Theaterkritik | "Ophelia's Got Talent" - Das größtmögliche Brimborium

Fr 16.09.22 | 08:33 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Ophelia’s Got Talent, Uraufführung 15.09.2022, Große Bühne (Quelle: Volksbühne/Nicole Marianna Wytyczak)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.09.2022 | Barbara Behrendt | Bild: Volksbuehne/Nicole Marianna Wytyczak

Florentina Holzinger und ihre Performerinnen spritzen mit Wasser, werfen wild mit Motiven und Ideen um sich und fahren die ganz große Theatermaschinerie auf. Ein rauschhafter Spielzeit-Auftakt an der Berliner Volksbühne. Von Fabian Wallmeier

Shakespeares Ophelia ist - wie sollte es anders sein? - eine tragische Figur. Die Geliebte Hamlets wird durch seine Schuld wahnsinnig und ertrinkt in einem Bach. Bei Florentina Holzinger sieht das an diesem Donnerstagabend in der Berliner Volksbühne etwas anders aus. Da hat diese Ophelia zunächst einmal vor allem eins: Talent.

"Ophelia's Got Talent" beginnt als Casting-Show mit einer Jury am linken Bühnenrand, eingeführt von einer sehr lauten Piratin, die als Einheizerin durch den Abend führt. Eine Schwertschluckerin, eine Akrobatin, eine Tänzerin und eine Entfesselungskünstlerin treten auf - übrigens alle größtenteils nackt, genau wie die Jury, und größtenteils auf Englisch.

Doch der Abend bleibt nicht lange bei diesem Gerüst. Irgendwann werden die Jury-Sessel bei Seite geschoben und das gesamte Bühnenbild wird in Beschlag genommen. Das hat es in sich: Es gibt ein fast die ganze Bühnenbreite einnehmendes Schwimmbecken, dahinter ein auf Pfeilern stehendes durchsichtiges Tauchbecken und vorne rechts ein Ein-Personen-Aquarium.

Ophelia’s Got Talent, Uraufführung 15.09.2022, Große Bühne (Quelle: Volksbühne/Nicole Marianna Wytyczak)
Bild: Volksbuehne/Nicole Marianna Wytyczak

Wasser, Wasser und noch mal Wasser

Worum es eigentlich geht, lässt sich nicht klar fassen. Viele Motive werden wild durcheinander gewirbelt, vieles wird zitiert und vieles wird ausprobiert. Zentral sind wohl die nah an der Original-Ophelia angelehnte Todessehnsucht und natürlich das Wasser. "Wasser" sollte der Abend heißen, als die Volksbühne ihn erstmal bekannt gab. Und Wasser gibt es auch zuhauf - nicht nur in Gestalt der drei Becken, sondern auch thematisch.

Schwimmen, Tauchen und Angeln bekommen genau so ihren Raum wie Betrachtungen über das Wasser als Todbringer und den Ozean als vom Menschen zerstörte Lebensquelle. Und immer wieder geht es um die Seefahrt. Wenn die Performerinnen Kleidung am Leib tragen, dann sind es Matrosen-Hemden und -Mützen. Lustvoll dekonstruieren die Performerinnen überkommene Männlichkeits-Chiffren, wenn sie sich Seemanns-Posen aneignen, "What shall we do with a drunken sailor" grölen, salutieren und mehr oder weniger rhythmisch stampfen.

Spektakulär, aber niemals hohl

Florentina Holzinger liebt das Spektakel, den Schockeffekt. In "Tanz", von "Theater heute" zur Inszenierung des Jahres 2020 gewählt, ließ sich eine Performerin Haken durch die Haut stechen und daran in die Höhe ziehen. In "A Divine Comedy", ihrem auf der Ruhrtriennale uraufgeführten Volksbühnen-Debüt im vergangenen Jahr, gab es Motorrad-Stunts und Malerei mit frisch defäkiertem Kot.

Doch diese Zumutungen und Grenzüberschreitungen sind niemals hohles Schock-Geprahle. Eingebettet in den Kontext des jeweiligen Stückes sind sie affirmative feministische Ansagen. Neben jeder Derbheit gibt es bei der Österreicherin eine Zartheit, die Furcht- und Hemmungslosigkeit ihrer Performerinnen wird immer wieder von einer erfrischenden Albernheit gekreuzt.

In "Ophelia's Got Talent" ist all das auch wieder da - und es zieht sich ein bisschen. Mehr als zweieinhalb Stunden dauert der Abend. Er brummt und surrt zwar so furios von einer Stimmungslage und Thematik in die nächste, dass er niemals ernsthaft langweilig zu werden droht. Aber ohne Längen ist er nicht.

Feuer, Regen, Windmaschine

Die Zumutungen treten dieses Mal gehäuft auf, doch die Schockeffekte fallen deutlich milder aus. Zwar werden wieder Haken durch die Haut gestochen, doch dieses Mal hängen sich die Perfomerinnen nicht daran auf. Eine Vaginaluntersuchung und eine Magenspiegelung werden nur angedeutet, beziehungsweise ironisch gebrochen. Und Kot ist überhaupt nicht zu sehen.

Die Überwältigungstaktik, die Holzingers Abende auszeichnen, gelingt dieses Mal vor allem aus einem anderen Grund: Sie weiß die Theatermaschinerie der riesigen Bühne mit aller Kraft und größtmöglichem Brimborium einzusetzen, vor allem zum Ende hin: Eine gewaltige Windmaschine kommt zum Einsatz, es regnet Wasser und Plastikflaschen, der Beckenrand steht in Flammen - und ein Hubschrauber wird ins Wasser hinabgelassen.

Und Shakespeare? Völlig egal.

Dazu gibt es eine Art Gedärm-Geburt, Wasserfontänen und Meerjungfrauen, die sich mit blutigen Fischschwänzen über die Bühne robben. Schließlich tritt eine Schar von Mädchen auf - und übernimmt das Regiment von den erschöpften Älteren. Eine neue Generation von Feministinnen tritt das vergiftete Erbe der Menschheit an. Zu Ed Sheerans "Bad Habits" tanzen sie über die Bühne, planschen im von Blut und Plastikmüll verseuchten Wasser und man hat beim Anblick dieser geballten Kraft auf einmal keine Angst mehr um die Zukunft der Welt.

Ob das motivische Wirrwarr, das da zum Finale an einem vorbeizieht, im Einzelnen einen Sinn ergibt - und was das Ganze nun letztlich mit Shakespeare zu tun hat: völlig egal. "Ophelia's Got Talent" endet in einem Rausch, der für sich steht. Ganz und gar kein schlechtes Omen für die neue Spielzeit der Volksbühne.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.09.2022, 6 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

3 Kommentare

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  1. 3.

    Ist eigentlich egal ob alle Englisch oder Österreichisch Reden. Versteht sowieso kein Berliner!

  2. 2.

    Jeder hat so seine eigene Vorstellung von Kunst.

  3. 1.

    Wir waren begeistert.
    Endlich was für das Auge. Bilder die man leicht begreift und so schnell wieder vergisst.
    Bravo

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