Fokus ukrainische Filme - Das Cottbuser Filmfestival in Zeiten des Krieges

Di 08.11.22 | 06:18 Uhr | Von Knut Elstermann
Filmstills aus den Filmen "Luxembourg, Luxembourg"(links), "Minsk" (mittig) und "Woman on the Roof"(rechts).(Quelle:Fore Films (l),LeoFilms (m), Loco Films(r))
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 08.11.2022 | Josefine Jahn | Bild: Fore Films (l),LeoFilms (m), Loco Films(r)

Das Filmfest Cottbus setzt in seiner 32. Ausgabe ein starkes Zeichen der Solidarität mit der Ukraine: Der Alltag im überfallenen Land steht im Fokus vieler Produktionen. Doch filmische Highlights finden sich auch jenseits der Kriegsthematik. Von Knut Elstermann

Dass sich diese 32. Ausgabe des Osteuropäischen Filmfestivals in Cottbus deutlich von den Vorjahren unterscheidet, zeigt schon eine grundlegende Veränderung: Gab es früher traditionsgemäß den "Russischen Tag" mit oft überraschenden, kritischen Produktionen, wird stattdessen diesmal ein ganzer Tag dem ukrainischen Kino gewidmet sein. Am Freitag, dem 11. November zeigt das Festival sechs Filme aus der Ukraine, dazu gibt es Diskussionen über die Situation ukrainischer Filmkünstler im Krieg.

In fast allen Sektionen wird mindestens ein ukrainischer Film zu sehen sein, insgesamt laufen 13 Filme aus und drei Filme über die Ukraine. Damit setzt das Festival ein eindeutiges Zeichen der Solidarität mit dem überfallenen Land und macht zugleich auf die Bandbreite der filmischen Erzählformen, der Genres und Themen in der Ukraine aufmerksam. Die Genauigkeit der Beobachtung, die Poesie und der eigensinnige Humor kennzeichnen das ukrainische Kino, das auf internationalen Festivals vielbeachtete, eigenständige und originelle Beiträge zur europäischen Filmkultur leistet.

Auch der Eröffnungsfilm kommt aus der Ukraine. "Luxembourg, Luxembourg", eine Familien-Tragikomödie von Antonio Lukich, einem der besten jungen Regisseure seines Landes, konnte nur unter schwierigsten Bedingungen nach dem Beginn des russischen Überfalls beendet werden.

Mariupolis 2
Szenenbild aus "Mariupolis 2" | Bild: RealFiction Filmverleih

Bewegende Filme aus dem Alltag des Krieges

Der erschütternde Dokumentarfilm "Mariupolis 2" läuft in der Reihe "Specials". Der litauische Regisseur Mantas Kvedaravicius kehrte bei Kriegsausbruch in die geschundene Stadt zurück, in der er bereits 2014 gedreht hatte. Er zeigt den täglichen Überlebenskampf, die Zerstörungen, das Grauen der Belagerung. Durch die Intensität der Beobachtungen und des persönlichen Erlebens geht er weit über die bekannten Fernsehbilder hinaus. Hier erhalten die Opfer der Aggression ein unvergessliches Gesicht. Im März wurde der Regisseur von russischen Soldaten getötet.

Zu den eindrucksvollsten ukrainischen Beiträgen gehört "One Day in Ukraine" von Volodymyr Tykhyy. Der Regisseur ist einer der Gründer des Filmkollektivs "Babylon 13", das seit den Maidan-Protesten die Umwälzungen in der Ukraine dokumentiert. In seinem neuen Werk verarbeitet er das Material, das zwölf Kameramänner am 14. März 2022, dem Tag der Freiwilligen, gedreht haben. Entstanden ist eine Momentaufnahme des Alltags in der russischen Aggression, mit Angst, Verzweiflung und der kostbaren Augenblicke von Hoffnung. "One Day in Ukraine" ist ein sehr unmittelbares, bewegendes Dokument des Krieges.

Zusammenarbeit mit russischen Partnern ist nicht einfach

Russische Themen werden allerdings nicht gänzlich fehlen bei diesem Festival. Auch wenn, wie der Künstlerische Leiter Bernd Buder betont, "die Lust fehlte, Russland als Staat zu feiern und russische Filme zu programmieren. Das passt einfach nicht in die Stimmung, wenn gleichzeitig Bomben auf die ukrainische Infrastruktur, auf zivile Ziele geworfen werden."

