Theaterkritik | Nature Theater of Oklahoma am HAU - Der Tod ist keine Rettung

Fr 04.11.22 | 09:56 Uhr | Von Barbara Behrendt
Szene aus dem Stück "Burt Turrido: An Opera" des Nature Theater of Oklahoma am HAU.(Quelle:Jessica Schäfer)
Audio: rbb Kultur | 04.11.2022 | Barbara Behrendt | Bild: Jessica Schäfer

Die New Yorker Avantgarde-Gruppe Nature Theater of Oklahoma nimmt sich im Berliner HAU die Oper vor. Eine Western-Persiflage mit absurden Eifersuchtsdramen, Country-Musik und einem Drang zum Spirituellen. Von Barbara Behrendt

Nach klassischer Oper klingt das nun wirklich nicht, was hier zu Beginn von "Burt Turrido - An Opera" zu hören ist. Eher nach Gespenstern, die zu Country-Pop heulen. Und genau so ist es: Auf der herzigen altmodischen Papp-Bühne, die das Naature Theater of Oklahoma im Berliner HAU2 aufgebaut hat. stehen drei Menschen mit Bettlaken über den Köpfen.

Sie trippeln im Takt über einen blauglitzernden Stoffteppich, während hinter ihnen an der Rudermaschine jemand Papp-Wellen von rechts nach links bewegt. Im Wasser, also: auf dem Teppich, schlägt derweil ein Mann mit dichtem Backenbart und Regenhut mechanisch mit den Armen um sich, als sei es eine Choreografie.

Die letzte noch bewohnbare Insel

Andererseits ertrinkt dieser namenlose Fremde gerade. Emily, die jüngste Geisterfrau, rettet ihn – und verliebt sich Hals über Kopf. Sie bringt ihn an Land der letzten noch bewohnbaren Insel und ringt ihm das Versprechen ab, sie nachts am Meer zu treffen. Was er natürlich nicht hält und dafür am Ende mit dem Leben bezahlt.

Einst hieß diese Insel Grönland, doch da war sie noch grün und fruchtbar. Dann kamen Hitze, Dürre und immer mehr Klima-Flüchtlinge. Krieg, Genozid und ein despotisches Königspaar folgten. Seitdem heißt die Insel Banana-Kingdom, eine Bananen-Republik.

All das erfahren wir von Joseph, einem Cowboy in Hot-Pants, der in Lederstiefeln federleichte Line-Dances hinlegt, denen man ewig zusehen könnte. Joseph hat nur deshalb überlebt, weil er Queen Karens Geliebter ist. Und auch der Fremde darf vorerst als Sklave bleiben. Der devote König Bob gibt ihm seinen Namen: Burt Turrido.

Mit Blitz und Donner auf Rache gesinnt

Das ist erst der Anfang dieser Western-Persiflage, die den alltäglichen Herz-Schmerz in der Country-Musik mit den großen Gefühlen der Oper verschränkt und ironisiert. Ehe-Krise, Kinderwunsch, Mord aus Liebe, Betrug, Verrat, Rache – all diese Dramen spielen sich im fliegenden Wechsel zwischen King Bob, Queen Karen, Burt Turrido, Emily und Joseph ab, der sich als Emilys Ehemann und Mörder entpuppt.

Kein Wunder, dass die irgendwann die Schnauze voll hat von den Männern und mit Blitz und Donner auf Rache sinnt.

Vorlagen aus allen Richtungen

Kadence Neill singt mit fantastischer Klarheit und Country-Süße, wie es sein muss. Wer oder was dieser Burt Turrido ist, bleibt allerdings auch ihrer Emily ein Rätsel. Die Hinweise reichen von Klabautermann über Alien hin zu Gott selbst, der der Queen zur unbefleckten Empfängnis verhilft.

Die Vorlagen kommen aus allen Richtungen: Der Undine-Mythos wird zitiert, der Fliegende Holländer, Shakespeares "Sturm", aber auch "E.T." und die biblische Schöpfungsgeschichte.

Wer dem Abend allein auf der bewusst dilettantischen Oberfläche folgt, dem wird viel Gelassenheit und Geduld abverlangt: Vier Stunden lang tröpfelt die Musik unaufgeregt vor sich hin, folgt ein absurdes Eifersuchtsdrama aufs andere, bis am Ende ein gigantischer Narwal auf dem Esstisch liegt und Burt Turrido tot im Meer.

Was, wenn der Mensch lernunfähig ist?

Blickt man aber hinter die bemalten Stoff-Fassaden, ist es durchaus reizvoll, den philosophischen Gedanken der Inszenierung nachzugehen, die viel deutlicher ins Spirituelle und Existenzielle verweisen als frühere, politischere Arbeiten des Nature Theater of Oklahoma.

Die New Yorker Avantgarde-Theatergruppe (benannt nach dem mystischen Theater in Franz Kafkas Roman "Amerika") gibt es seit mehr als 25 Jahren. Immer wieder demontiert die Gruppe, angeführt von Kelly Copper und Pavol Liska, alles, was ihr im Theater zu konventionell erscheint.

Diesmal fragen sie: Was, wenn der Mensch lernunfähig ist und beim nächsten Versuch mit der Erde dieselben Fehler macht? Was, wenn nicht mal Gott es uns Recht machen kann? Was, wenn nach dem Tod überhaupt nichts besser wird? "Auch der Tod ist keine Rettung", singt das Gespenst Emily in dieser skurrilen Apokalypse-Show. Und die muss es schließlich wissen.

Sendung: rbbkultur, 04.11.2022, 6:45 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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