Interview | Handwerkskammer Ostbrandenburg - "Es ist keine Schande, nach der zwölften Klasse eine duale Berufsausbildung im Handwerk zu beginnen"

Fr 09.02.24 | 15:00 Uhr
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Symbolbild: Ausbildungen im Handwerk. (Quelle: IMAGO/Christian Vorhofer)
Audio: Antenne Brandenburg | 09.02.2024 | O-Ton: Frank Ecker | Bild: www.imago-images.de

Das Handwerk steht vor vielen Herausforderungen, darunter niedrige Azubi-Zahlen und Krisen in mehreren Branchen. Frank Ecker von der Handwerkskammer in Frankfurt (Oder) erzählt, was das Handwerk dagegen tun kann – Vier-Tage-Woche inklusive.

rbb|24: Herr Ecker, im Vorfeld wurde uns gesagt, dass es aktuell mit neuen Ausbildungsverträgen sehr gut läuft. Was heißt das konkret?

Wenn man das zurückliegende Jahrzehnt betrachtet, sind wir jetzt auf einem sehr guten Niveau, das ist richtig. Wir freuen uns, dass wir momentan viele Ausbildungsverträge haben. Allerdings befinden wir uns jetzt auf dem Niveau von 2010. Und vor 20 Jahren waren wir bei ungefähr dem Eineinhalbfachen der jetzigen Ausbildungszahlen. Die Zahlen sind nach 2004 bis 2014/2015 stetig nach unten gegangen. Nun geht es nach und nach aufwärts.

Dieser Trend ist auch bei den anderen beiden brandenburgischen Handwerkskammern in Cottbus und Potsdam ebenso zu verzeichnen. Und in unserem Kammerberzirk ist es bei nahezu allen Landkreisen so, von der Uckermark bis Oder-Spree. Lediglich im Barnim sind die Zahlen leicht nach unten gegangen.

Zur Person

Frank Ecker ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer in Frankfurt (Oder) für die Region Ostbrandenburg. Die dortige Handwerkammer vertritt nach eigenen Angaben 11.500 Betriebe, 5.500 davon haben Inhaber, die älter als 55 Jahre sind.

Ecker freut sich über steigende Ausbildungszahlen, fürchtet sich aber vor einer Lücke in den Handwerksberufen nach dem bevorstehenden Generationenwechsel. Er fordert mehr Wertschätzung für die Handwerksberufe.

Hat Sie denn dieser positive Trend eigentlich überrascht? Und was sind die Gründe dafür?

Wir arbeiten seit geraumer Zeit daran, die Ausbildungszahlen im Handwerk voranzubringen. Wir veranstalten seit vielen Jahren eine intensive Berufsorientierung in den Schulen und gehen in Gymnasien, um auch die Abiturienten und Abiturientinnen von einer dualen Berufsausbildung im Handwerk zu überzeugen. Jetzt ernten wir langsam die Früchte der kleinteiligen Arbeit der vergangenen Jahre.

Die Handwerkskammer vertritt eine breite Palette an Betrieben. Gilt dieser Trend für alle Branchen?

Das betrifft leider nicht alle gleichermaßen. Wir haben Branchen, in denen sich die Ausbildungszahlen sehr gut entwickeln. Ich kann zum Beispiel Tischler, Elektroniker, Kraftfahrzeugmechatroniker, Installateure und Heizungsbauer nennen. Berufe mit Zukunft. Aber wir haben leider einige Verlierer dabei. Der Friseurberuf oder die Nahrungsmittelhandwerke verharren leider auf einem sehr niedrigen Niveau.

Die steigenden Ausbildungszahlen reichen aber nicht aus, um den Fachkräftemangel im Handwerk auszugleichen.

