Theaterkritik | "Fuchs 8" am Deutschen Theater - "Ich bin ein FUKS!"

So 12.02.23 | 08:52 Uhr | Von Barbara Behrendt
Fuchs 8 von George Saunders Ein Projekt von Linn Reusse, Christoph Bernewitz und Marcel Kohler. (Quelle: Arno Declair)
Bild: Arno Declair

George Saunders gilt als der kultigste Kurzgeschichtenautor der USA der Gegenwart. In seinem kleinen Bändchen "Fuchs 8" schreibt ein Fuchs der Menschheit einen herzerweichenden Brief. Marcel Kohler macht daraus einen sinnlich-poetischen Theaterabend. Von Barbara Behrendt

Fuchs 8 sitzt mit dem Rücken zum Publikum und schreibt uns einen Brief. "Halo", erscheint als erstes Wort auf der Bühnenwand der kleinen Box. "Schöhn, das ir da said." Als jemand niest, hält Fuchs 8 inne und schreibt: "Gesuntheit". Und als Entschuldigung für die schlechte Rechtschreibung folgt: "Ich bin ein FUKS!"

Das Stück "Fuchs 8" am Deutschen Theater in Berlin ist ein Projekt von Linn Reusse, Christoph Bernewitz und Marcel Kohler. Die Schauspielerin Linn Reusse trägt dabei eine Fuchsfellmaske überm Gesicht, hält ein Tablet auf ihren Knien und schreibt die Worte, die zeitgleich auf die Wand projiziert werden. Dann steht sie auf und wirft glücklich glucksend ein paar Menschenworte durch die Luft: "Regenschirmanlage! Geldscheinautomat!" Christoph Bernewitz lässt neben ihr seine E-Gitarre tanzen.

Fuchs 8 findet Menschen super cool

Basis für den Theaterabend ist das Buch "Fuchs 8" von dem US-Amerikaner George Saunders. Darin schreibt ein Fuchs der Menschheit einen Brief. Fuchs 8 findet Menschen supercool und voll nett. Deshalb hat das kluge und neugierige Tier allabendlich vor den Fenstern gelauscht, wenn die Menschen Gutenacht-Geschichten erzählt haben und ihre Sprache gelernt. Andere Füchse sind davon schwer beeindruckt, wie Fuchs 8 erzählt. "Ich so: Was das eben war, war Mänschisch. Und er so: Krass! Das war super gut, Fuks 8!"

Linn Reusse lässt mit schnellen, kräftigen Strichen die Fuchswelt immer kleiner werden

Bis es plötzlich drängendere Probleme gibt: Riesige "Elkawehs" rücken an und machen den Wald mit den "Boimen" platt. Die Menschen bauen eine gigantische Shopping-Mall – die Fische im Fluss sterben und die Füchse verhungern. Mit schnellen, kräftigen Strichen zeichnet Linn Reusse die ganze Fuchswelt per Tablet auf die Wand und lässt sie perspektivisch immer kleiner werden. Bis sie nur noch ein winziger Punkt im großen Wald ist. Ein Strich auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums. Was ist schon das Leben eines Fuchses. Ein verhungerter Fuchs wird aus der Comic-Zeichnung einfach ausradiert.

Aber Fuchs 8 glaubt noch immer an die Menschen und findet mit seinem Kumpel Fuchs 7 einen Weg zur Fressmeile der Mall. Vor ihnen tut sich ein glitzerndes Paradies auf, das vom Duft eines Imbiss' gekrönt wird: "Noch nie waren uns Menschen so cool erschienen. Ich meine: Konnten Füchse sowas? Eine Mall bauen? Vergiss es! Unseren Bau buddeln, das war’s."

Unbegreifliche menschliche Boshaftigkeit

Voller Stolz, etwas Essbares gefunden zu haben, treten sie den Heimweg an. Doch dann geschieht die Katastrophe. Fuchs 8 macht Bekanntheit mit dem Sadismus und der grundlosen Grausamkeit der Menschen. Die Bilder werden rabenschwarz und die Musik gleitet in den Blues, als Fuchs 8 schließlich doch noch den Glauben an die Menschheit verliert.

Wer hätte gedacht, dass sich George Saunders’ kleine große, sprachverspielte Erzählung über den waidwunden Punkt der Menschheitsgeschichte - die unbegreifliche menschliche Boshaftigkeit gegenüber anderen Lebewesen - so anrührend, so poetisch auf die Bühne übertragen lässt, wie der Autor sie zu Papier gebracht hat. Statt mithilfe eines Bühnenbilds entsteht die Fuchswelt in Reusses üppig wachsenden, fantasievollen Zeichenwelten.

Saunders Geschichte ist auch eine über Freundschaft und Verlust, über Trauer, Verzeihen und Weiterleben - doch im Mittelpunkt steht die Frage, die sich Fuchs 8 in seiner Trauer und Enttäuschung stellt: "Warum hat der Schöpfer so einen großen Fehler gemacht und die Menschen, die so vieles können, so böse gemacht?"

Inszeniert hat Linn Reusses Schauspielerkollege Marcel Kohler und man merkt gleich, dass dieser sinnliche Abend ein kleines Herzensprojekt der Beiden ist. Wie Reusse in ihrem Solo zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, zwischen Zeichnungen, Musik und Spiel wechselt, ist so vielseitig als stünden gleich mehrere Füchse auf der Bühne. Ein naiver und ein mutiger, ein lustiger und ein trauriger, allesamt herzerwärmend. Verschiedene Gesichter, die uns mit großer Ernsthaftigkeit alle dasselbe fragen: Warum können Menschen nicht ein bisschen netter sein?

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.02.2023, 7:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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