beschäftigt, so Pressereferentin Mischa Moriceau. Bei der BVG sind es laut Pressesprecher Jannes Schwentu 20 Prozent der Belegschaft, die in Teilzeit arbeiten.

Beim Land Berlin richteten sich Teilzeitumfang und Arbeitszeitmodell grundsätzlich nach den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten, müssten aber mit den Möglichkeiten in der Dienststelle im Einklang stehen, sagt Alexis Demos von der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen. Auch hier sei die Teilzeitquote von 2015 bis 2022 kontinuierlich angestiegen - von 19,6 Prozent auf 24,9 Prozent.

Weniger Krankmeldungen durch selbstbestimmtes Arbeiten

"Arbeitszeitautonomie ist etwas, was sich bei Wissensarbeiter:innen zum Standard entwickelt", sagt Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Berlin. Im Produktionssektor oder der Landwirtschaft sehe das teilweise noch anders aus. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem beim Thema New Work.

Arbeitgeber hätten inzwischen kaum eine Chance, sich dieser Entwicklung zu verweigern. "Für Unternehmen ist es ein großer Vorteil, attraktiv auf dem Arbeitnehmermarkt zu sein", so Schermuly. Arbeitnehmer seien motivierter, weniger gestresst und dadurch leistungsfähiger. Es gebe weniger Krankmeldungen, betont der Wirtschaftspsychologe.

Besonders in Teams, in denen der eine auf die Arbeit des anderen angewiesen ist, entständen dadurch aber auch Probleme, wenn die Beschäftigten aufgrund flexibler Arbeitszeitmodelle weniger Kontakt zueinander hätten, so Schermuly weiter. Arbeitsprozesse würden sich verlangsamen und im Team entstehe Frustpotenzial.

Unternehmen könnten dem aber entgegenwirken, indem sie sich mit angepasstem Management auf die neue Flexibilität einstellten, sagt der Wirtschaftspsychologe weiter. Er empfehle, dass die Teams je nach Herausforderung flexibel agierten. Wenn persönlicher Austausch zum Erreichen eines Ziels besonders wichtig sei, müsse sich das Team eben zeitweise eine Präsenzpflicht für alle auferlegen, um danach wieder Freiheiten durch die flexiblen Arbeitszeiten genießen zu können. Jeder Bereich in einem Unternehmen müsse auch personell auf seine besonderen Anforderungen reagieren können.

Unternehmensverbände warnen vor Fachkräftemangel

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) sehen die Entwicklung hin zu geringerer Arbeitszeit eher kritisch. "Der Wunsch nach mehr Teilzeitarbeit ist vor allem dort ein Thema, wo es die Einkommenssituation zulässt", sagt Alexander Schirp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der UVB .

Unternehmen könnten dem begegnen, indem sie zunehmend Leistungen outsourcen oder ihre Produktivität steigern, so Schirp. Für beide Instrumente gebe es jedoch Grenzen.

Der stellvertretende UVB-Geschäftsführer betont weiterhin, dass es wichtig sei, dass die Unternehmen über die Arbeitszeit-Modelle das letzte Wort haben. "Wenn eine Vier-Tage-Woche zur Organisation und den Abläufen eines Betriebs passt, kann sie für beide Seiten sinnvoll sein. Eine gesetzlich oder tarifvertraglich festgeschriebene Arbeitszeitverkürzung für alle halten wir für den falschen Weg. Eine generelle Vier-Tage-Woche würde den Fachkräftemangel noch einmal dramatisch verschärfen", warnt Schirp.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.04.2023, 8 Uhr

Beitrag von Jens Butterwegge

45 Kommentare

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  1. 45.

    "Was" da kommt … so sprechen Sie über andere Menschen, Ihre MA? "Wir sind extrem sozial und loyal." Klingt nicht so.

    Heute ist nicht früher. Und morgen wirds noch ganz anders, mal sehen wie dürrig der nächste Sommer wird und wie teuer das nicht vorhandene Mittelmeergemüse.

  2. 43.

    Mancher dehnt die Steuergesetzgebung über die Schmerzgrenze hinaus, wer nicht genug Einkommen hat, um Steuern zu zahlen oder Rente zu bekommen – soll nicht 45 Jahre "Gulag" verweigern?

  3. 41.

    z. B. Man geht arbeiten – Vollzeit zum Mindest"lohn" –, um eine Armutsrente zu haben.
    "Der Markt" reguliert sich selbst, wozu das mitmachen? Scheuen wir auf die Kapitalverteilng, wird klar, dass mehr als genug Geld im System ist und genug für alle wäre.

  4. 40.

    Sehr sinnvoll für beide: "Firma stellt Beschäftigte grundsätzlich nur in Vollzeit an und bietet MA dann die Möglichkeit, befristet in Teilzeit zu wechseln. Damit hätten die Arbeitnehmer immer die Möglichkeit, in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zurückzukehren."

  5. 39.

    "Es gibt Berufe, da kann man nur Teilzeit arbeiten, sonst biste am durchdrehen " Ehrlich? Sie im Handel? Kommen Sie mal zu Uns,in die Demenzpflege....

  6. 38.

    Sie haben ausdrücklich recht. Mit Ihrer Vermutung, dass man schlechter lebt wenn man viel arbeitet. Deshalb sollte man die Fehler der vorangegangenen Generation nicht wiederholen. Ich empfehle ausdrücklich weniger Arbeit als früher, auch damit die Rente passt:
    Nur eine 40 h Woche, Geschirrspüler, Waschmaschine, Zentralheizung, Telefon und Auto. Dann haben Sie so viel Freizeit gewonnen, dass es schwer ist, diese zu finanzieren.