Genau! Wir haben im vergangenen Jahr rund 160 Ausbildungsstellen nicht besetzen können. Und das sind nur die, die bei uns in Ostbrandenburg in der Lehrlingsbörse registriert wurden. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist viel höher als die der tatsächlich am Ende abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse. Und die Zahl der Abgänger in die Rente ist auch viel höher als die derer, die hier aus den Ausbildungsverhältnissen nachrücken.

Was kann man dagegen tun?

Inzwischen bilden die allermeisten Betriebe deshalb aus, weil sie wissen, dass mit dem Abgang der Babyboomer in die Rente eine riesige Lücke entsteht. Und sie wird im allerbesten Fall dadurch geschlossen, dass man sich selbst dem Thema Berufsausbildung widmet und die jungen Leute, die man zum Berufsabschluss gebracht hat, in den Unternehmen bleiben.

Wir müssen dabei alle Zielgruppen gleichermaßen ansprechen und die duale Berufsausbildung vielmehr in den Fokus rücken. Eins soll klar werden: Es ist keine Schande, nach der zehnten oder zwölften Klasse eine duale Berufsausbildung im Handwerk zu beginnen und kein Abitur zu machen oder nach dem Abitur nicht zu studieren. Die Wertschätzung der Handwerksberufe muss wieder massiv steigen. Dann kann es uns auch gelingen, wieder viel mehr Jugendliche von einer Ausbildung im Handwerk zu begeistern.

Eine Möglichkeit, um junge Leute zu motivieren, könnte eine Vier-Tage-Woche sein. Welche Erfahrungen machen die Betriebe Ihrer Handwerkskammer damit?

Es gibt einige Betriebe, die dieses Modell sehr erfolgreich eingeführt haben. Bei Auszubildenden ist es unter Umständen noch mal eine etwas größere Herausforderung, weil sie an die Berufsschule und zur überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung gehen müssen. Da gilt eine Fünf-Tage-Woche. Zudem können einige Betriebe eine Vier-Tage-Woche nicht anbieten, wenn zum Beispiel eine Anwesenheit bis Freitag obligatorisch ist – wie beispielsweise auf einer Baustelle.

Doch im Wettbewerb um die Fachkräfte wissen die Betriebe, dass sie ihre Arbeitsbedingungen anpassen müssen. Aber für einen Bäcker ist es schwierig, wenn erst um zehn Uhr die Brötchen in die Backstube kommen. Da muss man natürlich sehen, dass die Arbeitsbedingungen irgendwo Grenzen haben, die man nicht verändern kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Kunze für Antenne Brandenburg. Dies ist eine gekürzte Fassung des Gesprächs mit Frank Ecker.

Sendung: Antenne Brandenburg, 09.02.2024, 16:40 Uhr

21 Kommentare

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  1. 21.

    @ Wossi, freut mich, dass Sie hier auch einen Punkt für die Rente finden. (kann man doch so als Wortwitz eigentlich lassen) ;-)
    Ich gebe Ihnen heute sogar Recht. Wer studiert, fängt später an, Punkte zu sammeln.
    Ich persönlich sehe aber die Berufswahl auch nach dem Gesichtspunkt, ob der Beruf einen erfüllt.

  2. 20.

    Da hatte ich wohl Glück, denn ich hab den Handwerker im Haus, teile sogar diese veralteten Möbelstücke mit ihm. :-)

  3. 19.

    „Es ist keine Schande“ ist nicht gut ausgedrückt. Besser: Man gewinnt pro Jahr, dass man nicht in der Schule verbringt, ca. 40 T€ über alles gerechnet und kann schneller in Rente gehen, nach 45 Jahren. Und es gibt Berufe, die stark nachgefragt werden: Kältetechniker z.B. (Wärmepumpenreparatur wird ein Problem werden)
    (Jahreseinkommen, Rentenpunkte, Lebensarbeitszeit)

  4. 18.

    das ist Quatsch. Die Arbeitsleistung hängt nicht von der Stundenzahl ab. Die 4-Tagewoche ist die Zukunft, natürlich nur, wo es möglich ist!

  5. 17.

