Konzertkritik | Stereolab im Huxleys - Wenig mitreißend und trotzdem spektakulär

Fr 18.11.22 | 09:18 Uhr | Von Hendrik Schröder
  4
Archivbild:Stereolab performen bei einem Konzert am 02.09.2021.(Quelle:imago images/R.Gray)
Audio: rbb24 Inforadio | 18.11.2022 | Hendrik Schröder | Bild: imago images/R.Gray

Die britisch-französische Avantgarde-Pop Band Stereolab galt in den 1990ern als eine der spannendsten und überraschendsten Bands der damals neuen Post-Rock-Szene. Jetzt spielten sie nach langer Pause nochmal in Berlin. Von Hendrik Schröder

Unspektakulärer könnte es kaum losgehen. Die Saallichter sind noch an und Teile der Band machen selbst den Soundcheck. Sie fummeln ein letztes Mal an den Geräten, gehen dann kurz von der Bühne und kommen wenig später wie beiläufig zurück. Als würden sie zur Probe gehen. Das Publikum jubelt und klatscht, wird aber auch nicht euphorisch.

Also geht es hier ganz offensichtlich nicht darum, popstarmäßig eine Band abzukulten. Nein, hier spielen ernstzunehmende Musiker und Musikerinnen ein Konzert vor Leuten, für die Musik ebenfalls mehr ist als ein Freizeitspaß. Vor Leuten, die in den 1990ern jung waren und das Jungsein genossen haben. Jetzt tragen sie zwar noch die angesagten Brillen, gehen aber nicht mehr ganz so oft auf Konzerte, lieben Musik aber noch immer.

Eher zuhören als tanzen

Am Anfang ist es so laut, dass man es kaum aushalten kann, Gitarren und Orgeln und Synthis brüllen einen Sound heraus, dass man das Schlagzeug kaum noch hört. Zumindest in den vorderen Reihen ist das so. Später weiter hinten ist es besser. Und dann passiert etwas, was beispielhaft ist für den Vibe des ganzen Abends: Irgendwas mit der Gitarre ist kaputt und während ein Techniker sich darum kümmert, stehen Band und Publikum einfach ein paar Momente rum und warten. Kein Firlefanz, um das zu überbrücken, Band und Zuschauer scheinen zu denken: Naja, passiert halt, geht gleich weiter.

Ein bisschen getanzt wird erst, als das Konzert schon halb vorbei ist, vorher wird gelauscht und genossen. Stereolab haben so viele Platten veröffentlicht und bedienen sich an fast allen Phasen, da kennt nicht jeder Fan jeden Song. Krautrock, Avantgarde Pop, zwischendurch wird es mega funky. Auf ein bestimmtes Genre festnageln kann man die Band nur schwer.

Wie ein entrückter Physikprofessor

Sängerin Laetitia Sadier steht bei all dem zwar vorne, dreht sich aber immer wieder zur Band, ist nicht die Frontfrau. Mittelpunkt des ganzen Sounds ist eher ihr kongenialer Partner Tim Gane, auch wenn er nur sanft rockend mit seiner Gitarre an der Seite steht. Die beiden sind und waren immer schon Kern und Motor der Band, haben alle Line-Up-Wechsel überstanden.

Optisch zieht der Keyboarder alle Blicke auf sich, wie er da an Elektrorgeln und Synthis in seinem zu großen Sakko und mit seiner riesigen Brille steht, sieht er aus wie ein Physikprofessor. Ständig lässt er seinen musternden Blick durchs Publikum schweifen, als wolle er erforschen, ob die geschätzt mehr als 1.000 Leute im gut gefüllten Huxleys auch wirklich verstehen, was die Band da macht, wenn sie sich in längeren Jam-Sessions verliert und alles immer noch dichter und lauter und schräger wird. Oder er rückt sich die Brille zurecht und blickt neugierig auf die vielen Tasten, als habe er da ein ganz interessantes Experiment vor sich.

Ekstatisch performativ mitreißend ist das alles selten, aber rein musikalisch tatsächlich immer noch spektakulär. 32 Jahre nach der Bandgründung und nach einer Pause zwischen 2009 und 2019. Das schafft auch nicht jeder.

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.11.2022, 6:00 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

4 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 4.

    Liebe Redaktion.

    Gerne doch und ich wünsche euch das Gleiche! Gerne einen Blick auf die Rezension morgen in der "jungen Welt" werfen :)

  2. 3.

    Liebe Jenny Ondioline,

    vielen Dank für den Hinweis. Wir korrigieren es entsprechend.
    Liebe Grüße und ein schönes Wochenende.

    Ihr rbb24-Team

  3. 2.

    Ich weiß ja nicht, ob die "laute Musik" dem Autoren doch ein paar Informationen im Kopf umhergewirbelt haben, aber Tim Gane war und ist und bleibt der Gitarrist von Stereolab. Der Herr Physikprofessor heißt Joe Watson.
    Kurz mal englisches Wiki oder Discogs prüfen, bevor man schlaumeiert, gell?

  4. 1.

    Am Sonntag spielt Fatoumata Diawara und Band im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
    Eine Kritik würde mich freuen!

Nächster Artikel