    Und sozial ist es auch. Wenn man gibt. Durch das Einzahlen...

  7. 37.

    Sehr löblich und richtig. Aber der Großteil der Jugend sieht sich nicht in Betrieben, Gewerbe und Dienstleister. Wir bilden selbst seit Jahren aus - und was da kommt ist eine Katastrophe (Krank, Party, O Bock, Unpünktlichkeit und unzuverlässig). Manchmal glaubt man der Betreuer statt Kollege zu sein. Leider wird es schlimmer und schwerer. Und wir sind extrem sozial und loyal. Am Ende schließen wir in 10 Jahren zu statt jährlich 4 auszubilden.

  8. 36.

    Lieber Torsten,dem widerspreche ich.Mein Sohn ist gerade 18 geworden geht zur Schule .Hat gesehen wie sich seine Großeltern abgeschuftet haben beide gestorben mit 72 J.Er sieht jeden Tag wie sich seine Eltern abschuften.Und nun sagen sie mir warum soll er Vollzeit für diesen Staat sich abschuften.Und keiner kann sagen wo die Reise hingeht zwecks der Rente.Aber eins wissen die meisten jungen Leute ,das sie selber Vorsorgen müssen und das tun sie,teilweise sogar besser wie die ältere Generation.

  9. 35.

    Sorry, wenn ich das lese wird mir schlecht. Allein die Aufzählung von DB, BVG usw. Das hat nichts mit dem privaten Mittelstands-Unternehmen zu tun. Man erwartet von anderen das immer alles verfügbar ist und zwar von jetzt auf sofort (Schlüsseldienst, Installateur, Werkstatt), macht aber beim eigenen Job das Gegenteil. Die Großeltern bauen ein Land auf, die Kinder halten es am Laufen und die Enkel schöpfen nur noch ab ohne Leistung zu erbringen. Rente später 500€?

  10. 34.

    Das ist nun wirklich nicht schwer zu verstehen: Weniger Lohn=weniger DRV-Beitrag=weniger Altersrente. Die Aufstockung auf die Grundrente zahlt die Allgemeinhwit. Oder wenn Zeit reduziert wird bei gleichem Lohn, verteuern sich Waren und Dienstleistungen. Nun ist es auch Ihnen klar, oder?

  11. 33.

    Liebe Leute,habt ihr alle schon mal daran gedacht das es Unternehmen gibt dir nur Teilzeitstellen rausgeben.Wie zum Beispiel der Handel,ich arbeite seit mehr als 28 Jahren im Einzelhandel und wusste schon damals das es nur Teilzeit ist und nach Pandemie und Ukraine bin ich total glücklich Teizeit zu Arbeiten.Es gibt einfach bestimmte Berufe da kannst du nur Teilzeit arbeiten,sonst biste am durchdrehen.Und selbst Überstunden bin ich nicht unbedingt bereit zu machen ,für wenn und warum.!!!

  12. 32.

    @ Helge B., hier wird u.a. von Führungsstellen geredet. Das Gehalt dürfte im Normalfall Durschnitt bis hoch sein. Hier ist nicht die Rede von Minijobs.

  13. 31.

    @ Ines, merkwürdig, ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass doch viele Stellenangebote Vollzeit erwarten. Vielleicht ist das Branchen- oder Berufsabhängig. Im ÖD gibt es übrigens massenhaft Vollzeitstellen. Teilzeit gibt es meist nur über die "Hintertür".

  14. 30.

    @ Wossi, und da sind sie wieder, Ihre Rentenpunkte. Zu Zeiten meiner Eltern/Großeltern haben Arbeitnehmer bis 65 "geackert" um dann mit 66 umzukippen. Dabei leben Menschen mit Teilzeit schon zu Erwerbszeiten mit Teilzeitgeld. Also nehmen sie bewußt weniger Geld in Kauf für ein besseres Leben. Aber der Sinn des Lebens ist offensichtlich für jeden etwas anderes.

  15. 29.

    Aber warum soll Teilzeit 30 ein monetäres Problem für die Gemeinschaft sein?
    Teilzeit 0 ist es doch merkwürdigerweise auch nicht.

  16. 28.

    @Köpenickerin: "Man geht arbeiten, um sich einen Lebensstandard und Lebensabend aufzubauen..."
    Ich kann mir vorstellen, dass es auf den Satzanfang "Man geht arbeiten, um..." völlig unterschiedliche Antworten gibt, je nachdem, wen man bittet, ihn zu vervollständigen.

  17. 27.

    Gerade hier ist Aufklärungsarbeit durch die Politik erforderlich. Man schadet sich selbst finanziell in der Gegenwart und in der Zukunft, wenn man freiwillig auf Einkommen verzichtet. Hier sollte man dann übrigens auch keinen Zugang mehr zu staatlichen Transferleistungen erhalten, wenn man als Arbeitnehmer freiwillig sein Einkommen reduziert. Schließlich kommen die Transferleistungen wieder von denen, die zur Arbeit gehen. Man schädigt damit also nicht nur sich selbst, sondern uns alle vorsätzlich, wenn man stattdessen Wohngeld und Co. vereinnahmt.

  18. 26.

    Sie haben es wirklich nicht kapiert!
    Man geht arbeiten, um sich einen Lebensstandard und Lebensabend aufzubauen nicht um die Arbeitgeber und/oder Politiker zu erfreuen oder zu ärgern.

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