Amazon-Serie: "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" - Stylische Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten
Die Geschichte von Christiane F. wurde 1978 zum ersten Mal erzählt, seitdem hat "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" traurigen Kultstatus. Mehr als 40 Jahre später veröffentlicht Amazon den Strudel aus Drogen, Prostitution und Gewalt als Mini-Serie. Von Steven Meyer
"Keine Angst, wir stürzen nicht ab", sagt Christiane F. zu einem Mann, der wohl David Bowie darstellen soll. Beide sind in einem Flugzeug, das in eine dunkle, bedrohliche Wolkenfront steuert. Die anderen Passagierinnen und Passagiere feiern, rauchen und trinken, wie es heute auf keinem Flug mehr möglich wäre. Es wackelt, David Bowie beruhigt sich aber. Die Frau lehnt sich zurück und zieht an ihrer Zigarette: "Ich bin unsterblich."
So rätselhaft startet die neue Serienadaption "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", genau 40 Jahre nachdem das Original von Uli Edel in die deutschen Kinos kam. David Bowie und seine Musik spielen, wie in der ersten Sequenz bereits klar wird, auch in der Neuauflage eine wichtige Rolle. Die Serie spielt in den 1970er-Jahren in West-Berlin. Im Mittelpunkt der Handlung steht die 15-jährige Christiane F. - gespielt von der 22 Jahre alten Jana McKinnon - die in einem Plattenbau in Berlin-Gropiusstadt aufwächst.
Feiern, um Probleme zu vergessen
Christiane lernt rund um den Bahnhof Zoo eine Gruppe Jugendlicher kennen, darunter Stella, Babsi und Benno. Was die Teenager verbindet: Sie stecken alle in einer Krise. Während sich Christianes Eltern trennen, kämpft Stellas Mutter mit einer Alkoholsucht und Babsi trauert nach dem Tod ihres Vaters.
Gemeinsam gehen sie feiern, nehmen zum ersten Mal Drogen und vergessen ihre Probleme, zumindest für einen Augenblick. So endet die erste Folge damit, dass die Jugendlichen über der Tanzfläche des legendären Berliner Clubs "Sound" schweben.
Zu sauber und zu poliert
Die Amazon-Version orientiert sich dabei an der Lebensgeschichte von Christiane Felscherinow, die von den beiden Stern-Autoren Kai Hermann und Horst Rieck 1978 aufgeschrieben wurde. Christiane war bereits in jungem Alter heroinabhängig und prostituierte sich für Drogen auf Berlins Kinderstrich. In der Serie begleitet wird das turbulente Leben von Christiane und ihren Freundinnen und Freunden in verschiedenen Phasen ihres Lebens – vor der Sucht, während der Sucht, bei Entzugsversuchen, in einer Jugendstrafanstalt und während eines Gerichtsprozesses. Da einzelne Geschichten und Personen in der Serie fiktionalisiert sind, findet auch ein kleiner Handlungsstrang über eine queere Beziehung Platz in der Neuinterpretation.
Dabei wird gleich deutlich, dass die Amazon-Serie anders vorgeht als die Low-Budget-Filmproduktion von 1981. Diese setzte auf abschreckende Bilder, zeigte Christiane und ihren Partner, wie sie sich beim kalten Entzug im Bett übereinander erbrechen. Der Neuauflage, die von Oliver Berben und Sophie von Uslar produziert wurde und bei der Philipp Kadelbach Regie führte, verzichtet weitgehend auf abschreckende Szenen und zeigt stattdessen stylische Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten. Die Drehbuchautorin Annette Hess beschreibt in einem Zeitungs-Interview das Spannungsfeld, dass die Serie erzeugen wolle, als gegensätzlich. Das Publikum solle sich danach so fühlen, als wolle es drogensüchtig werden und gleichzeitig auf keinen Fall. Die Folgen einer Heroinsucht werden dabei jedoch fast schon ästhetisiert und wirken in jedem Fall zu sauber, zu aufpoliert.
Partyszenen statt Schockbilder
Die Schauspielerinnen und Schauspieler, allen voran die Darstellerinnen und Darsteller der Teenager, überzeugen in der Serie. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige Charaktere eher flach daherkommen. Neben der schauspielerischen Leistung sticht die Amazon-Produktion auch mit einem grandiosen Soundtrack hervor, der von David Bowie inspiriert wurde.
Während der Original-Spielfilm sein Publikum fassungslos zurückließ, zeigt die Neuauflage aufwändig inszenierte Partyszenen, die mit Popsongs unterlegt sind. Die Serie möchte dabei keinen schockierenden oder realistischen Einblick in die Westberliner Drogenszene der 1970er- Jahre bieten. Vielmehr greift sie die tragische Geschichte mit atmosphärischen Aufnahmen auf und versucht sie damit wohl für eine neue Generation greifbar zu machen.