Auch sei die Arbeit mit den früheren russischen Partnern schwierig geworden. "Viele russische Filmkünstler sind geflohen, Regisseure und Produzenten, auch technisches Personal. Sie müssen sich im Exil erst neu organisieren. Manche wollen sich auch gar nicht äußern, weil sie Angst um ihre in Russland verbliebenen Verwandten haben und sich auch für ihren Präsidenten und dessen Aggression schämen."

Dennoch: Zwei Dokumentarfilme bieten in diesem Jahr Innenansichten der heutigen russischen Gesellschaft, und im Wettbewerb läuft "Minsk" des russischen Regisseurs Boris Guts, der nach Estland geflohen ist. In seinem aufwühlenden One-Take-Film schildert er die brutale Polizeigewalt in einer Nacht in Belarus nach den manipulierten Wahlen.

Der Krieg gegen die Ukraine, die abgebrochenen Kontakte zum russischen Kino, sind für Bernd Buder auch persönlich eine bittere Erfahrung – nach so vielen Jahren des Brückenbauens. Cottbus war immer eine wichtige Drehscheibe für osteuropäische Filme, eben auch für russische, für Koproduktionen und offenen künstlerischen Austausch.

Filmstill aus "R.M.N.":(Quelle:Vodoofilms)Szenenfoto "R.M.N." von Cristian Mungiu

Vertraute Filmländer auch sind auch diesmal stark

Doch einige Konstanten bleiben. Dem Filmwunderland Rumänien – mit zwei Filmen im Wettbewerb – ist in diesem Jahr der Fokus gewidmet, darunter Star-Regisseur Cristian Mungiu mit seinem neuen Film "R.M.N.", einer eigenwilligen sozialkritischen Geistergeschichte. Polen ist ebenfalls in diesem Jahr stark im Wettbewerb vertreten mit drei sehr eindringlichen Filmen. "Es ist erstaunlich, wie kreativ die polnische Filmszene immer gewesen ist und immer bleiben wird", sagt Bernd Buder. "Man kann sich darauf verlassen, dass von dort immer wieder sehr persönliche Geschichten kommen, die aber ein Spiegel der gesellschaftlichen Lage sind."

Genau das zeigt ein Film wie "Bread and Salt" von Damian Kocur. Er erzählt mit dokumentarischer Genauigkeit von zwei ungleichen Brüdern: Tymek ist ein erfolgreicher, junger Pianist, der seinen Bruder Jacek in der Neubau-Siedlung besucht. Es ist wie eine Reise in seine Vergangenheit, die alte Clique, die alten Aggressionen reiben sich an seiner weltläufigen Coolness. Das eindrucksvolle Spielfilmdebüt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme heutiger sozialer Konflikte in Polen.

Filmstill aus dem Film "Bread and Salt".(Quelle:Studio Munka)"Bread and Salt" von Damian Kocur

Ein weiteres Beispiel für die Stärke des gegenwärtigen polnischen Kinos ist im Wettbewerb von Cottbus zu sehen: "Woman on the Roof" von Anna Jadowska. Sie gewann mit "Wilde Rosen" 2017 in Cottbus fünf Preise, darunter den Hauptpreis. In ihrem neuen Werk lernen wir Mirka kennen, eine stille Frau um die 60, die in ihrer finanziellen Not einen sehr dilettantischen Banküberfall versucht. Das hätte den Stoff für eine Komödie hergegeben. Aber Dorota Pomykala, eine wunderbare Charakterdarstellerin, spielt ihre Figur mit großer Ernsthaftigkeit und Würde. Sie ist sicher eine Kandidatin für den Darstellerpreis und wird auch selbst beim Festival zu Gast sein.

Sehr viele Gäste haben sich bisher angemeldet, das Publikum erwarten vertiefende Diskussionsrunden, Netzwerkveranstaltungen und persönliche Begegnungen, fast wie vor der Corona-Zeit. "Wir spüren schon jetzt, gerade wegen des Krieges, der alle aufwühlt – man will unbedingt miteinander reden“, sagt Bernd Buder. "Unsere Filme bieten eine gute Grundlage für diesen erhofften Austausch."

Sendung: rbb24 Abendschau, 08.11.2022, 19.30 Uhr

Beitrag von Knut Elstermann

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