    ... UTP: Wir lernten Stecker löten, Montage heizgeräte, natürlich nur unter Aufsicht, viele begannen da eine Lehre. Als Grundlage. Dann jings weiter. Studium, Abendschule Abi..... sowas halt. Werkunterricht: arbeiten mit Holz, Metall usw. War immer gut. Sehr praxisnah.

  6. 16.

    @ Frauke, noch kann KI nicht ersetzten, eher erleichtern.
    Das betrifft jetzt die "Schreibtischtäter". Sie merken sehr schnell, wo die Grenzen von KI sind.
    Ich kann mir übrigens gerade im Handwerk, Pflege oder in der Dienstleistung keinen großen Ersatz durch KI vorstellen.
    Soll der Robotor am Krankenbett sitzen? Das Fenster wird noch lange mit Händen eingebaut und wer wünscht sich schon eine Stahl/Plastik-Bedienung.
    Übrigens suche ich dringend einen Handwerker, die haben aber alle Hände voll zu tun.

  7. 15.

    Zu meiner Zeit ging das, z. B. Bau, Büro ... Theoretisches/Praktisches Grundwissen wurde schon in der Schule vermittelt: Werken, ESP, UTP und WPA.

  8. 14.

    Schön, es geht aber nicht um damals, sondern um jetzt. Wenn die Baubranche schwächelt, kaum neue Aufträge hat, wird sie sich keine Azubis an die Backe kleben, wenn Personal entlassen werden muss. Die Regelung mit dem erweiterten Kurzarbeitergeld hat die Realität nur hinausgezögert, gleiches gilt für Insolvenzen. Die Mitarbeiter aus der Gastromie haben reagiert und sich andere Arbeit gesucht, aber viele von ihnen waren im Mindestlohnsektor und haben jetzt Tariflohn, z. B. im Handel. Wenn man sich finanziell verbessern kann, ist es leichter zu gehen. Das trifft auf die meisten Bauarbeiter nicht zu. Es wird viel über KI erzählt und was sie kann. Viele heutige Bürojobs könnten der KI zum Opfer fallen. Es ist schwer, heute eine Entscheidung für die Zukunft zu treffen, wenn niemand weiß, ob die Branche nach 3 Jahren boomt oder weg ist vom Fenster. Es sind ja viele junge Handwerker und Pflegekräfte nach Österreich, in die Schweiz und Norwegen arbeiten gefahren. Warum wohl?

  9. 13.

    @ zappa, lags vielleicht an Ihrem Kumpel? Ich kenne keinen Handwerker, es sei den Friseure, die mit 2500Euro brutto Vollzeit nach Hause gehen.

  10. 12.

    Sie haben beide recht. Und damals sind alle (!) gut "untergekommen". Sind dann ihren Weg gegangen. Oftmals mit Überraschungen. Wenn man das so sagen kann.

  11. 11.

    In den 80er/90er Jahren hat man als Abiturient ganz schön hochnäsig auf die Handwerksberufe herab geschaut, und lieber einen Beruf/Studium begonnen, bei dem man sich nicht die Hände schmutzig macht. Ich hätte gerne eine Ausbildung als Tischlerin oder Gärtnerin gemacht, wurde dafür sehr "schief" angemacht, wie ich denn darauf komme. Heute, im nach hinein, ärgere ich mich sehr, dass ich nicht den Mut hatte, dagegen anzugehen. Ich weiß auch, dass Handwerk anstrengend ist, aber wenn jmd richtig richtig gut ist, dann kann man davon sehr gut leben.

  12. 10.

    Auch das stimmt nicht ganz. Ich bin von 1965-1969 auf die Erweiterte Oberschule gegangen und habe in dieser Zeit wie übrigens alle, die damals Abitur gemacht haben, gleichzeitig einen Beruf erlernt. Fragen Sie mal Herrn Gysi. Der hat damals Rinderzüchter gelernt. Diese Lehrzeit wurde übrigens nicht auf die Rente angerechnet, weil wir alle nicht entsprechend versichert waren. Mein Bruder dagegen hat nach der 10. Klasse innerhalb von drei Jahren Abitur gemacht und gleichzeitig einen Beruf erlernt. Das war das erwähnte BA mit Abi.

