Jahresausblick des Literaturhauses Berlin - "Ich war selbst verblüfft, wie literarisch das Grundgesetz ist"

Mi 11.01.23 | 12:54 Uhr | Von Oliver Kranz
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Archivbild: Das legendäre "Café im Literaturhaus" in der Berliner Fasanenstraße im Bezirk Charlottenburg, aufgenommen am 13.08.2013. (Quelle: dpa/Markus C. Hurek)
Audio: rbb24 Inforadio | 10.01.2023 | Oliver Kranz | Bild: dpa/Markus C. Hurek

Das Literaturhaus Berlin hat sein Jahresprogramm vorgestellt. Im Mittelpunkt stehen unter anderem die Digitalisierung, ein Festival zur Exil-Literatur - und eine Reihe, die sich dem Grundgesetz auf eine ungewöhnliche Art nähert. Von Oliver Kranz

Die Wand hinter der Bühne sieht wie eine Wüstenlandschaft aus – mit Lehm überzogen und mit Kakteen bewachsen. Sie ist vom Künstler Marc Bausback für diese Saison des Berliner Literaturhauses neu gestaltet worden.

Und das aus gutem Grund: "Einerseits ist die Bühne eine Referenz an das Gebäude", erklärt Janika Gelinek vom Leitungs-Team des Literaturhauses. Hermann Gruson, der das Haus im 19. Jahrhundert errichten ließ, hatte im Wintergarten eine große Kakteensammlung. "Zum Zweiten wollen wir an die Klimakrise erinnern. Das Publikum sitzt vor einer Wand mit Kakteen und kann sich selbst Gedanken machen, ohne dass man jeden Abend auf das Problem hinweisen muss."

Gesprächsreihe zum Grundgesetz

Das Literaturhaus will sich auch im neuen Jahr wichtigen gesellschaftlichen Themen widmen – zum Beispiel mit der Gesprächsreihe "Das Grundgesetz und die Literatur". Sie lehnt sich an den Band "Das Grundgesetz. Ein literarischer Kommentar" an, der kürzlich beim C.H.Beck Verlag erschienen ist. Schriftsteller und Juristen sprechen über die besonderen Qualitäten unserer Verfassung.

"Ich war selbst verblüfft, wie literarisch das Grundgesetz ist", sagt Gelinek. "Es lässt viele Interpretationen zu und fordert zum Gespräch heraus." Viele prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben ihre Teilnahme an der Gesprächsreihe bereits zugesagt – von Juli Zeh über Daniel Kehlmann bis hin zu Thea Dorn.

Konsequent auf Digitalisierung gesetzt

Zudem wird im Literaturhaus ein kleines Jubiläum vorbereitet. Im März ist es fünf Jahre her, dass Janika Gelinek und Sonja Longolius die Leitung übernahmen. Dass in dieser Zeit, in die auch die Corona-Pandemie fiel, mehr als 750 Veranstaltungen stattgefunden haben, können die beiden als Erfolg verbuchen. Sie haben konsequent auf Digitalisierung gesetzt und das Streaming-Angebot des Literaturhauses ausgeweitet.

"Wir sagen immer 'Im Saal ist auf dem Platz' – die Leute, die hierher kommen, sind unser Kernpublikum. Aber, und das haben wir jetzt mit unserer technischen Aufrüstung gelernt: Das schließt digitale Angebote nicht aus. Wir haben zum Beispiel eine Besucherin, die lange nicht kommen konnte, weil ihr Mann bettlägerig ist. Jetzt war sie wieder im Haus und hat uns viel Geld in die Spendenkasse gesteckt, weil sie dankbar ist, dass wir so viel streamen."

Mit seinen digitalen Formaten nimmt das Literaturhaus auch das jüngere Publikum ins Visier. Besonders mit seinem Instagram-Kanal ist es erfolgreich. Reihen wie #sturmjungdran, bei denen junge Autorinnen und Autoren in kurzen Videos über ihre Werke sprechen, erreichen vierstellige Klickzahlen. "Es gibt eine jüngere Generation, die vor allem da literarisch unterwegs ist. Die wollen wir abholen und dann natürlich auch ins Haus einladen", so Janika Gelinek.

Exil-Literatur-Festival "Occupying Exil" im September

Zusätzlich bietet das Literaturhaus auch Programme für Schulklassen und Bilderbuch-Abende für Kindergartenkinder an. Angesprochen werden sollen alle Altersgruppen und alle Nationalitäten.

Das Literaturhaus präsentiert auch Veranstaltungen mit fremdsprachigen Autoren, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. "Wir versuchen das abzubilden, was unsere gesellschaftliche Realität heute ist", sagt Gelinek. "Flucht und Exil gehören leider dazu. Das ist einerseits traurig, andererseits kommen aber auch tolle neue Stimmen zu uns, wo man sagen muss: Wow! Was erfahren wir für eine Bereicherung durch neue Sprachen und Literaturen!"

Im September plant das Literaturhaus ein großes Exil-Literatur-Festival unter dem Titel "Occupying Exil". Autorinnen und Autoren, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten, sollen eine Bühne bekommen – neue Stimmen im deutschen Literaturbetrieb.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.01.2023, 17:55 Uhr

Beitrag von Oliver Kranz

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ich glaube, dass Etliche deshalb auch das Grundgesetz grundsätzlich missverstehen: Ein übergeordnetes Gesetz zu sein, heißt ja eben nicht, rein technisch auf alle Umstände des Lebens eine präzise formulierte (juristische) Antwort zu haben. Das ist der Grund für das Literaterische im Grundgesetz, das ganz bewusst Raum für situative Interpretationen offenlässt.

    (Ganz anders übrigens als die Computer-Logik, die dem nun laut Bericht beikommen soll: Die ist auf Eindeutigkeit ausgerichtet. Mit Ungenauigkeiten im sozialen, mitmenschlichen Bereich können Computerprogramme i. a. R. nichts anfangen - es sei denn, sie beruhen auf Fuzzy-Logik mitsamt ihrer Grauschattierungen. Die aber geht unter, weil der soziale Bereich dem technischen Bereich gleichgezogen wird.)

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