  13. 8.

    Um junge Leute zum Handwerk zu motivieren, könnte eine Vier-Tage-Woche sein?
    Warum die Jugend mit Sanft-Pfötchen behandeln?
    Die Länge der Arbeitstage, der Arbeitsbedingungen noch unterschiedlicher zu machen, bedeutet für die Wirtschaft - WAS ? Die Jugend ist nicht aus Glas das zerbricht, wenn sie länger arbeiten muss. Dem Unternehmer passt es bestimmt aus bestimmten Gründen., welche das weiß er nur selbst.

  14. 7.

    "Man" kann sogar nach abgeschlossenem Studium ("sehr gut") noch eine Ausbildung im Handwerk beginnen.
    Da bricht "man" sich auch keinen Zacken aus der Krone, wenn man im Handwerk besser aufgehoben ist oder das als eine Art Spezialisierung macht.
    Ich würde gerne zur Motivierung junger oder auch nicht mehr so ganz junger Menschen beitragen - wo darf/kann man sich melden?

  15. 6.

    Aua ! Also, früher hatte Handwerk goldenen Boden. Ich war die ersten 20 Jahre meines Berufslebens Maler und Lackierer. Heutzutage ist es leider so, daß immer mehr Firmen nicht mehr Tarifgebunden sind. Ein Kumpel von mir, Maler in Berlin, hatte die letzten Jahre in 3 Firmen gearbeitet. Zum Schluss hatte er 14,50€/Stunde! Als Geselle! In anderen Gewerken sieht es ähnlich aus. Also bitte nicht den pauschalen Unsinn, als Handwerker verdient man gut, wiedergeben.

  16. 5.

    Stimmt nicht ganz: BA mit Abitur war parallel, Dauer drei Jahre. Es gab aber zeitweise noch ne andere Variante, weil es damals permanent Arbeitskräftemangel gab. Wer nach dem Abi keinen Studienplatz bekam oder nicht studieren wollte, konnte einen Facharbeiterbrief innerhalb eines Jahres erwerben.

  17. 4.

    Schande? Auf so 'nen Blödsinn muß man auch erstmal kommen. Vor 20 Jahren war es in der Aubildung allerdings noch so: teilweise nur ein Taschengeld als Lehrlingslohn (150 - 400 €), Frauen und Abitur wurden oft offen verachtet, viele Betriebe nutzten Azubis nur zum saubermachen und für die Drecksarbeit, der Lehrling hat sich oft anhören dürfen, er würde ja nur Kosten verursachen und nichts einbringen, viele Lehrlinge haben das vorgegebene Fachspektrum in der Praxis nie kennengelernt, qualitativ gute Ausbildungsbetriebe waren selten, teils herrschte ein unmögliches Betriebsklima mit tyrannischen Strukturen, die Handwerkskammern haben die Lehrlinge nicht unterstützt, sondern lieber Fachinhalte abgeschafft (z.B. Löten, Drehen und Schweißen beim Schlossern), modernisierte Berufsbilder standen zwar offiziell auf dem Papier, aber nicht im Lehrplan. Wenn sich die Punkte nicht geändert haben, wundert mich Lehrlingsmangel nicht. Glücklich, wer einen guten Betrieb findet.

  18. 3.

    ……das gab es im Osten schon. Nannte sich Berufsausbildung mit Abitur. Es wird alles, was es schon mal gab, neu erfunden....

  19. 2.

    Wat Schande??? Es ist eine sehr gute Entscheidung mit Abitur eine Berufsausbildung zu beginnen,aber auch abzuschließen. Was man gelernt hat kann einem keiner mehr nehmen.

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